Studie zu deutschen Politikern im Web 2.0: Alles schläft - einer bloggt

In den USA schlägt Obama aus den Möglichkeiten des Web 2.0 längst politisches Kapital. Doch deutsche Politiker, so eine Studie, glänzen im interaktiven Netz durch Abwesenheit.

Obama hält sich schon auf allen interaktiven Plattformen im Netz auf; deutsche Politiker setzen noch exklusiv auf den Besuch von Ortsvereinen und Bürgerhäusern. Bild: screenshot myspace.com

Gregor Gysi hat siebzehn Freunde. Nicht viel für einen Politiker, mag man sich denken, aber es kommt noch dicker: Angela Merkel hat nur einen Freund. Und das, obwohl es sie gleich doppelt gibt - auf StudiVZ. Stärkste Zweifel sind angebracht, ob die Bundeskanzlerin tatsächlich hinter den Benutzerprofilen steckt, denn: Bundespolitik findet in einer der größten deutschen Web-2.0-Plattformen kaum statt. Wenn die Namen von Spitzenpolitikern hier oder bei den vergleichbaren Portalen myspace, facebook und XING auftauchen, stecken dahinter in den allermeisten Fällen normale User, die sich mit einer neuen Identität ausgestattet haben.

Dass die deutschen Politik im Web 2.0. durch Abwesenheit glänzt, ist das fahrlässige Auslassen einer großen Chance. Zu diesem Ergebnis kommt die Berliner Online-Agentur "newthinking communications". Ihre Kurzstudie mit dem Titel "Politik im Web 2.0" beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit Parteien und Spitzenpolitiker das Internet für sich nutzen. 2009 stehen mit der Europawahl im Juni und der Bundestagswahl im Herbst zwei wichtige politische Ereignisse ins Haus. Da das Internet im öffentlichen und privaten Leben eine immer größere Rolle spielt, Kommunikation vermehrt über Communitys und weblogs stattfindet, läge es für die Parteien nahe, die interaktiven Möglichkeiten des Web auch für die kommenden Wahlkämpfe zu nutzen.

Die Studie aber zeigt: Bisher gibt es hierzulande nur wenige politische Aktivitäten über die interaktive Internetnutzung. Der Podcast der Bundeskanzlerin beispielsweise ist ein Gehversuch in diese Richtung. Doch ohne die Möglichkeit, Kommentare zu schreiben, wird der Nutzer auf Distanz gehalten. Von Interaktivität keine Spur. Bei den Liberalen sieht das ein bisschen anders aus: FDP-Generalsekretär Dirk Niebel schreibt alle zwei Wochen Einträge in blog.fdp.de. Er erhält aber nur selten Kommentare. Niebel stellt eine Ausnahmeerscheinung dar: Kein anderer Spitzenpolitiker betreibt ein Weblog.

Wer glaubt, es mit einem Generationenproblem zu tun haben, sieht sich getäuscht. Internet und alles, was dazu gehört, gilt immer noch als junges Thema. Doch die Nachwuchsorganisationen der Parteien sind dort kaum besser aufgestellt. Zwar verfügt die grüne Jugend über ein Weblog und ein eigenes wiki; auch die Jungliberalen bloggen, und die Jusos haben das zumindest mal getan. Wer aber derartiges bei der JU oder den jungen Linken sucht, wird nichts finden. Im StudiVZ und bei Facebook haben der Jungliberalen-Chef Johannes Vogel, der Sprecher der Grünen Jugend, Jan Albrecht, sowie Julia Bonk und Haimo Stiemer von der Linksjugend eigene Profile. Aber auch die sehen nicht nach groß angelegter Kampagne aus; vielmehr erweckt es den Anschein, als seien dies privat genutzte Profile normaler Internetbenutzer.

Ob die Politiker gar nicht wissen, welche Möglichkeiten sich ihnen im Web 2.0. bieten oder, ob sie nur nicht experimentierfreudig genug sind, um sie auszuprobieren, bleibt offen. Dabei zeigt das Beispiel der US-Präsidentschaftsvorwahlen doch

eindrucksvoll, wie interaktives Internet genutzt werden kann. Vor allem Barack Obama versteht sich darauf, auf allen möglichen Plattformen präsent zu sein. Über den Kurzblogdienst twitter (twitter-Link) verkündet er regelmäßig Entscheidungen. Bei YouTube kann nahezu jede seiner Reden abgerufen werden. Bei Facebook und myspace kann man sich sogar mit ihm anfreunden: Auf seiner myspace-Seite hat der Präsidentschaftskandidat der Demokraten zur Zeit 412.303 Freunde.

Den effektiven Nutzen von Präsenz im Web 2.0 kann auch die Berliner Kurzstudie nicht messen. Doch die virtuelle Omnipräsenz führte von Barack Obama führte dazu, dass er in den USA vor allem unter Jugendlichen an Popularität gewann. Ein guter Anlass für deutsche Parteien, über interaktive Internetauftritte nachzudenken. Das empfehlen auch die Macher der Studie. Sie behaupten: Wer im Internet inaktiv bleibt, wird bei den jungen Wählern keinen Stich machen.

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