Tagebuch aus Kasachstan: Etwas besseres als Almaty finden sie fast überall
Unser Autor fragt sich, warum junge Kasachen gegen die Ukraine kämpfen, obwohl Strafen drohen. Es zeigt sich: Sogar die Aussicht auf Haft motiviert.
W er aus Kasachstan für Russland an die Front zieht, um gegen die Ukraine zu kämpfen, erhält vom Kreml zwar einen Lohn, muss jedoch in seiner Heimat mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwölf Jahren rechnen. Bereits vor der russischen Invasion 2022 wurden Kasachen, die sich aufseiten der prorussischen Kräfte in den besetzten Gebieten Donezk und Luhansk an Kampfhandlungen beteiligt hatten, nach ihrer Rückkehr verurteilt.
Nach Angaben des staatlichen ukrainischen Projekts „Ich will leben“ sind es derzeit mehr als 1.000 Kasachen, die auf russischer Seite kämpfen. Diese Praxis wird bis heute fortgeführt, denn die Teilnahme von kasachischen Staatsbürgern an bewaffneten Konflikten im Ausland ist weiterhin strafbar.
Ich frage mich, was meine Landsleute dazu bewegt, an Kriegen teilzunehmen, die nicht die ihren sind. Was genau motiviert sie, ihre Heimat zu verlassen, um für ein fremdes Land in den Krieg zu ziehen? Geld? Ideologie? Propaganda?
In der ukrainischen Aktivistendatenbank „Myrotvorets“ fand ich etwa 150 bis 200 Namen kasachischer Staatsbürger. Es war jedoch schwierig, Personen zu finden, die bereit waren, über ihre Beweggründe zu sprechen. Einige fürchteten sich vor Verfolgung durch den Nationalen Sicherheitsdienst Kasachstans, andere schickten mir statt einer normalen Antwort Drohungen, weil ich sie angefragt hatte, und wiederum andere gelten bereits als tot.
Die Motive der Söldner
Doch von den Menschen, die mir bereitwillig ihre Geschichten erzählten, erfahre ich, dass sie im Grunde ein ähnliches Schicksal haben: In ihrer Heimat Kasachstan hatten sie nämlich ein Leben im Überlebensmodus führen müssen – frisch aus dem Gefängnis entlassen und arbeitslos verbrachten sie ihre Tage vor dem Fernseher. Die einen erzählten mir, sie hätten den „russischen Brüdern“ helfen wollen, andere sahen darin die Chance, ihren Traum zu verwirklichen, in einem Krieg einmal etwas „Nützliches“ zu tun. Und wieder andere sahen darin vor allem eines: die Chance, viel Geld zu verdienen.
Vor dem Angriffskrieg bekamen die kasachischen Soldaten bis zu 50.000 russische Rubel pro Monat. Seit 2022 wird für die Teilnahme am Krieg ein Vielfaches gezahlt: etwa 200.000 bis 300.000 Rubel pro Monat. Die einmaligen Zahlungen für den Vertragsabschluss können sogar mehrere Millionen Rubel betragen.
Wenn sie von der Front zurückkommen – und noch am Leben sind! – dann müssen sie sich einen russischen Pass organisieren. Und um eine Haftstrafe in Kasachstan zu vermeiden, ziehen die meisten nach Russland um. Doch auch wenn sie in Kasachstan bleiben, müssen nicht alle mit einer strengen Justiz rechnen. Es sind Fälle bekannt, in denen durch gute Kontakte und Bestechung ein Gefängnisaufenthalt vermieden werden konnte.
In den vergangenen drei Jahren sind in kasachischen Medien jedoch erneut Nachrichten aufgetaucht, dass Soldaten zu Haftstrafen verurteilt wurden, die auf der Seite Russlands in der Ukraine gekämpft hatten und zurückgekehrt waren. Allein nach offiziellen Angaben untersuchen die kasachischen Ermittlungsbehörden mehr als 70 Strafsachen wegen „Beteiligung an ausländischen militärischen Konflikten“.
Sogar dann kann das Kalkül der kasachischen Söldner aufgehen. Eine Aussage eines Kämpfers empfand ich als besonders hart: „Ich wurde an der Front verwundet, kam nach Kasachstan zurück und habe meine Strafe verbüßt. Jetzt bin ich wieder auf freiem Fuß.“
Nikita Danilin, Jahrgang 1996, ist ein Journalist aus Almaty (Kasachstan). Er war Teilnehmer eines Osteuropa-Workshops der taz Panter Stiftung.
Aus dem Russischen von Tigran Petrosyan.
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