Suizidserie in Italien: Arroganz der Politik tötet

Eine Suizidserie erschüttert Italien. Liegt es an der Wirtschaftskrise? An der Regierung? Gar an der preußischen Pünktlichkeit bei der Steuerzahlung?

Protest von Angehörigen eines Suizidopfers vor der Steuerbehörde in Bologna. Bild: dapd

Eine Auflistung der Verzweifelten, die sich seit Anfang des Jahres in Italien das Leben genommen haben, liest sich wie ein Kriegsbericht – weit über 40 Personen sind es bis heute.

Von Belluno im Nordosten bis hinunter nach Catania, Sizilien – die Selbstmorde gleichen einem anschwellenden Fluss, der sich seinen Weg entlang der Halbinsel bahnt und immer mehr Menschen mitreißt. Viele verarmte Arbeitslose, aber auch Mittelständler aus allen Branchen, vom Bauunternehmer bis zum Handwerker, vom Kaufmann bis zum Klempner.

Der eine erschießt sich, ein anderer stürzt sich aus dem Fenster oder greift zum Strick. Von einer „Strage di stato“, von „Staatsterror“ sprechen die Medien, ein Begriff aus einer ganz anderen, wenngleich nicht minder düsteren Zeit.

Damals, in den 1970er Jahren, als linker und rechter Terrorismus das Land im Bann hielten, vermuteten viele – und durchaus zu Recht – hinter den blutigen Attentaten eine Destabilisierungsstrategie der Geheimdienste und der Nato-Geheimorganisation Gladio.

Kein Zeichen des Wandels

Mit den jetzigen Selbstmorden haben die Geheimdienste nichts zu tun, für einen Großteil der Öffentlichkeit trägt aber der Staat trotzdem die Verantwortung. Preußische Pünktlichkeit verlange er von seinen Bürgern bei der Steuerzahlung, während er sich bei seinen unbezahlten Rechnungen Zeit ließe – bis zu zwei Jahren. Und nicht nur das.

Genau zwanzig Jahre ist es her, seit Mailänder Staatsanwälte die damalige Parteilandschaft in Schutt und Asche legten. „Mani pulite“, „Saubere Hände“, hieß die Aktion zur Bekämpfung von Korruption, Amtsmissbrauch und illegaler Parteienfinanzierung, die auch damals viele Unternehmer, wenngleich von ganz anderem Kaliber, in den Selbstmord trieb.

Zwei Jahrzehnte später steht das Land vor einem ähnlichen Scherbenhaufen. Wieder geht es um Korruption, Vetternwirtschaft und Veruntreuung von Parteigeldern. Doch die Parteien weigern sich stur, ein klares Zeichen des Wandels zu setzen, zumindest auf einen Teil der 2 Milliarden Euro, die sie jährlich von Staat bekommen, zu verzichten. Fahrende Züge darf man nicht aufhalten, lautet ihre Warnung.

Gefühl der Ohnmacht

Kein Wunder also, dass immer mehr Italiener von einem Gefühl der Ohnmacht übermannt werden. Der kleine Mann sieht sich der eisernen Strenge einer Regierung ausgesetzt, die nicht fähig ist, die politische Klasse mit der gleichen Erbarmungslosigkeit zu züchtigen.

Die Italiener haben die Bürde der neuen Steuerlast akzeptiert, wohlwissend, dass man nicht weiter wirtschaften kann wie bisher. Um so weniger erträgt man die Arroganz der Politik, die die Bürger einfach fallen lässt, als handle es sich bei den Selbstmorden um Kollateralschäden.

Vergangenen Freitag haben sich die Witwen dieser Unternehmer in Bologna zu einer Kundgebung getroffen: „Unsere Männer sind Opfer dieses Staates“, war ihre Parole.

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