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Streitgespräch vor Hamburger AbstimmungIst der Zukunftsentscheid ungerecht?

Nein, sagt Lou Töllner, Sprecherin des „Hamburger Zukunftsentscheids“. Ja, entgegnet Klaus Wicher, Landesvorsitzender des Sozialverbands SoVD.

Die Ham­bur­ge­r:in­nen haben die Klima-Wahl: Wie werden sie am Sonntag abstimmen? Foto: Miguel Ferraz
André Zuschlag

Interview von

André Zuschlag

Soll sich Hamburg gesetzlich dazu verpflichten, bereits bis zum Jahr 2040 klimaneutral zu werden? Über diese Frage können rund 1,3 Millionen Wahlberechtigte am 12. Oktober abstimmen. Die Gesetzesvorlage verpflichtet den Hamburger Senat außerdem dazu, Maßnahmen zum Erreichen dieses Ziels zwingend sozialverträglich auszugestalten. Doch kurz vor dem Volksentscheid wächst die Kritik an den Klimaaktivist:innen: Die Forderung sei unrealistisch, der vorgeschlagene Weg zur Klimaneutralität Hamburgs würde arme Menschen noch mehr belasten.

taz: Herr Wicher, Sie warnen vor einem Erfolg des „Hamburger Zukunftsentscheids“, der die Klimaschutzbemühungen in der Stadt verstärken soll. Warum?

Klaus Wicher: Hamburg hat sich ja schon dazu bekannt, bis 2045 klimaneutral zu werden. Das ist verlässlich, das unterstützten wir. Ich habe ein Problem damit, dass die Volksinitiative dieses Klimaziel nun um fünf Jahre vorziehen will. Dadurch werden zusätzliche Belastungen auf die Menschen zukommen. Dabei sind sie bei vielen hier in Hamburg schon jetzt enorm: 20 Prozent der Menschen in Hamburg leben in Armut. Wenn es durch den Zukunftsentscheid keine Belastungen für diese Menschen geben würde, dann immerzu! Wir haben nur die Sorge, dass das mit diesem Gesetzesvorschlag der Initiative nicht funktionieren wird.

taz: Frau Töllner, Sie wollen das durch eine verpflichtende Sozialverträglichkeit verhindern. Wie soll das funktionieren?

Lou Töllner: Auf Sozialverträglichkeit soll schon nach dem geltenden Gesetz geachtet werden, nur ist das bislang nicht verpflichtend. Das wollen wir ändern. Unser Gesetzesvorschlag sieht vor, dass der Senat künftig bei jeder Klimaschutzmaßnahme prüfen muss, inwiefern sie zu sozialen Härten führen. Wenn dem so ist, muss die Politik tätig werden und für einen Ausgleich sorgen, also etwa Förderungen oder Ausnahmeregelungen schaffen.

Wicher: Wie wollen Sie das denn machen? Wollen Sie in jedem Haushalt nachsehen, ob das läuft? Anträge stellen geht heute schon nicht, weil die Behörden massiv überlastet sind.

Töllner: Auch das ist ja eine Folge politischer Entscheidungen. Wenn uns die Transformation Hamburgs zur Klimaneutralität wichtig ist, dann gibt es auch die Möglichkeit, soziale Klimaschutzmaßnahmen zu priorisieren. Das stärken wir, in dem wir die verpflichtende Sozialverträglichkeit ins Gesetz schreiben.

Wicher: Sozialverträglich bedeutet: Es kommt bei keiner Maßnahme eine Belastung für die Menschen hinzu. Das Versprechen wird nicht zu halten sein, das müssen Sie realistisch so festhalten.

Töllner: Wir argumentieren, dass eine Verzögerung von Klimaschutz unsozialer ist. Klimaschutz ist am Ende des Tages Sozialpolitik. Langfristig, weil sie uns vor explodierenden Gaspreisen, sich ausbreitenden Krankheiten und Naturkatastrophen schützt und kurzfristig, weil Maßnahmen den Alltag von Menschen ganz konkret und unmittelbar verbessern können. Nehmen wir den ÖPNV: Macht man ihn bezahlbar, hilft das bei der Verkehrswende – und die Menschen profitieren sofort davon.

taz: Herr Wicher, warum haben Sie ein Problem damit, dass bei einem Erfolg des Zukunftsentscheids Hamburg schon 2040 klimaneutral sein muss?

