Streit um einen Windpark: Naturschützer kontra Klimaschützer

Windräder für die Energiewende bauen oder sie lieber verhindern und den Wald retten? Im brandenburgischen Kallinchen ringen Ökos mit Ökos.

Noch drehen sich keine Windräder im brandenburgischen Kallinchen. Bild: dpa

KALLINCHEN taz | Manchmal, wenn es ganz klar ist, kann man sogar den Berliner Fernsehturm sehen, der nadeldünn in der Ebene steckt. Heute aber ist es diesig. Günter Bernhardt zeigt auf die Kiefernspitzen, die sich Richtung Norden und Westen dunkelgrün über die wellige Landschaft ziehen. Kiefern, überall Kiefern. Dort, wo die Bäume sich lichten, sieht man den buttergelben Kirchturm von Motzen und still den See in Eis ruhen.

Die Ruhe wäre dahin, sagt Bernhardt, wenn sie den Windpark bauen. Dann nämlich werden dreißig 185 Meter hohe Windräder auf der Bergkuppe hinter dem See aus den Kiefern ragen. "Ich bin zwar für erneuerbare Energien", sagt er. "Aber das finde ich, wie soll ich sagen, nicht so prickelnd."

Bernhardt weiß, dass er der personifizierte Widerspruch ist. Den Strom bekommt Günter Bernhardt von Lichtblick, und er würde sich auch als Öko bezeichnen. Aber das, was hier geschehen soll, geht ihm dann doch zu weit. Unten im Tal sehen viele das ähnlich. In den brandenburgischen Dörfern Kallinchen, Töpchin und Motzen gibt es nicht nur den Widerstand einer Region gegen ein Bauprojekt. Es ist der Kampf von Umweltschützern gegen Umweltschützer. Dabei geht es den einen um die Umwelt vor ihrer Haustür und den anderen eher um das Weltklima, um eine saubere Energieversorgung.

Das Land Brandenburg will die CO2-Emissionen durch Energiegewinnung in den nächsten zehn Jahren um vierzig Prozent senken; zwanzig Prozent der Energie sollen dabei aus erneuerbaren Quellen stammen. Deshalb sollen Windkraftanlagen entstehen, nicht nur auf Feldern, sondern auch in Wäldern. Die Berliner Firma Ökotec hat den Wald bei Kallinchen geprüft und festgestellt, dass er sich eigne. Er besteht fast nur aus Kiefern, weshalb ihn Förster als "armen Wald" bezeichnen, dort übten bis vor Kurzem noch Militärtruppen. Außerdem liegt dort noch immer Munition aus dem Zweiten Weltkrieg, und ab und zu findet man alten Hausmüll, den die Russen abgeladen haben. Aber die Leute in Kallinchen lieben ihren Wald.

Kallinchen liegt von einem Hügel und dem See eingeschlossen im Süden von Berlin. Durch das Dorf führt nur eine Hauptstraße, rechts und links liegen Einfamilienhäuser. Auf dem Pfad zum Aussichtspunkt am Kahleberg liegt der Schnee kniehoch. Heute gibt es keine Spaziergänger, Günter Bernhardt hat mit seinen Halbschuhen die einzigen Spuren darin hinterlassen. Er ist Rentner, und manchmal fährt er mit seinem Kombi alten Menschen Essen nach Hause. Außerdem ist Bernhardt Mitglied im Heimatverein. Dort haben sie schon viel über die Windräder diskutiert.

Er weiß, dass sie auf Betonfundamenten stehen werden, groß wie Einfamilienhäuser, dass für die Fundamente Bäume geschlagen und dass die Windräder hoch über den Wald hinausragen werden. Er beugt sich in seinem orangefarbenen Anorak nach vorn. "Wenn die Bäume bis hierhin stehen", sagt er und berührt fast seine Knöchel, "Dann sind die Windräder so hoch wie ich." Er richtet sich wieder auf. Bernhardt ist groß.

Die Windkraft spaltet die Dörfer. Die Naturfreunde fürchten, dass sich das Wild vor den Windrädern erschrecken, ihre Pferde scheuen werden. Die Vogelschützer, dass sich die Vögel anderswo Nistbäume suchen. Und die Hoteliers, dass die Touristen wegbleiben, weil sie Landschaft und nicht Windräder sehen wollen. Die anderen hoffen auf Arbeitsplätze in der Region und auf Strom, den sie selbst erzeugen und der sie wenig kostet. Die meisten, die das so sehen, arbeiten in der Firma, die die Windkraftanlage betreiben will. Sie hat ihren Sitz in Kallinchen und heißt Energiequelle. Die Kinder ihrer Mitarbeiter werden im Dorf "Mühlenkinder" gerufen.

