Syrische Minderheit in Israel: Mein Land ist Syrien

1981 hat Israel die Golanhöhen annektiert. Die dort lebenden Drusen verstehen sich als Syrer. Der Rückhalt für Assad ist bröckelig geworden.

Ein Drusen-Junge hält die syrische Flagge hoch. Bild: dpa

MAJDEL SHAMS taz | Im Haus von Familie Almakt herrscht Festtagsstimmung. Sohn Sudki ist endlich wieder frei. 27 Jahre lang verbüßte der Druse im Gefängnis, weil er Waffenlager der israelischen Armee in die Luft gejagt hatte. Am Hauseingang hängen Fotos von ihm, daneben ein Bild von Baschar al-Assad. Die Begrüßungsfeierlichkeiten für den entlassenen Häftling sind gleichzeitig eine Sympathiebekundung für den syrischen Präsidenten.

Zu früh aus dem Nachmittagsschlaf geweckt, setzt sich Sudki Almakt mit geröteten Augen auf die Terrasse seiner Eltern. Eine Brise vertreibt die Spätsommerhitze aus dem am Fuße des Berges Hermon gelegenen Dorf. Seit knapp zwei Wochen ist er wieder zu Hause. „Ich bin syrischer Araber“, sagt Sudki Almakt.

Wie die meisten Syrer auf dem Golan lehnte er es Anfang der 80er-Jahre ab, israelischer Staatsbürger zu werden. Damals annektierte die Regierung in Jerusalem den Höhenzug offiziell und bot den dort lebenden Drusen, einer eigenständigen, aus dem Islam hervorgegangenen Religionsgemeinschaft, die Einbürgerung an. Diese hofften stets, dass ihre Heimat eines Tages wieder zu Syrien gehören würde – mit einem Präsidenten Assad.

Die Drusen sind eine Religionsgemeinschaft, die sich vor mehr als tausend Jahren aus dem Islam entwickelt hat. Die meisten leben in Syrien und im Libanon. Über ihre strikt geheim gehaltenen religiösen Lehren ist kaum mehr bekannt, als dass sie an die Wiedergeburt glauben. Außerdem muss man als Druse zur Welt kommen, um dazuzugehören, Konvertierungen zum Drusentum sind nicht erlaubt.

Die Golanhöhen sind seit 1981 von Israel annektiert. Von einst über hundert Dörfern gibt es nur noch vier drusische Ortschaften im Norden des Golan mit insgesamt etwa 17.000 Bewohnern sowie das kleine Alawitendorf Ghajar. Inzwischen leben etwa gleich viele jüdische Israelis in Städten und Dörfern dort.

Verschwörungstheorien

„Israel ist in dieser Region ein Fremdkörper, der eliminiert werden muss“, sagt Sudki Almakt heute noch. Die Besatzer hätten nicht das Recht gehabt, ihn ins Gefängnis zu stecken. „Wenn ich einen Strafzettel für falsches Parken bekomme, schäme ich mich.“

So hart das Urteil der israelischen Richter gegen ihn war, im heutigen Syrien hätte er seine Tat sicher mit dem Leben bezahlt. „Ich habe nicht gegen mein Land gehandelt, sondern gegen die Besatzung gekämpft“, rechtfertigt Sudki Almakt sein Tun. Sein Land ist Syrien.

Dass die Regierung in Damaskus mit so harter Hand gegen die Rebellen im eigenen Land vorgeht, findet er hingegen richtig. Schließlich müsse der Staat für Ordnung sorgen und seine Bürger schützen. „Assad wird eines Tages die Kontrolle wiedergewinnen, die Aufständischen festnehmen und vernichten.“ Dann, so glaubt Almakt, werde das Volk entscheiden – ohne Druck aus dem Ausland und ohne Waffen.

