Syrische Flüchtlinge in Deutschland: Warten, bis Assad weg ist

Der eine ist Kurde, der andere Christ – beide sind Syrer. Vor dem Bürgerkrieg sind sie nach Deutschland geflohen. Für den Schutz sind sie dankbar.

Verunstaltetes Assad-Poster in Aleppo Bild: reuters

BERLIN taz | Sie hatten ihn vorgewarnt. Einen kleinen Zettel hatte Erol* gefunden, als er den Rollladen seines Friseursalons hochschob: „Es ist Zeit für dich und deine Brüder, zu sterben“. Erol öffnete den Laden trotzdem und machte sich an die Arbeit.

Sie sind tatsächlich gekommen, noch am selben Abend. „Zehn oder fünfzehn waren es“, schätzt Erol. Ob religiöse Fanatiker oder Schergen des syrischen Diktators Baschar al-Assad, weiß er nicht. „Vermummt waren sie“, erinnert sich der 26-Jährige, „meinem kleinen Bruder haben sie die Nase gebrochen.“ Younadam* zeigt bestätigend auf sein schiefes Nasenbein. Auch Ammo* nickt heftig mit dem Kopf. Seit seiner Geburt ist der jüngste der drei Brüder geistig behindert. Auch ihn haben sie geschlagen, sagt Erol. Ammo nickt.

Auf Younadams Laptop erscheint das Foto von einem Hund. Als das Tier die Vermummten angriff, erschossen sie es. Dann flohen sie vor der anrückenden Polizei. Für Erol und seine Brüder begann eine Odyssee, die ihr vorläufiges Ende in einem Asylbewerberheim in Berlin-Spandau gefunden hat.

Syrische Flüchtlinge: Die Zahl der Asylanträge von Syrern in Deutschland wächst stetig. Nach Serbien und Mazedonien zählt Syrien derzeit zu den Hauptherkunftsländern. Im September haben 745 Syrer Asyl beantragt. Seit Beginn des Aufstands im März 2011 waren es gut 6.000 Menschen.

Abschiebestopp: Fast alle Asylanträge von Syrern, die bereits in Deutschland sind, werden derzeit positiv entschieden. Im Falle einer Ablehnung gilt ein Abschiebestopp nach Syrien sowie nach Griechenland (Duldung).

Humanitäre Aufnahme: In akuten Krisensituationen kann die Bundesrepublik Flüchtlinge aufnehmen und ihnen die illegale Einwanderung ersparen. Außenpolitiker aller Parteien haben sich für ein solches humanitäres Aufnahmeprogramm ausgesprochen. Die Bundesregierung zögert jedoch. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) plädierte dafür, Flüchtlingen „vor Ort“, also in den Nachbarländern Syriens, zu helfen, und schiebt die Verantwortung an die EU ab. Die Türkei, die inzwischen 100.000 Flüchtlinge aufgenommen hat, forderte die EU am Montag explizit auf, bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise zu helfen. (hag)

Erol ist einer von über 6.000 Flüchtlingen, die vor dem Kriegschaos in Syrien geflohen sind, um in Deutschland Asyl zu suchen – viele sind über die Türkei und Griechenland gekommen, in Autos, Booten und Lkw. Illegal.

Deutsche Worte wie „Heim“ und „Bundesamt“

Nun sitzt Erol in seinem bescheidenen Zimmer in Berlin. Seit seiner Ankunft vor zwei Monaten teilt er es sich mit seinem Bruder Younadam. „Das Wichtigste ist jetzt, Deutsch zu lernen“, sagt er. Erol spricht Arabisch und Assyrisch, die Sprache der Christen in Syrien. Kein Wort Englisch, auch im Deutschen kennt er nur einzelne Wörter wie „Heim“ oder „Bundesamt“. Gern würde er arbeiten, aber als Asylsuchender in Deutschland darf er das nicht.

In ihrem Friseursalon in Hassakeh, einer Stadt im Nordosten Syriens, haben die beiden über siebzig Stunden pro Woche gearbeitet – „nur um etwas zu essen zu haben“, sagt Erol. Für Politik sei keine Zeit gewesen. Er ist stolz darauf, dass er mit „den Ereignissen“, wie er den Bürgerkrieg in Syrien nennt, eigentlich nichts zu tun hat.

Eigentlich. Erol krempelt den linken Ärmel seines Kapuzenpullis hoch. Auf seinem Oberarm prangt eine tätowierte Fantasiefigur mit ausgestreckten Armen und zwei Drachenköpfen. Hochgezogene Ärmel muss er auch gehabt haben, als die Salafisten das Kreuz sahen, das er ursprünglich an dieser Stelle eintätowiert hatte. Viele Christen im Nahen Osten tragen solche Kreuze als Zeichen ihres Glaubens – an Arm, Handgelenk oder auf dem Rücken.

„Die nötigen Werkzeuge haben sie gleich mitgebracht“, berichtet Erol – für eine „Zwangstätowierung“, im eigenen Friseursalon. Auch das war eine Warnung, lange vor dem Angriff auf den Salon. Als Younadam das unfreiwillige Tattoo seines Bruders sieht, lässt er das kleine Kreuz auf seinem Handrücken verunstalten.

Die Brüder Erol* und Younadam* in Berlin-Spandau Bild: Jannis Hagmann

Die Salafisten stellten nicht das einzige Problem für Younadam und Erol dar. Kurdische Parteien kontrollieren einen Teil ihrer Heimatregion, die ansonsten von Regierungstruppen und der Freien Syrischen Armee umkämpft wird. Die staatliche Armee wollte die Jungs als Kämpfer. Auch die Revolutionäre wollten sie auf ihre Seite ziehen. „Hätten wir uns den Revolutionären angeschlossen, hätten die Regierungstruppen unsere Familie umgebracht“, glaubt Erol. „Und umgekehrt. Wir hatten keine Wahl.“

Nach dem Angriff auf den Friseursalon steht fest: Erol muss Syrien verlassen. Der Vater verkauft das Haus der Familie, Erol setzt sich mit dem Geld nach Istanbul ab. Im Gepäck hat er seine kleinen Brüder Younadam und Ammo. Von Istanbul aus überqueren sie die Grenze nach Griechenland.

