Syrien-Tagebuch Folge 12: Liebesgeschichten gegen Folter

In Syriens Gefängnissen treffen Leute jeden Alters und aus allen Gesellschaftsschichten aufeinander. Ein Student erzählt, was ihm dort passierte.

Protestaktion in Beirut gegen den Tod von Gefangenen. Bild: reuters

Der Journalistikstudent Orwa (29) filmte 2011 die Proteste und wurde mit 62 Videos auf seinem Computer geschnappt, festgenommen und gefoltert. Anfang 2012 floh er in den Libanon.

Ich kam in das Flughafengefängnis Mezze, das bekannt ist als eines der schlimmsten Folterzentren in Syrien. Sie wollten wissen, warum ich die Demonstrationen filme, wer dahinter steckt, wer mich finanziert, die üblichen Fragen. Dann kamen sie mit dieser Spion-Geschichte – ich sei ein Spion des Westens und so weiter.

Sie schlagen mit Lederriemen auf Fußsohlen, versetzen dir Stromschläge oder prügeln dich bewusstlos. Aber schlimmer als die Folter am eigenen Leib waren die Foltergeräusche, die du 24 Stunden lang gehört hast. Das hat uns fertig gemacht.

Wir waren 12 Leute in einer Zelle, die 2,80 Meter mal 1,80 Meter groß war. Der Alltag war eine einzige Strafe. Wenn du aufs Klo musstest, wurdest du geschlagen, es gab kaum was zu essen – es war die Hölle. Die Gefangenen kamen aus ganz Syrien und aus allen Gesellschaftsschichten – Ärzte, Ingenieure, Studenten, Arbeiter, Bauern. Unter den Verhafteten waren tolle Menschen, die besten Jungs Syriens habe ich im Gefängnis getroffen. Und es gab Leute, die auf Seiten des Regimes standen.

Die zwölf in meiner Zelle hatten ganz verschiedene Hintergründe, der Älteste war 60, der Jüngste 14 Jahre alt. Wir vereinbarten, dass wir der Folter mit Humor entgegentreten wollten, wir wollten sie mit Witzen bekämpfen, mit Geschichten, die wir uns gegenseitig erzählten.

Erzählungen und Geschrei

Eines Nachts beschlossen wir, uns unsere Liebesgeschichten zu erzählen. Wir mussten flüstern und im Hintergrund hörten wir diese Foltergeräusche, dieses Geschrei. Die Geschichten waren sehr unterschiedlich, denn jeder von uns hatte seine Überzeugung und Lebensweise. Manche waren religiös und konservativ, andere liberal, und der 14-Jährige war ja noch ein Kind.

Beim Erzählen kam die Schönheit all dieser Menschen zum Vorschein, wir redeten und hörten uns die ganze Nacht zu. Es war wunderbar und außergewöhnlich. Die Liebesgeschichten verbreiteten eine solche Schönheit, und das an einem so hässlichen Ort und in einem Moment, in dem es uns so dreckig ging.

Keine Wahl

Dann haben sie mich vor Gericht gestellt und wegen „Kampfes gegen die Verfassung mit militärischen Mitteln“ verurteilt. Ich hatte Glück und kam auf Bewährung frei. Ich habe weitergemacht, bin ins Umland von Damaskus gegangen. Als die Gewalt immer schlimmer wurde, haben sich die Aktivisten bewaffnet. Wenn Armeeeinheiten bis an die Zähne bewaffnet einmarschieren und von morgens bis abends auf Zivilisten schießen, dann habe ich keine Wahl. Das Regime hat sie gezwungen, zu den Waffen zu greifen, das war Assads Strategie.

Ich kenne Jungs in der Freien Syrischen Armee (FSA), die als Demonstranten an die Grenzen des Erträglichen gegangen waren. Die ein viel größeres Bewusstsein hatten als manche syrische Intellektuelle. Diese Leute haben mich überrascht. Wie sie da rausgingen und demonstrierten, 50 Leute starben und sie marschierten einfach weiter und riefen „friedlich friedlich“. Das hatte fast etwas engelhaftes.

Protokoll: Kristin Helberg

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