Tagebuch aus Moldau: Schwul in Chișinău
Homophobie gehört sowohl zum sowjetischen Erbe in der Republik Moldau als auch zur religiösen Gegenwart. Und sie ist ein Teil von Moskaus Kulturkampf.

F ranz sagt: „Ich möchte einfach nur diesem Umfeld entkommen.“ Franz ist jung. Und schwul. Seine Heimat Moldau hatte er schon einmal verlassen. Doch nur kurz. Im Nachbarland Rumänien konnte er kein Arbeitsvisum bekommen. Nun ist er wieder zurück. „Das ist der Pädophile!“, rufen sie, „Schwuchtel", nennen sie ihn. „Lass uns die Jungs holen und ihn verprügeln!“ Die Schulkinder rennen hinter ihm her.
„Jeden Tag bin ich nervös, weil ich das Gefühl habe, dass meine Tage gezählt sind“, sagt Franz. Er ist Social-Media-Influencer. Ich folge ihm seit zwei Jahren auf Instagram und TikTok, und es fällt mir zunehmend schwerer, nur Beobachterin zu bleiben. Er wird wegen seiner langen Haare schikaniert, wegen der Röcke, die er trägt, oder wegen des Make-ups, das er auflegt. In seinen Kanälen veröffentlicht er immer wieder die Morddrohungen, die er erhält.
Ende vergangenen Jahres haben ihn drei Männer zusammengeschlagen, ganz nahe seines Wohnhauses. Franz hat den Angriff telefonisch gemeldet, der Polizist sagte ihm: „Die Rettung eines Ertrinkenden liegt in den Händen des Ertrinkenden selbst.“ Der Polizist warf Franz vor, die Angreifer nicht verfolgt zu haben. Ein anderer junger Polizist schrieb ihm von seinem privaten Account aus einen Kommentar: „Wenn ich dich sehe, schlage ich dir ins Gesicht.“
Moldauischer Polizist in einer privaten Nachricht
Homophobie in der Republik Moldau hat ihre Wurzeln in der sowjetischen Vergangenheit. Da stand Homosexualität unter Strafe. Später wurde der Hass auf alles Queere durch den Einfluss der orthodoxen Kirche verstärkt. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR wurde die Kirche in der moldauischen Gesellschaft noch einflussreicher.
Kirche und Kreml im Kulturkampf
Die Metropole in Moldau, die der russisch-orthodoxen Kirche untersteht, sieht in der LGBTQ+-Gemeinschaft eine Bedrohung der „christlichen und traditionellen Werte“. Weiter angeheizt wurde die Homophobie in den vergangenen Jahren durch pro-russische Politiker, insbesondere im Wahlkampf. Sie stellen die queere Community als „inneren Feind“ Moldaus dar. Sie treten mit dem Versprechen an, „LGBT-Propaganda“ zu verbieten, sobald sie an die Macht kommen.
Bei den letzten Parlamentswahlen am 28. September 2025 hat die Mehrheit der Bevölkerung für eine pro-europäische Zukunft gestimmt, also für die Regierung. Zum Glück. Aber die Homophobie ist nach wie vor vorhanden.
Der Kreml führt seinen Kulturkrieg in Moldau weiter. Moskau möchte den europäischen Kurs des Landes torpedieren. Es will das Land in seiner Einflusszone halten. „Das soll zur neuen Norm in der EU werden – dieses Europa voller gottloser Ideologien“, schreibt einer der Hass-Kommentatoren auf Franz' Social-Media-Seite. Solche Postings sind eine direkte Folge der russischen Propaganda, die in letzter Zeit immer beharrlicher westliche Werte mit der LGBTQI+-Gemeinschaft in Verbindung bringt, ja, sie gleichsetzt.
Die proeuropäische Regierung der Staatspräsidentin Maia Sandu wurde mit der Hoffnung auf einen echten Wandel erneut gewählt. Jetzt muss sie handeln. Demokratie bedeutet, alle Menschen zu schützen, auch Queere, auch Franz. Wer sich wegduckt oder die Schuld allein dem Kreml und der prorussischen Opposition zuschiebt, verrät diese Hoffnung.
Daniela Calmîş ist eine unabhängige Journalistin aus der Republik Moldau. Sie ist Teilnehmerin des Osteuropa-Workshops der taz Panter Stiftung.
Aus dem Russischen von Tigran Petrosyan.
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