Fast 10.000 Euro

„Wir mussten durch einen Wald laufen“, erinnert sich Erol vage. Wo die griechische Regierung derzeit einen meterhohen Stacheldrahtzaun errichten lässt, schaffen es die drei in die EU. Unterschlupf finden sie in Egaleo, einem Athener Industrievorort. Erol betrachtet sein Zimmer in Spandau. „Halb so groß war es“, schätzt er, „wir waren zu zehnt.“ Betten? „Nein, wir haben auf dem Boden geschlafen.“ – „Übereinander“, fügt er scherzhaft hinzu. 1.000 Euro pro Person wollten die muharribin haben, wie Erol die Schlepper auf Arabisch nennt.

Erol rechnet vor: 2.000 Euro für den Weg nach Griechenland, 1.000 für die Unterkunft, 5.000, um nach Deutschland zu kommen, Flug und gefälschte Pässe inklusive. „Bulgarische“, sagt Erol. „Tschechische“, verbessert ihn Younadam.

Genau zwei Euro haben sie über, als sie am Flughafen in Berlin-Tegel eintreffen. Erol lacht, „für drei Leute“. Noch am Flughafen werden sie festgenommen. Die tschechischen Pässe haben sie im Flugzeug zerrissen, so verlangten es die Schlepper.

Dann stimmt Erol ein Loblied auf die deutsche Polizei an. Keine Polizei der Welt würde Flüchtlingen Geld geben, damit sie sich Essen kaufen können. Jedem der Jungs stecken die Polizisten fünf Euro zu. Pizza und Cola hätten sie sich davon gekauft, sagt Erol. Auch Zigaretten geben ihnen die Polizisten. „Und ich dachte, die Polizei wäre überall so wie in Syrien.“ Am Fensterbrett draußen vor Erols Zimmer in Spandau weht jetzt eine Deutschlandflagge, eine jener schwarz-rot-goldenen Fanartikel zum Anstecken an Autoscheiben.

„Ich werde schon lange politisch verfolgt“

Im Gebäude nebenan hängt eine rot-weiß-grüne Flagge an der Wand, die Flagge Kurdistans. Anas* sitzt in seinem Zimmer auf dem Boden. Auf dem Bett zwei weitere Kurden, einer aus der Türkei, der andere wie Anas aus Syrien. „Wir sind zunächst Kurden, dann Syrer“, erklärt Anas, der Ende zwanzig und frommer Sunnit ist – ein bisschen zu fromm, sagen seine christlichen Landsmänner im Heim. Über Religion sprechen die Christen mit den muslimischen Kurden nicht, man komme aber gut miteinander zurecht. Die Zeit schlagen sie dennoch getrennt voneinander tot, trinken Tee, Kaffee, spielen Playstation.

„Ich werde schon lange politisch verfolgt“, berichtet Anas sichtlich stolz. Er sitzt im Schneidersitz und klappt, wie zum Beweis, die verkrusteten Fußnägel seiner großen Zehen hoch. Den linken hätten ihm Geheimpolizisten mit Schuhabsätzen zerschlagen, den rechten unter Folter rausgezogen. Das war damals, 2004, als die syrischen Kurden den Aufstand probten. Baschar al-Assad ließ ihn blutig niederschlagen. Anas war damals Anfang zwanzig, seither ist er politisch aktiv.

Wie Erol ist er vor zwei Monaten nach Berlin gekommen. An seine Flucht erinnert er sich mit Grauen. Er ist per Schiff nach Italien geflüchtet, das kenterte, die Insassen ertranken beinahe. Die italienische Polizei greift ihn auf, misshandelt ihn. Als er versichert, er wolle nicht bleiben, sondern nach Deutschland zu Verwandten, lässt man ihn ziehen. Verwandte in Deutschland hat Anas tatsächlich. Wenn das Asylverfahren positiv ausgeht, will er zu ihnen nach Oberhausen ins Ruhrgebiet. Im Falle einer Abschiebung? – „Ich gehe eher nach Syrien zurück als noch mal nach Italien“, sagt er.

Für Erol und seine beiden Brüder ist die Rückkehr nach Syrien ausgeschlossen – jedenfalls solange Assad an der Macht ist. Mit seiner Verlobten in Syrien spricht Erol nur sporadisch am Telefon. Die Brüder brüten über einem Schreiben, das ihnen eine Mitarbeiterin des Heims vorbeigebracht hat. Absender: das BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Der Termin sei verschoben worden, erklärt die Mitarbeiterin. Erol weiß, welchen Termin sie meint. Für die Anhörung in seinem Asylverfahren muss er persönlich erscheinen und seine Verfolgungsgründe darlegen.

Enttäuschung steht Erol ins Gesicht geschrieben. Das sei schon das zweite Mal. Die Mitarbeiterin beruhigt ihn. Das Amt habe viel zu tun, er solle sich keine Sorgen machen, Syrer hätten im Moment ausgezeichnete Chancen beim BAMF. Erol unterschreibt. Younadam unterschreibt. Auch Ammo, der behinderte Bruder, kritzelt etwas unter sein Schreiben. „Wir warten“, sagt Erol, „auf unseren Asylbescheid.“ – „Und auf das Ende Assads.“ Das sei eigentlich viel wichtiger.

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