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Tagebuch aus der UkraineBauen für eine bessere Zeit in besseren Häusern

In Odessa entstehen viele Häuser. Teils, weil der Krieg viel Wohnraum zerstört hat. Teils aber auch, weil Bauen die Menschen wieder zusammenbringt.

Baubedarf in der Ukraine: Haus in Odessa, von dem nur noch die Fassade übrig ist Foto: Westend 61/imago

L eben und Tod liegen bei uns in Odessa ganz nah beieinander. Die nächtlichen Beschüsse durch die russische Armee richten Zerstörungen an, die Ukrainer krempeln die Ärmel hoch, wischen sich die Tränen ab und bauen das Verlorene wieder auf.

Mein guter Freund und Kollege Dmitry Dokunov – Journalist, Vegetarier und Buddhist – hatte einen Offiziersrang und ging in den ersten Tagen der groß angelegten Invasion, um die Ukraine zu verteidigen. Er wurde verwundet und aus gesundheitlichen Gründen aus der Armee entlassen. Dmitry brauchte nicht nur körperliche Rehabilitation, sondern auch mentale Erholung. Zusammen mit seiner Frau beschloss er, in ein Dorf in der Region Odessa zu ziehen.

Dort bauten sie mit eigenen Händen ein Haus. Mit der Zeit bauten sie auch Häuser für ihre Freunde und gründeten die Ökosiedlung „Toloka“. Ihre Häuser sind klein und bestehen aus Holz, Kalk, Lehm und anderen natürlichen Materialien. Die jungen Leute arbeiten auf dem Land, bauen Obst und Gemüse an und praktizieren bewussten Konsum. Sie nehmen auch ukrainische Soldaten zur Rehabilitation auf, da sie der Meinung sind, dass gerade einfache Arbeit – etwa Bauen oder Landwirtschaft – einen Menschen wieder ins Leben zurückbringen kann.

In Odesa gibt es Häuser aus Muschelkalk. Die fallen auch ohne Krieg auseinander, sobald die Regenzeit beginnt.

Wir alle wissen, dass der Krieg früher oder später (hoffentlich so schnell wie möglich) zu Ende sein wird. Anstelle der Ruinen sollen neue Gebäude entstehen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in der Ukraine sogenannte „Chruschtschowki“ aus Ziegeln und Beton gebaut. Die Bewohner dieser Häuser beklagen sich nun, dass sie bei Renovierungsarbeiten alles Mögliche in den Wänden finden – von Kinderstrumpfhosen bis hin zu Flaschen. Anscheinend mussten die Bauarbeiter die Wände schnell füllen und stopften alles hinein, was ihnen in die Hände fiel.

Wegen Krieg und trotz Krieg: Es muss gebaut werden

In Odessa gibt es außerdem noch Häuser aus Muschelkalk. Diese Häuser fallen auch ohne Krieg auseinander. Sobald die Regenzeit in der Stadt beginnt, kommt es zu neuen Einstürzen. Auch jetzt wird in der Stadt weiter gebaut. Trotz der fast nächtlichen Beschüsse arbeiten die Baukräne weiter. Es werden jedoch hauptsächlich Hochhäuser gebaut, die oft an Ameisenhaufen erinnern.

Kürzlich habe ich erfahren, dass der Bausektor für fast 30 Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen, 40 Prozent des Energieverbrauchs, 50 Prozent des Ressourcenverbrauchs und 60 Prozent der Abfallerzeugung verantwortlich ist. In Verbindung mit den durch den Krieg verursachten Emissionen, Umweltverschmutzungen und Klimaveränderungen würde ich mir umweltfreundlichere Gebäude in der Stadt wünschen. So wie „Toloka“ in der Region Odessa. Oder wie es in der benachbarten Region Nikolaev geplant ist. Dort ist inmitten der Ruinen ebenfalls eine Toloka entstanden. Dieses Wort bezeichnet übrigens eine alte Methode, bei der die gesamte Gemeinde gemeinsam baut.

In Pervomaisk, wo einst 9.000 Menschen lebten und heute nur noch 2.500 übrig sind, wurde ein Projekt zum Bau und zur Ausbildung im Bauwesen gestartet, bei dem künstlerische und wissenschaftliche Ansätze bei der Entwicklung und Verwendung natürlicher Materialien wie Stroh, Hanf, Lehm, Holz, Wolle zum Einsatz kommen. Blöcke aus Kalk, Stroh und Wasser sind doppelt so leicht wie Holz und können zum Ausfüllen von Schäden in Wänden verwendet werden. Diese Bauweise wird gelehrt, indem erklärt wird, wie sie mit neuen Technologien kombiniert werden kann. Wir lernen, auf neue Weise zu bauen, aber in Wirklichkeit gewinnen wir eine alte Fähigkeit zurück – das Zusammenleben und -arbeiten.

Tatjana Milimko ist Chefredakteurin des ukrainischen Onlinenachrichtenportals USI.online und Alumna der taz Panter Stiftung (Workshops für Jour­na­lis­t:in­nen aus Osteuropa)

Aus dem Russischen von Tigran Petrosyan.

Durch Spenden an die taz Panter Stiftung werden unabhängige und kritische Jour­na­lis­t:in­nen vor Ort und im Exil im Rahmen des Projekts „Tagebuch Krieg und Frieden“ finanziell unterstützt.

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1 Kommentar

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  • "In Odessa entstehen viele Häuser. Teils, weil der Krieg viel Wohnraum zerstört hat. Teils aber auch, weil Bauen die Menschen wieder zusammenbringt."



    ..und teils eben auch, weil manche mit diesem Krieg viel Geld verdienen.. Dies gehört leider auch dazu.