Alle paar Minuten kommt ein Nachbar, um dem Helden die Hand zu drücken und ihm für eine Weile zuzuhören. Vier drusische Dörfer gibt es noch in der Region. Vater Suleiman reicht den Gästen getrocknete Aprikosen, Datteln und frisches Obst. Er trägt die für Drusen typische runde Kappe und Hosen mit weitem Schritt in Kniehöhe. Tradition ist wichtig im Hause Almakt, heute noch so wie vor einem Vierteljahrhundert, als Sudki verhaftet wurde.

Seine Geschwister haben inzwischen Familien gegründet. „Sudki hat eine Menge nachzuholen“, meint der jüngere Bruder Maimoon Almakt, der in Berlin studiert und gearbeitet hat. „Er war Chef einer kleinen Widerstandsgruppe“, sagt er stolz. Menschen seien bei den Überfällen nicht zu Schaden gekommen. Als die ersten Bandenmitglieder aus dem Gefängnis entlassen wurden, „habe ich alles stehen und liegen gelassen. Innerhalb von zehn Stunden war ich in Majdel Shams“, erinnert er sich.

Ausland ist schuld

Die Männer auf der Terrasse sind sich einig: Der Krieg in Syrien wurde aus dem Ausland lanciert. Die Türkei, Katar, Saudi-Arabien, natürlich die USA und Israel – alle wünschen den Sturz Assads, „weil er für die Palästinenser ist, für die Hisbollah im Libanon und für Iran“, erklärt Sudki Almakt. Die Amerikaner finanzierten die Rebellen, glaubt er. Für diese hegt er keinerlei Sympathien. „Das sind bewaffnete Verbrecherbanden, die aus Afghanistan oder Algerien eingeschleust werden.“ Viele seien islamische Fanatiker und gehörten der al-Qaida an.

Dass ausgerechnet das Weiße Haus die Gruppen finanzieren soll, denen die USA nach den Anschlägen vom 11. September selbst den Krieg erklärt haben, erscheint Sudki Almakt und seinen Freunden keinesfalls abwegig. Schließlich habe Washington einst auch die Taliban unterstützt. Selbst Maimoon Almakt, der 14 Jahre in Deutschland gelebt hat, denkt wie sein Bruder. „Das syrische Volk unterstützt Assad. Das wissen doch alle.“

Eine kleine Gruppe von Menschen auf dem Golan denkt dennoch anders. Sie treffen sich einmal in der Woche zur Kundgebung gegen den syrischen Despoten, zünden Kerzen für die Opfer der Revolution an und ordnen die Lichter in Form von Buchstaben: „Churyah“ entsteht auf diese Weise, das Wort für „Freiheit“.

„Es sind immer dieselben Gesichter, die dort demonstrieren“, wirft einer der Männer auf der Terrasse der Almakts ein. Nur ein Bruchteil der Drusen solidarisiere sich mit den Rebellen. Einer der Demonstranten sei ein Säufer, ein anderer ein Schwätzer. In Majdel Shams scheint jeder jeden zu kennen.

Liberale Nachbarn

„Sudki ist mein Freund“, sagt Salman Fahr al-Din, einer der „Schwätzer“ und wenigen ideologischen Gegner al-Assads unter den Drusen. „Wir diskutieren und streiten, aber anschließend setzen wir uns doch zum Essen zusammen.“ Fahr al-Din ist Mitarbeiter des „Arabischen Zentrums für Menschenrechte auf den besetzten Golanhöhen“, kurz: „Al-Marsat“, und er steht der israelischen Besatzung so kritisch gegenüber wie alle anderen dort. Nur über Syrien denkt er anders. Mit offenem Spott spricht er über seine „ignoranten“ Nachbarn. „Fanatiker haben keine Antithese“, erklärt er. „Egal, was Assad macht, er hat Recht.“ Da benenne er einen neuen stellvertretenden Regierungschef, und alle jubelten. „Zwei Wochen später schmeißt er denselben Mann aus dem Amt, und wieder jubeln alle.“

Seine Tochter Raya hört das Gespräch und schüttelt verständnislos den Kopf über die große Sympathie, die der syrische Despot unter den Drusen genießt. „Assad hat nie auch nur einen Finger für uns gekrümmt“, sagt sie. „Er hat nie einen ernsthaften Versuch unternommen, die Golanhöhen zurückzubekommen.“ Dass ausgerechnet Sudki Almakt so ein großer Fan von ihm ist, will ihr noch weniger in den Kopf. „Er hätte doch dafür sorgen können, dass Sudki bei einem Gefangenaustausch berücksichtigt wird“, sagt sie.