Caroline Libotte aus Berlin leitet die Firma Ökotec, die die Windräder plant. Sie will nicht von Streit sprechen, sondern vom Dialog, den die Bürger jetzt miteinander führen müssen. Die Wettervorhersage kündigt noch mehr Schnee an, man befürchtet ein Verkehrschaos, trotzdem ist sie aus Berlin gekommen. Im Dorf nennen sie Libotte die große Blonde. Sie war schon mehrmals hier, nachdem sie das Gelände geprüft und den Wald für geeignet befunden haben. "Es ist ja noch nichts entschieden", sagt sie. "Aber das Projekt liegt mir am Herzen."

Heute Abend will Libotte die Kallinchener, Töpchiner und Motzener überzeugen, dass die Windräder nichts Schlimmes, sondern viel Gutes bringen. Dafür hat sie schwere Ordner, eine Powerpoint-Präsentation und drei Mitarbeiter mitgebracht. Zusammen mit den Energiequelle-Chefs bereiten sie sich auf ihren Vortrag vor, einen "Monstertermin", wie sie ihn nennen.

Der Monstertermin ist das "Forum", in dem sie die Dorfbewohner informieren und mit ihnen diskutieren wollen. Sie haben dafür einen Moderator engagiert, der sicherstellen soll, dass die Veranstaltung sachlich bleibt. Am Nachmittag bereiten sich Libotte, ihre Kollegen und die Chefs der Energiequelle darauf vor. Es kostet Mühe und Zeit, von ihrem Projekt zu überzeugen. Aber "die Sache" lohne das, sagt Libotte. Sie spricht von Klimaveränderung, von trockenen Böden, von zunehmenden Schneemassen, extremen Temperaturen und immer wieder vom Herzblut für "die Sache".

Sie würden das aber nicht nur für das Klima machen. Werner Frohwitter von Energiequelle erwähnt die hundert Prozent der Gewerbesteuer, die in die Gemeinde fließen sollen, 300.000 Euro pro Mühle auf zwanzig Jahre gerechnet. Wenn die Windräder einmal stehen, sagt Frohwitter, sollen sie zwar Strom für die gesamte Bundesrepublik liefern, aber auch die Leute in der Umgebung mit Energie versorgen. Kurz bevor sie gemeinsam zum "Forum" aufbrechen fragt er: "Kennen Sie Feldheim?" Feldheim liegt westlich von Kallinchen. Es ist von 43 Windrädern umgeben und kann vollkommen autark seinen Strom erzeugen. "Das waren wir", sagt er, "Energiequelle."

Für die "Sache" ist sogar der Waldbesitzer aus Schleswig-Holstein angereist. Er rollt in seinem Allradauto durch den tiefen Schnee und hält immer wieder an, um zu zeigen, wie es um den Wald steht. Hier die mittelalten Kiefern auf nährstoffarmem Sandboden, aufgereiht in preußischer Ordnung; dort die wenigen Roteichen, von denen es einmal viel mehr geben soll; da eine Gruppe ganz junger Kiefern. Christian Herzog von Oldenburg will die Windräder in seinem Wald, und heute Abend will er den Leuten erklären, warum.

Als er vor knapp zwei Jahren den Wald kaufte, wollte er ihn aufforsten, damit er nicht nur schöner wird, sondern auch rentabel für die Waldwirtschaft. Irgendwann einmal sollen viele Laubbäume zwischen den Kiefern stehen. Man macht dann Pressspanplatten aus dem jüngeren Holz, baut Dächer und Häuser aus dem mittelalten und irgendwann, wenn die Bäume älter sind, auch Möbel.

Aber bis die Bäume gepflanzt und gewachsen sind und bis der Wald bei Kallinchen von Weltkriegsmunition und russischem Hausmüll befreit ist, vergeht viel Zeit. Förster rechnen dabei nicht in Jahrzehnten, sondern in Generationen. Aber wenn die Windräder gebaut würden, sei mehr Geld da, dann ginge es schneller, sagt Herzog von Oldenburg. So gesehen wären die Windräder gut für den Wald.

Zum "Forum" in die Turnhalle der Grundschule sind junge Frauen mit Wollmützen gekommen, ältere Dame mit lila aufgefrischtem Haar, Herren, deren Gesichter von der Kälte gerötet sind. Ein junger Mann verteilt am Eingang Anstecker; darauf sind ein paar kräftige Nadelbäume zu sehen und eine riesige Windmühle. Sie ist durchgestrichen. Viele haben sie sich angesteckt, sie gehören zur Bürgerinitiative Freier Wald e. V. Im Oktober haben sie sich gegründet und 500 Stimmen gesammelt gegen die geplanten Windräder. Es werden immer mehr.

Bevor sie anfangen, schleppt jemand noch eine hölzerne Windmühle herein, an deren Fuß winzige Nadelbäume stehen. Er stellt sie neben die Leinwand, auf die die Mitarbeiter von Ökotec und Energiequelle gleich ihre Grafiken projizieren werden. Auch der Herzog von Oldenburg sitzt auf dem Podium, ein Mann wie ein Baum, und sieht schweigend ins Publikum.

Am Ende einigen sie sich darauf, dass sie wieder zusammenkommen müssen. Dabei blinkt das rote Warnlicht auf der hölzernen Windmühle.

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