Sziget-Kuratorin Pommier über Romamusik: "Der Zigeuner ist als Musiker beliebt"

Auf dem Sziget-Festival in Budapest gibt es eine Bühne nur für Romabands. Ihre Musik ist trotz Anti-"Zigeuner"-Stimmung voll in Mode. Sponsoren gibt's dafür leider keine, klagt Marina Pommier.

Schnell, gut, spaßig: Viele Roma-Musiker touren erfolgreich durch Deutschland. Bild: Franzis Fotos / photocase.com

taz: Frau Pommier, haben Sie keine Angst vor Übergriffen?

Marina Pommier: Nein, wieso das denn? Die Atmosphäre beim Sziget ist immer sehr friedlich, auch im Vergleich mit anderen Festivals - das ist hier eher so Peace and Love …

deswegen schwärmen so viele vom "Woodstock des Ostens" - aber das klingt kitschig.

Stimmt. Woodstock, das war auch eine andere Epoche, die längst vergangen ist …

und das Sziget, für das Sie seit 2002 das Romazelt organisieren, ist Teil der ungarischen Gegenwart - mit grassierender Gewalt gegen Roma, und in der eine rechtsradikale Parteimiliz ihr Unwesen treibt - ohne Sie zu behelligen?

Die gibt es - aber weniger in Budapest. Die sind eher im Osten auf dem Land. Und auf dem Sziget lassen die sich nicht blicken: Das sind keine Leute, die Geld ausgeben, um Krawall machen zu können. Außerdem haben wir natürlich vernünftige Kontrollen. Da kämen die nicht durch.

Marina Pommier ist Initiatorin und Musik-Kuratorin des Roma Sator (Roma-Zelt) auf dem Sziget-Festival und seit 2004 des Vidor-Weltmusik-Festivals von Nyiregyhaza (Ungarn). Gleichzeitig managt sie die Bands Romano Drom und Olah Gipsy Allstars. Die 38-Jährige stammt aus Lyon, lebt heute in Budapest und der Dordogne, sie ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Die Bedeutung: Sziget ist das ungarische Wort für Insel - und der Name des Festivals auf der Obudai-Insel zwischen Buda und Pest.

Der Beginn: Seit 1994 findet es jährlich im Hochsommer statt, dauert eine knappe Woche und gilt mit bis zu 450.000 ZuschauerInnen als größtes Open-Air-Festifal Europas.

Das Programm: Auf 5 großen und über 50 kleineren Bühnen bietet es in diesem Jahr vom 9. bis 16. August gut 1.000 Einzelveranstaltungen - sehr unterschiedlicher Stilrichtungen: Das Line-up führt unter anderem The Specials, Iron Maiden und Nina Hagen auf, ebenso wie das Orquestra Buena Vista Social Club, die Jiddisch-Rock-Band Oi Va Voi oder die klassische Roma-Folkband Parno Graszt.

Es wirkt wie ein politisches Signal, wenn Sie eine Bühne für die unterdrückte Musik der Roma …?

Die Musik? Die ist doch nicht unterdrückt! Die ist voll in Mode, die Gipsy- oder Balkanwelle ist auf dem Höhepunkt. Die Leute mögen diese Musik, die Konzerte sind gut besucht. Etwas spitz gesagt: Der Zigeuner ist beliebt, solange er auf der Bühne steht.

Aber im Radio dürfen sie nicht spielen?

So gut wie - immerhin gibt es seit einigen Jahren den Romasender Radio C, der spielt natürlich diese Musik. Das kommerzielle Radio aber höchstens in Folksendungen und auch dann nur, wenn die Gruppen nicht in ihrer Sprache singen.

Wie denn dann?

Auf Ungarisch. Einige Gruppen machen deshalb zwei Versionen von ihren Liedern, die eine auf Romani, die andere ausschließlich in Ungarisch.

Auch die Band, die Sie managen?

Nein, nicht Romano Drom. Die singen nur auf Romani - und kommen im Kommerzradio nicht vor. Aber sonst ist das sehr verbreitet, auch bei populären Bands, etwa Romantik …

das klingt populär.

Die sind wirklich ziemlich beliebt. Und die singen ohnehin fast nur auf Ungarisch. Aber manchmal lassen sie sich eine Passage in Romani schreiben - das erledigt meistens unser Sänger Antal Kovács für die. In der Radioversion fallen dann selbst die paar Wörter weg.

Es ist also eine Frage der Sprache?

Und der Begriffe: Deshalb haben wir auch keine Sponsoren fürs Romazelt. Die anderen Festivalbühnen haben da keine Probleme. Bei uns gäbe es keine, wenn wir es anders nennen würden: Kein ungarisches Unternehmen will mit den Roma in Verbindung gebracht werden.

Aber der Name bleibt ?

Ja, der bleibt. Wir hätten das Zelt auch anders nennen können: Wir machen ja nicht nur Romamusik. Bei uns spielen auch andere Strömungen, vor allem aus Mittel- und Osteuropa. Also hätten wir es auch "Kleine Weltmusikbühne" oder etwa "Zelt der Minderheiten" nennen können. Aber ich wollte das nicht. Ich glaube, es ist wichtig, den Namen zu behalten.