Wicher: Es geht um Verlässlichkeit: Alle haben sich darauf eingestellt, bis 2045 klimaneutral zu werden. Das ist ja ohnehin schon eine Herausforderung. Der SoVD Bundesverband besitzt ja auch eine Immobiliengesellschaft und die hat jetzt ihre Pläne ausgearbeitet, wie sie bis 2045 das Wohnen klimaneutral macht. Nach dem Willen des Zukunftsentscheids müssten diese Planungen über Bord geworfen werden. Das wäre ein großer und teurer Aufwand – das ist die Realität.

Bild: Jan-Marius-Komorek
Im Interview: Lou Töllner

24, ist Sprecherin des „Hamburger Zukunftsentscheids“.

Töllner: Mit Ansage wiederholt Ziele zu reißen, ist doch keine Verlässlichkeit. Wir wollen die Klimaneutralität verantwortungsbewusst nach vorne ziehen, um das Leben der Menschen in Hamburg zu schützen und diese Stadt langfristig lebenswert zu erhalten.

Wicher: Wir müssen uns vor der Klimakrise schützen, ja. Aber so, wie Sie es vorhaben, wird es nicht funktionieren.

Bild: Jonas Walzberg
Im Interview: Klaus Wicher

77, ist Landesvorsitzender des Sozialverbands SoVD.

Töllner: Dass die Transformation zu einer klimaneutralen Gesellschaft eine gigantische Herausforderung ist, bestreite ich gar nicht. Wir stehen als Gesellschaft aber auch vor einer gigantischen Krise, auf die auch Hamburg nicht angemessen reagiert: Seit Jahren warnt der Klimabeirat, das wissenschaftliche Beratungsgremium des Hamburger Senats, vor eklatanten Lücken bei der Regelung und bei der Verlässlichkeit von Maßnahmen, die für den Klimaschutz unternommen werden müssten. Deshalb sieht unser Gesetzesvorschlag vor, dass jährlich überprüft wird, wo wir stehen – und dass wir nachsteuern, wenn wir Zwischenziele reißen. Es ist jetzt schon klar, dass das, was der Senat bislang unternimmt, nicht ausreicht.

Wicher: Gegen solche Regelungen habe ich auch gar nichts. Nur, was ist mit denjenigen, die heute schon belastet sind: Werden die noch mehr belastet? Wenn sie sich allein die Mieten ansehen: Viele Menschen in Hamburg müssen dafür schon 40, 50 Prozent und mehr ihres Einkommens ausgeben.

taz: Frau Töllner, unterschätzen Sie mit Ihren Forderungen die Folgen fürs Wohnen in Hamburg?

Töllner: Ich merke als Studentin ja selber, wie die hohen Mieten belasten. Und wir haben mit den Mietervereinen, der Caritas oder den Gewerkschaften viele soziale Akteure, die sich für den Zukunftsentscheid ausgesprochen haben, weil die sagen: Klimapolitik ist immer Sozialpolitik. Andernfalls werden die Menschen, die jetzt schon übermäßig betroffen sind, noch mehr belastet.

Das Geld wird nicht ohne Mieterhöhung aufzutreiben sein

Klaus Wicher

Wicher: Eben! Da ist einfach nicht mehr viel Spielraum. Sie behaupten: Die werden nicht betroffen sein, wenn wir das Klimaziel vorziehen. Die Rechnungen sagen aber, es werden über 40 Milliarden Euro für die energetische Sanierung benötigt. Das Geld wird nicht ohne Mieterhöhungen aufzutreiben sein.

Töllner: Eine Studie der Baubehörde zeigt, dass mit Förderung die Mieterhöhungen auf durchschnittlich 40 Cent pro Quadratmeter begrenzt werden können. Gleichzeitig werden Mie­te­r*in­nen dadurch aber vor steigenden Gaspreisen und Gasnetzentgelten und Hitze im Sommer geschützt. Und um die Förderungen verbindlich zu machen und vor sozialen Härten zu schützen, schreibt der Zukunftsentscheid eben die Sozialverträglichkeit fest.