Schon vor acht Jahren gab es einen Handel zwischen Israel und der Hisbollah, der islamistischen „Partei Gottes“ im Libanon. Damals hätte man auch Almakt auf die Liste derer schreiben können, die im Tausch gegen einen entführten Israeli aus dem Gefängnis entlassen werden sollten. Kein Staatschef unterhält einen engeren Kontakt zur Hisbollah als Syriens Präsident Baschar al-Assad.

Die Fahr al-Dins gehören zum weltlichen Bildungsbürgertum. Raya Fahr al-Din, bis vor kurzem BBC-Mitarbeiterin in Ramallah, trägt ein ärmelloses Sommerkleid, das ihr kaum über die Knie reicht. Auf der Apfelplantage eines Onkels trifft sich die Familie zum Grillabend. Die Äste mit dicken grünen und roten Früchten reichen bis auf die Terrasse. Marcelle, Salman Fahr al-Dins kleine Enkelin, guckt von ihrer Wiege aus zu, wie alle mit Hand anlegen, um Fleischspieße zu machen und Gemüse zu putzen. Rayas Mann entzündet das Feuer, während sein Schwiegervater Wodka und Wein ausschenkt, obschon Drusen eigentlich keinen Alkohol trinken.

Angst vor Islamisten

„Höchstens fünf Prozent der Drusen denken wie wir“, sagt Salman Fahr al-Din. Die meisten Leute würden abwarten, wer die Kämpfe für sich entscheidet. „Sie bezeichnen uns als CIA-Agenten“, wirft die Tochter ein. „Sie wissen angeblich sogar ganz genau, wie viel Geld wir bekommen“, höhnt sie, „3.300 Dollar.“

Der Streit mit ihren Freunden und Nachbarn trifft die junge Mutter. „Seit 45 Jahren versucht Israel, die Drusen zu spalten“, sagt sie traurig und erinnert an die Konflikte, die der Annexion folgten, und an das Dilemma der Staatsbürgerschaft. Die meisten Drusen lehnten die Einbürgerung ab, weil sie Konsequenzen für sich selbst und Familienangehörige in Syrien fürchteten. Die israelische Staatsbürgerschaft anzunehmen, wäre in Damaskus als Verrat betrachtet worden. Die wenigen Pragmatiker, die auf ihre bürgerlichen Rechte nicht verzichten wollten, mussten sich ihrer Gemeinschaft gegenüber rechtfertigen.

Syrien sei nun gelungen, woran die Israelis scheiterten, sagen die Fahr al-Dins übereinstimmend – Unfrieden zu säen unter den Drusen. Das Beste sei, das Thema gar nicht mehr anzurühren. „In meiner eigenen Familie gibt es Freunde und Gegner Assads“, erklärt Salman Fahr al-Din. Letztendlich seien aber alle für Syrien, „nur dass es mir ohne Assad lieber wäre“.

Ein weltliches Land schwebt Salman Fahr al-Din vor, in dem Gleichberechtigung herrscht zwischen den Geschlechtern und den Religionen. „Syrien ist ein Mosaik von Ethnien und Anschauungen, keine Ziegenherde, die mit ein und demselben Stock angetrieben werden kann.“ Der Menschenrechtsaktivist gibt zu, Angst vor den Islamisten zu haben, die eines Tages die Regierung in Damaskus stellen könnten. „Wenn nach Assad die Taliban kommen, müssen wir eben gegen die Taliban kämpfen“, sagt er forsch. Er selbst muss schließlich den Kopf nicht hinhalten. Denn egal wie sich Syrien verändert, auf dem Golan „wird sich auf absehbare Zeit nichts tun“.

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