Streit zwischen Thailand und Kambodscha: Bisher mehr als 30 Tote bei Grenzgefechten
Die Kampfhandlungen zwischen den beiden südostasiatischen Ländern dauern nun schon drei Tage an. Zehntausende Menschen befinden sich auf der Flucht. Der UN-Sicherheitsrat ruft zu einer friedlichen Lösung auf.

Truppen beider Länder lieferten sich am Samstag den dritten Tag in Folge Gefechte. Inzwischen ist auch Thailands Marine in die Auseinandersetzung involviert.
Der kambodschanische Informationsminister Neth Pheaktra sagte am Samstag, die Gefechte hätten 10.865 kambodschanische Familien – 37.635 Menschen – in drei Grenzprovinzen gezwungen, an sichere Orte zu fliehen. Thailändische Behördenvertreter sprachen von 131.000 aus Grenzdörfern geflüchteten Menschen.
Auch wollen Tausende kambodschanische Arbeitsmigranten, die in Thailand leben, so schnell wie möglich zurück in die Heimat: Sie fühlen sich in der eskalierenden Situation nicht mehr sicher. Vermutlich haben aber noch weit mehr – womöglich Zehntausende Menschen – beantragt, die Grenze in Ban Laem in der Provinz Chanthaburi zu überqueren, wie der Sender Thai PBS aus dem Grenzgebiet meldete. In Online-Netzwerken war von einem „Massenexodus“ die Rede.
Kambodschas Regierung zufolge lebten und arbeiteten 2024 mehr als 1,2 Millionen Kambodschaner in dem Nachbarland. Auf Bildern in sozialen Medien war zu sehen, wie zahlreiche Menschen mit ihren Habseligkeiten bepackt an dem Grenzübergang eintrafen.
UN-Sicherheitsratssitzung auf Drängen Kambodschas
Der UN-Sicherheitsrat hielt am Freitagabend (Ortszeit) in New York auf Antrag Kambodschas eine Dringlichkeitssitzung ab. Malaysia, das den Vorsitz der südostasiatischen Staatengemeinschaft Asean innehat, appellierte an die beiden Mitgliedsländer, die Feindseligkeiten einzustellen.
Der Sicherheitsrat veröffentlichte keine Mitteilung zu dem Treffen, ein dabei anwesender Diplomat berichtete jedoch, dass alle 15 Ratsmitglieder beide Seiten zu Deeskalation, Mäßigung und einer friedlichen Lösung aufgerufen hätten. Der Rat habe auch an die Asean-Staaten appelliert, auf ein Ende der Gefechte hinzuwirken.
Der kambodschanische UN-Botschafter Chhea Keo sagte, sein Land habe eine unverzügliche, bedingungslose Waffenruhe und eine friedliche Beilegung des Konflikts gefordert. Er wies Berichte zurück, dass Kambodscha Thailand angegriffen habe, und stellte die Frage, wie ein kleines Land ohne Luftwaffe wie Kambodscha auf die Idee kommen könne, ein weit größeres Land mit einer dreimal so großen Armee anzugreifen. „Wir tun das nicht“, unterstrich er.
Umgekehrt forderte der thailändische UN-Botschafter Cherdchai Chaivaivid bei der UN-Sitzung ein umgehendes Ende der Feindseligkeiten durch Kambodscha, um einen Dialog zu starten. Er sprach von einem „rechtswidrigen und willkürlichen Akt der Aggression“. Die beiden Länder seien aber enge Nachbarn – die Gewalt müsse beendet werden. Cherdchai Chaivaivid verließ die Sitzung in New York, ohne mit Journalisten zu sprechen.
Neue Front in der thailändischen Provinz Trat eröffnet
Die Zusammenstöße entlang der 800 Kilometer langen Grenze zwischen den beiden südostasiatischen Ländern waren am Donnerstag entbrannt. Kambodschanisches Artilleriefeuer traf unter anderem ein Krankenhaus und einen Supermarkt im thailändischen Grenzgebiet. Kambodscha wirft Thailand hingegen vor, bei Angriffen Streumunition eingesetzt zu haben –eine Beschuldigung, die Thailand zurückweist. „Human Rights Watch betrachtet jeden Einsatz dieser Waffe in besiedelten Gebieten als rechtswidrig und willkürlich“, hieß es.
Mittlerweile gebe es eine neue Front weiter südlich, speziell in der thailändischen Provinz Trat, berichtete die Zeitung Khaosod unter Berufung auf das Militär. Der thailändischen Armee zufolge wurde auch ein umstrittener Berg – Phu Makkhuea – von Soldaten eingenommen, die dort die thailändische Flagge hissten.
Am Freitagabend hatten Thailands Streitkräfte in acht Distrikten der Provinzen Trat und Chanthaburi das Kriegsrecht verhängt. Begründet wurde dies mit den „anhaltenden Bedrohungen der nationalen Sicherheit“ durch das Nachbarland. Das Kriegsrecht erleichtere es dem Militär, alle notwendigen Operationen durchzuführen, um Frieden und Ordnung zu bewahren, teilte das Außenministerium mit.
Die Organisation Human Rights Watch rief beide Länder dazu auf, Zivilisten und zivile Infrastruktur unbedingt zu schützen. „In nur zwei Tagen haben Kämpfe entlang der kambodschanisch-thailändischen Grenze Zivilisten, darunter auch Kinder, getötet und verletzt sowie medizinische Einrichtungen sowie religiöse und kulturelle Stätten beschädigt“, teilte John Sifton, Asien-Direktor der Menschenrechtsorganisation, mit. Beide Seiten müssten das humanitäre Völkerrecht aber unbedingt schützen, forderte er.
Die beiden Länder trennt eine mehr als 800 Kilometer lange Grenze, deren Verlauf noch in der Kolonialzeit festgelegt wurde. Die Regierungen in Bangkok und Phnom Penh interpretieren diese Grenzziehung aber unterschiedlich. In der Vergangenheit kam es mehrmals zu blutigen Konflikten, zuletzt 2011.
Die Hintergründe der derzeitigen Eskalation sind aber unklar. Als Grund wird immer wieder der Streit um den Tempel Prasat Preah Vihear genannt, der seit 2008 zum Weltkulturerbe der Unesco gehört. Der Hindu-Tempel aus dem 10. bis 12. Jahrhundert wird von beiden Ländern beansprucht. Beobachter glauben aber, dass die Gewalt deutlich vielschichtigere Ursachen hat.
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