Tagebuch aus der Ukraine: Die flüssige Schönheit Odesas
Unsere Autorin liebt das Schwarze Meer und seine Strände. Nun kämpft sie dafür, dass es dort sauber wird. Und dass es endlich Toiletten gibt.
I ch liebe unser Schwarzes Meer sehr. Ich bin in Odesa geboren, lebe mein ganzes Leben hier und möchte bis zu meinem letzten Tag hier bleiben, sofern der Krieg diese Pläne nicht durchkreuzt. Für mich ist das Meer nicht nur eine Landschaft hinter meinem Fenster, sondern Teil meines Alltags, meine Quelle der Kraft und Inspiration.
Kürzlich scherzten meine Kinder, dass ich zu einer „klassischen europäischen Frau über 40 geworden bin, die sich um die Umwelt sorgt“. Da ist etwas Wahres dran: Ich habe mein Auto verkauft und bin auf das Fahrrad umgestiegen. Meine erste Route war die „Gesundheitsstraße“ – etwa 15 Kilometer entlang des Meeres. Ich beschloss zu prüfen, inwieweit dieses Gebiet für Erholung geeignet ist, ohne der Natur zu schaden.
Das Erste, was mich interessierte, waren die öffentlichen Toiletten. Das mag trivial erscheinen, aber genau damit beginnt Sauberkeit. Wenn es keine Toiletten gibt, verrichten die Menschen ihre Notdurft im Meer oder im Gebüsch. Es stellte sich heraus, dass es entlang der gesamten Strecke keine einzige kostenlos zu nutzende Toilette gibt. Nur einige wenige kostenpflichtige finden sich – und die gibt es auch erst nach sieben Kilometern. Für eine Millionenstadt und einen Ferienort ist das eine Schande.
Ein weiteres Problem sind die Abwasserrohre. Laut Vorschrift müssen sie Hunderte von Metern vom Ufer entfernt ins Meer münden. In Odesa kommt es jedoch direkt an den Stränden zu Rohrbrüchen. Das lässt sich leicht an den Ansammlungen von Möwen und am charakteristischen Geruch erkennen. Ich habe mich schriftlich an die Behörden gewandt, und es wurden teilweise Reparaturen durchgeführt, aber die Leitung wurde nie wiederhergestellt. Stattdessen wurde in der Nähe ein neuer kostenpflichtiger Strand eröffnet. Ich möchte schreien: „Leute, ihr badet in Abwasser! Und dafür bezahlt ihr auch noch Geld!“
Wenigstens die Toiletten müssen renoviert werden
Als Journalistin habe ich mich mit der Bitte an die Stadtverwaltung gewandt, zumindest eine kleine Anzahl kostenloser Toiletten einzurichten oder die alten zu renovieren. Denn wie können wir von internationalen Standards und der „Blauen Flagge“ träumen, wenn nicht einmal das Nötigste gewährleistet ist? Es wurde eine Renovierung versprochen, aber letztendlich entspricht kein einziger Strand in Odesa den Normen.
Ich liebe das Meer so sehr, dass es mir wehtut, zu sehen, wie es leidet: unter dem Krieg, unter den Bombenexplosionen im Wasser, unter der Verschmutzung nach der Sprengung des Wasserkraftwerks in Kakhovka. Die jüngste Tragödie in Zatoka, bei der drei Menschen ums Leben kamen, als sie auf eine Mine traten, hat einmal mehr gezeigt, wie gefährlich es ist, die Regeln zu ignorieren.
Zugleich sehe ich aber auch, wie das Meer versucht, sich zu erholen: Es gibt neue Fischarten, Krabben und Muscheln vermehren sich, der kommerzielle Fischfang ist vorübergehend verboten – und das Leben im Meer scheint wieder aufzuleben. Es gibt weniger Kriegsschiffe und mehr Delfine.
Ich möchte, dass die Menschen verstehen: Der Strand ist keine Toilette, das Meer ist keine Müllhalde. Die Behörden müssen erkennen: Die Frage der Toiletten, der Sauberkeit und der Sicherheit ist keine Kleinigkeit, sondern eine grundlegende Notwendigkeit. Ich habe gesehen, wie die Infrastruktur in anderen europäischen Städten ausgebaut ist, und ich wünsche mir dasselbe für meine Heimatstadt Odesa. Vielleicht gründe ich sogar eine Organisation, die sich dafür einsetzt, dass wenigstens ein Strand in Odessa den internationalen Standards entspricht. Denn unser Meer verdient Dankbarkeit und Fürsorge.
Tatjana Milimko ist Chefredakteurin des ukrainischen Onlinenachrichtenportals USI.online und Alumna der taz Panzer Stiftung (Workshops für Journalist:innen aus Osteuropa)
Aus dem Russischen von Tigran Petrosyan.
Finanziert wird das Projekt von der taz Panter Stiftung.
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