Stromtrassen in Altdorf bei Nürnberg: „Es scheitert am politischen Willen“

In Altdorf bei Nürnberg zeigt sich: Für die Energiewende reichen Berliner Beschlüsse alleine nicht aus. Sie muss regional und lokal ausgehandelt werden.

In Altdorf bei Nürnberg regt sich Widerstand Bild: Paul Toetzke

von VOLKAN AĞAR

Rappelvoll war der Veranstaltungsraum im Gasthaus des Altdorfer Sportparks am Montagabend, 22. Mai 2017. Hier ist der Turnverein 1881 Altdorf e.V. zuhause. Und hier trafen sich im Rahmen der taz.meinland-Veranstaltung „Unter Strom“ die wichtigsten lokalen und regionalen Player, engagierte Bürger*innen und andere Interessierte zu einem immer wieder hochkochenden Gespräch über Bayerns Energiezukunft.

Wer an diesem sonnigen Frühsommertag an den saftig-grünen Wiesen und hügeligen Landschaften des Nürnberger Landes vorüber fährt, und durch die mittelalterliche Altdorfer Innenstadt schlendert, genießt die provinzielle Harmonie.

Am runden Tisch der taz wird er dann überrascht von hoch emotionalen Redebeiträgen und gar einer vereinzelten rhetorischen Ausfälligkeit, die das Streitthema Energieversorgung und Energiewende in Bayern bereithält.

Strom aus nordfriesischen Windparks?

Worum gestritten wird: Es sollen Stromtrassen gebaut werden, um Strom aus nordfriesischen Windparks in den Süden der Republik zu transportieren und somit, in Zeiten der Energiewende, die Versorgungssicherheit auch in Bayern zu gewährleisten. Viele, die sich im Sportpark versammelt haben, sprechen sich gegen diesen Plan aus.

In der Region haben sich zahlreiche Bürger*inneninitiativen formiert. Anfang 2014 startete die bayrische Energieministerin Ilse Aigner (CSU) einen „Bürgerdialog“ zum Thema. Die Fronten scheinen sich seither jedoch eher verhärtet als aufgeweicht zu haben.

Auch deshalb steigt Moderator und taz.meinland-Redakteur Jann-Luca Zinser mit einer bestimmten Frage ein: „Wie sähe ein Kompromiss aus, mit dem alle Konfliktparteien leben könnten?“ Die Frage erweist sich als etwas vorschnell. Dass an wirklich überzeugende Kompromisse noch nicht zu denken ist, zeigt der weitere Gesprächsverlauf, in dem der Konflikt von vielen Seiten formuliert wird.

Wie Versuchskaninchen

Das „Aktionsbündnis gegen die Südostpassage“ kämpft für eine dezentrale Energiewende ohne neue Stromtrassen. Deren Vertreter Hubert Galozy, der mit am runden Tisch von taz.meinland sitzt, kritisierte die gesundheitlichen Folgen, welche die neuen Stromleitungen bringen.

„Es gibt kein Energiekonzept in Bayern. Wir brauchen ein neues Energiekonzept, ein dezentrales.“

Solche Folgen sind wissenschaftlich bislang nicht erwiesen, wohl aus Ermangelung verlässlicher Langzeitstudien. Man fühle sich wie ein Versuchskaninchen. Viele im Publikum nicken.

Sein Aktionsbündnis argumentiert, dass die neuen Leitungen einer Energiewende im Weg stünden, da sie nicht Windenergie mobilisieren, sondern vor allem dem europäischen Stromhandel dienten. Denn der in Norddeutschland produzierte Strom würde nicht einmal den Bedarf jener Region abdecken.

Transparenz im Planungsprozess

Auch witzelt Galozy über die Abwesenheit der verantwortlichen CSU-Politiker*innen und TenneT. Er hängt sich ein selbstgemaltes Schild um den Hals, auf dem der Name des Übertragunsnetzbetreibers, TenneT, geschrieben steht: „Weil sie nicht zu den Gesprächen kommen, stellen wir die Gespräche selbst nach. Wir wissen ja mittlerweile, wie sie argumentieren“, erklärt er.

In einem Informationsblatt des Aktionsbündnisses heißt es, die Bundesnetzagentur ließe sich von jenem Betreiber beeinflussen. Das Bündnis weist auf steigende Netzentgelte hin und beklagt sich über die mangelhafte Kommunikation und Transparenz im Planungsprozess.

Dagegen macht sie sich stark für eine sogenannte „dezentrale Energiewende“, die von unten nach oben gestaltet ist. Bei dieser sollen sowohl Eigenheimbesitzer, als auch regionale Akteure in den Prozess einbezogen werden.