Es bleibt eine überraschende Musikrichtung auf einem Rockfestival.

Das Sziget war nie ein reines Rockfestival. Hier gab es immer unterschiedliche Bühnen für die verschiedenen Szenen. Und das ist so ungewöhnlich nicht: Es gibt ja auch andere Mischfestivals. Außer uns hat aber keins ein Romazelt, da sind wir die Einzigen.

Und wie kam das?

Die Idee ist 2001 entstanden während des französischen Kulturjahrs Ungarn, der "Saison culturelle hongroise". Bei der hatte ich für József Kardos gearbeitet, der künstlerischer Leiter des Sziget war. Und der hatte Anfragen von Radio C: Die wollten gerne auf Sziget vertreten sein - es war bloß unklar, wie. Ich arbeitete da schon länger mit Romagruppen zusammen, erst mit Musikern aus Rajasthan, 1999 haben wir Romano Drom gegründet. Die Kooperation mit Radio C ist dann irgendwann eingeschlafen, aber die Bühne war von Anfang an erfolgreich.

Fragt sich nur: Was ist Romamusik? Ist das ein sinnvoller Begriff?

Nicht die Romamusik im Singular, die gibt's nicht - es gibt sehr viele! Allein in Ungarn haben wir drei Arten von Roma, jede hat ihre Musiktradition. Mir ist wichtig, die Bandbreite zu zeigen.

Vom Folk über Sintijazz bis zu Thrash-Metal-Gruppen wie Ektomorf?

Nein, im Romazelt spielen Gruppen aus dem - weit gefassten -Segment Weltmusik: Also was absolut dazu gehört, ist Jazz Manouche, und wir haben auch öfters Sachen aus der Raprichtung: Gypsy.cz etwa waren hier, das ist HipHop mit starken Elementen der tschechischen Romatradition. Und mir ist wichtig, dass mindestens die Hälfte der Bands wirklich aus Romamusikern besteht.

Klar.

Von wegen! Viele laufen unter dem Gypsy-Label, ohne dass Roma mitspielen. Meine Pflicht ist es, den echten Romagruppen Vorrang einzuräumen.

Ihre Pflicht?

Ja, eine Pflicht. Ich finde, als vielleicht größtes Musikfestival Europas mit hunderttausenden Besuchern haben wir eine gewisse Verantwortung für das, was wir anbieten.

Und das Publikum kommt aus Solidarität?

Quatsch. Was ich meine: Ich kenne ja beide Seiten, einerseits organisiere ich als Managerin Tourneen, andererseits bin ich Veranstalterin und engagiere Romabands. Das Problem ist, gerade weil diese Musik in Mode ist, schießen überall Amateurgruppen aus dem Boden. Die praktizieren oft einen wilden Mix, tsigano-klezmer oder was - da habe ich nichts gegen. Aber, gerade in der Wirtschaftskrise engagieren die Veranstalter lieber diese örtlichen Gruppen.

Weil sie billiger sind?

Das ist doch logisch: Man spart ja schon Fahrt- und Unterbringungskosten. Den Schaden haben aber die authentischen Romagruppen aus Osteuropa. Denen gegenüber fühle ich mich verantwortlich - und genau die lade ich ein.

Welche Bedeutung hat denn das Romazelt auf dem Sziget für diese Bands?

Es ist eine große Chance, eine solche Bühne zu haben, um diese Musik einem so breiten, internationalen und multikulturellen Publikum vorzustellen.

Weil's kein spezielles Roma- oder Weltmusikfestival ist?

Absolut. Das ist wirklich etwas anderes, wobei das Romazelt jedes mal auch so etwas wie ein Minifestival im Festival ist: Einige kommen auch immer extra deswegen. Aber ebenso viele kommen, weil sie neugierig sind und etwas entdecken wollen. Das macht die Festivalatmosphäre aus.

Klingt entspannt.

Das ist es auch.

Obwohl die politischen Spannungen wachsen: Die rechtsextreme Jobbik-Partei erstarkt, und die seit Mai regierende Fidesz hat deren Programm gegen "Zigeunerkriminalität" übernommen …

Meine Musiker haben nach der Wahl gesagt, jetzt müssten sie wohl emigrieren - im Scherz. Aber es gibt tatsächlich ein großes Problem, das hier oft als "die Zigeunerfrage" bezeichnet wird - ähnlich den Einwanderungsproblemen in westeuropäischen Ländern. Wobei man eben nicht genug betonen kann, dass die Roma hier keine Einwanderer sind, sondern Ungarn von Geburt an und seit hunderten von Jahren. Das Problem ist die Armut und das Fehlen der Bildung …

infolge eines segregierenden Bildungssystems.

… selbstverständlich. Aber auch mitbedingt durch die Mentalität der Roma selbst, davor sollte man nicht die Augen verschließen. Im Kern ist es aber ein soziales Problem: Die Roma, die ich kenne, sind in erster Linie Bürger ihres Landes - und dann Roma. Trotzdem hat man sie nie als Angehörige der Gemeinschaft akzeptiert - außer als Musiker.

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