Symposium in Berlin: Energiewende ohne Sinn

Der Chef des neoliberalen ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, blamiert sich als Energieexperte – und erntet leider nur wenig Widerspruch. Ein Ortsbesuch.

Produziert ungleichmäßige Energie: ein Windrad. Bild: dpa

BERLIN taz | Das Problem an eindeutigen Prognosen ist, dass sie im Nachhinein leicht überprüft werden können. Im Jahr 1993 legten sich die deutschen Energieversorger in großen Zeitungsanzeigen fest: „Regenerative Energien wie Sonne, Wind und Wasser können auch langfristig nicht mehr als 4 % unseres Strombedarfs decken.“ Das war genau der Anteil, der damals erreicht war. 21 Jahre später tragen die erneuerbaren Energien knapp 28 Prozent zur deutschen Stromversorgung bei.

Doch diese spektakuläre Fehlprognose beeindruckt die Kritiker der Energiewende offenbar nicht. Zu ihren bekanntesten Vertretern gehört der Münchener Ökonom Hans-Werner Sinn, Leiter des neoliberalen ifo-Instituts.

Der weitere Ausbau von Ökostrom-Kraftwerken in Deutschland sei physikalisch ausgeschlossen, verkündete er am Mittwoch bei einem Symposium in Berlin: „Deutschlands Energiewende hat das mögliche Maß erreicht“, lautet das Fazit seines Vortrags im Innenhof der Bayerischen Landesvertretung, unter dessen Glasdach an diesem Vormittag recht gut zu spüren ist, wie viel Energie in der Sonne steckt.

Sinns zentrales Argument ist, dass es nicht gelingen werde, die ungleichmäßig produzierte Energie aus Wind und Sonne zu speichern. Um Sonnenstrom aus dem Sommer im Winter nutzen zu können, seien tausende von riesigen Pumpspeichern notwendig – oder 159 Millionen Batterien, wie sie im Elektroauto BMW i3 zum Einsatz kommen. Das sei „vollkommen abwegig“. Auch die Umwandlung von Strom in Wasserstoff oder Methan hält er für Unsinn, weil dabei mehr als die Hälfte der Energie verloren gehe.

Derzeit ist die fehlende Speichermöglichkeit allerdings noch kein Problem, das muss auch Sinn einräumen. Zu keinem Zeitpunkt haben erneuerbare Energien bisher mehr Strom produziert als in Deutschland verbraucht wird. Und selbst bei einer Verdopplung der erneuerbaren Energien wäre der Speicherbedarf noch überschaubar, das zeigen neben diversen Studien auch Sinns eigene Grafiken. Trotzdem ist der Ökonom überzeugt: „Das Problem werden Sie nicht in den Griff bekommen.“

Verbreitet mutige Thesen: Prof. Hans-Werner Sinn (ganz links) Bild: M. Kreutzfeldt

Atomkraft als Alternative

Für deutlich besser beherrschbar hält Sinn offenbar die Atomkraft, die er als Alternative propagiert. Den deutschen Ausstieg hält er für einen „historischen Fehler“, den Neubau von Reaktoren für sinnvoll und wünschenswert. Reale Zahlen interessieren dabei weniger. In China werde „jeden Monat ein Atomkraftwerk eröffnet“, erklärt Sinn (2014 waren es fünf, 2013 nur zwei und 2012 gar keins). Und auf die gewaltigen finanziellen und technischen Probleme der aktuellen Neubauprojekte in Europa geht er lieber gar nicht erst ein.

Eigentlich hätte die Veranstaltung eine ideale Chance geboten, Sinns Thesen, auf die sich viele Energiewende-Gegner berufen, endlich einmal genau zu widerlegen. Denn Veranstalter des Symposiums war neben dem Ifo-Institut der Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung.

Dessen Vorsitzender Martin Faulstich antwortet auf Sinns Vortrag zwar mit einem ausführlichen Überblick über die Chancen der Energiewende und betonte den möglichen technischen Fortschritt auch bei Speichern; er verzichtete aber darauf, die fragwürdigen Annahmen von Sinn im Detail auseinander zu nehmen.

Doch ob die klare Vorhersage stimmt, dass die Energiewende physikalisch nicht weitergehen kann und die Zukunft der Atomkraft gehört, wird ja zum Glück die Wirklichkeit zeigen – nicht erst in 21 Jahren.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.