Mie­te­r*in­nen werden vor steigenden Gaspreisen und Hitze im Sommer geschützt

Lou Töllner

Wicher: Aber wenn solche Maßnahmen kommen, dann kostet das erst einmal.

Töllner: Ja, dafür sind etwa im Immobilienbereich die 40 Milliarden Euro, von denen sie gerade sprachen, aufzubringen. Nur: Das ist genau die Summe, die schon bei dem bestehenden Klimaziel 2045 aufgebracht werden muss. Die Kosten kommen ohnehin auf uns zu. Wieso sollte die Summe also steigen, nur weil wir die Maßnahmen etwas früher umgesetzt haben wollten? Im Gegensatz ist es doch so, dass es immer teurer wird, je länger wir warten. Denken Sie an steigende Baukosten: Die Baubehörde musste ihre Kostenprognose allein zwischen 2021 und 2024 um 20 Prozent nach oben korrigieren. Wenn wir einfach abwarten, sitzen wir am Ende vor noch größeren Kosten.

Wicher: Aber nehmen wir die Immobilienunternehmen, darunter sind in Hamburg eine Menge Genossenschaften. Die haben einen Topf für Modernisierungen und einen für Neubau. Sie werden das Geld für energetische Sanierungen aus dem Topf für den Neubau nehmen müssen. Das kann man machen, aber wir haben in Hamburg eine Wohnungsnot. Wenn sie das Geld nicht aus diesem Topf nehmen wollen, haben sie also gar nicht die Mittel, jetzt so schnell zu investieren. Was müssen die dann also machen? Kredite aufnehmen. Die sind aber teuer und für die Zinsen müssen zusätzliche Einnahmen geschaffen werden, was Mietsteigerungen bedeuten wird – und damit zu einer zusätzlichen Belastung für Mie­te­r:in­nen wird.

taz: Oder der rot-grüne Senat unterstützt bei der Sanierung unter der Voraussetzung, dass die Mieten dann nicht durch die Decke gehen.

Wicher: Da hat der Finanzsenator ja schon gesagt, dass dafür keine Mittel vorhanden sind.

taz: Das würde ich als Finanzsenator auch erst mal behaupten.

Wicher: Ich habe nicht den Eindruck, dass der Senat nicht willens ist, die Klimaneutralität anzustreben. Nur irgendwo muss das Geld dafür herkommen.

Töllner: Der Klimabeirat hat doch aber klargestellt, dass die bisherigen Bemühungen nicht einmal ausreichen, um die selbstgesteckten Ziele zu erreichen.

Wicher: Und Sie wollen sie noch verschärfen. Das kann allein schon deswegen nicht funktionieren, weil es weder bei den Behörden, noch, um beim Wohnen zu bleiben, in den Handwerksbetrieben genug Personal gibt, das Ihre Forderungen umsetzen kann.

Töllner: Solche Debatten haben wir auch schon vor fünf Jahren geführt, warum das alles nicht geht. Immer war Klimaschutz zu teuer, zu schnell, zu unrealistisch. Wenn wir uns jetzt nicht endlich mal auf den Weg machen, dann sitzen wir in fünf Jahren wieder hier und führen wieder dieselbe Debatte, während die Klimakrise weiter eskaliert.

Wicher: Aber wir werden doch klimaneutral bis 2045, das ist beschlossen. Alles andere erscheint mir überhaupt nicht realistisch zu sein – oder nur unter zu großen Zumutungen für Menschen, die schon jetzt am Rand ihrer Möglichkeiten stehen. Das ist eben nicht sozialverträglich und stärkt nur diejenigen, die Klimaschutz ohnehin nicht wollen.

Töllner: Die Klima- und Umweltbehörde des Senats hat dazu ein Gutachten erstellen lassen: Da steht ganz klar drin, dass die angestrebte Klimaneutralität bis 2040 möglich ist. Ja, das würde eine große Herausforderung, schreiben die Gutachter:innen, aber nochmal: Es wäre möglich.

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1 Kommentar

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  • Ich denke eine so reiche Stadt wie Hamburg sollte hier als Beispiel vorangehen. Jeder kann dann sehen ob es klappt oder nicht! Im Zweifel kann Hamburg ja die Ausgleichszahlungen an Berlin kürzen, wenn der Wohlstand flöten geht und die Kosten steigen.