Die CSU fehlt am runden Tisch der taz

Dr. Herbert Barthel vom BUND sieht das ähnlich: „Es gibt kein Energiekonzept in Bayern. Wir brauchen ein neues Energiekonzept, ein dezentrales“, sagt er. Er konstatiert, dass trotz Willenserklärung zur Energiewende immer noch ein Kohlekonzept vorherrsche und fordert die Bundesregierung auf, die Formulierung des geforderten neuen Programms voranzutreiben.

„Wieso hat sich die Grüne so verändert?“

Zudem müsse deren Gestaltung demokratischer sein, da Energiekonzepte bisher nicht im Parlament diskutiert würden. Dass die CSU, die beim runden Tisch von taz.meinland nicht dabei ist, eben dazu nicht bereit sei, überrascht ihn nicht: „Die haben die Stimmen, die sie brauchen. Deswegen haben sie nicht das Gefühl, dass sie über diese Fragen diskutieren müssen.“

Will man denn wirklich aussteigen?

Ralph Lenkert, Bundestagsabgeordneter der Linken, spricht die Bürger*innen im Sportpark unmittelbar auf die politischen Kräfteverhältnisse in Bayern an: „Wenn die Linke 15% bei den Bundestagswahlen bekäme, dann würden die Trassen nicht gebaut werden“, verspricht er halb im Ernst, halb im Scherz.

Während eine Frau aus dem Publikum die Ohnmacht der Lokalpolitik und der Bürger*innen in der Energiefrage anspricht, spielt Lenkert den Ball zurück: Durch die Wahlen hätten die Bürger sehr wohl Einfluss auf die Energiepolitik – und hier hätten sich die meisten eben für die CSU und ihre Unverbindlichkeit entschieden.

Der Atomausstieg sei zwar beschlossene Sache, „aber will man denn wirklich aussteigen?“, fragt er. Dabei sei nicht nur die Intransparenz im Planungsprozess ein Problem, sondern auch die Tatsache, dass Kraftwerkbetreiber in Deutschland „machen dürfen, was sie wollen“. Diese könnten Kraftwerke bauen „wo sie wollen“ und das Netz müsse ihnen folgen. So sieht Lenkert die Konzerne vor dem Bürger*innenwillen eindeutig im Vorteil.

Große Einstimmigkeit am runden Tisch

Alexander Rossner, der gerade dabei ist, eine neue Partei mit dem Namen „Zeit zu handeln“ zu gründen, führt den Konflikt ebenso auf wirtschaftliche Interessen zurück. Der Jurist verweist auf eine Verfassungsmaxime: „Wirtschaftliche Tätigkeit soll der Gemeinschaft dienen“.

Beim Thema Energiepolitik werde dieser Grundsatz bisher übergangen. Auch deshalb fordert Margit Kiessling, grüne Kommunalpolitikerin im Wahlkreis Nürnberger Land, dass der Bedarf der Stromtrasse neutral durch eine unabhängige Kommission beurteilt werden müsse.

Sie verweist auf die Oberpfalz als Positivbeispiel für die demokratische Gestaltung der Energiewende. Auch für sie ist klar, wieso dasselbe in Bayern nicht funktioniert: „Es scheitert am politischen Willen“. In Altdorf herrscht am runden Tisch große Einstimmigkeit, die an diesem Abend nur von einer Stimme am runden Tisch herausgefordert wird. Ausgerechnet jene gehört dem bayerischen Landtagsabgeordneten der Grünen, Martin Stümpfig.

Stromtrassen werden gebraucht

Dieser findet, dass die Stromtrassen gebraucht werden, wenn tatsächlich und gänzlich auf Kernkraft verzichtet werden soll. Darüber hinaus sei es ohnehin nicht möglich, den gesamten Strombedarf Bayerns mit regionaler Windenergie abzudecken: So viele Windräder hätten in der Region ohnehin keinen Platz, argumentiert er.

Nicht nur im Süden Deutschlands bereitet die Energiewende Probleme: taz.meinland war in Albersdorf und sprach mit Betroffenen über Windenergie.

Mit Kopfschütteln und Raunen reagieren die meisten Anwesenden auf Stümpfigs Einwürfe – nicht nur bei diesem, sondern bei den meisten seiner Beiträge an diesem Abend. Kurz vor dem Ende des Gesprächs meldet sich ein Gast und spricht Stümpfig direkt an: „Für mich waren die Grünen immer eine Partei, die es geschafft hat, verschiedene gesellschaftliche Strömungen einzufangen.“ Heute sei das nicht mehr so. Der Mann fragt deshalb: „Wieso hat sich die Grüne so verändert?“

Dem Grünen Landtagsabgeordneten fällt es schwer, ad hoc darauf zu antworten. Er verliert sich kurz in Details – appelliert an die Bürger*innenverantwortung für die Energiewende und sparsamen Stromverbrauch – und sagt später: „Wir Befürworter der Energiewende dürfen uns nicht auseinanderdividieren lassen!“