Tagesthema Homophobie und Migranten: Schwule streiten schärfer

Sind Einwanderer homophober als Deutsche? Unter Schwulen-Aktivisten sorgt diese Frage für heftigen Streit. Dabei sind sich die Lager in ihren praktischen Forderungen gar nicht so fern.

Bali Saygili regt sich auf. Seit zwei Jahren leitet der 41-Jährige das Beratungszentrum für Migranten, Lesben und Schwule "Miles" des Berliner Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD). Zuvor arbeitete Saygili, schwul und türkischer Herkunft, für das LSVD-Projekt "Homophobie in Migrantenfamilien". Bei Diskussionen und in Arbeitskreisen zu dem Thema sitzt er seit Jahren - doch langsam platzt ihm der Kragen. Als "gekaufter Migrant für deutsche Organisationen" sei er vergangene Woche bezeichnet worden, so Saygili: "Und das von Menschen, die das Thema Rassismus bearbeiten wollen!"

Wie schwulen- und lesbenfeindlich sind Zuwanderer? In Berlin wird das Thema heftig diskutiert. Dabei prallen zwei Standpunkte aufeinander: Vor allem der Islam sei das Problem, meinen die Aktivisten vom Lesben- und Schwulenverband LSVD. Homophobie sei ein gesamtgesellschaftliches Problem, keins bestimmter Ethnien oder Religionen, sagen dagegen Vertreter von Migrantenvereinen. Den Versuch einer Antwort unternimmt das Theaterstück "Jenseits - Bist du schwul oder bist du Türke?" Ab Dienstag im Ballhaus Naunynstraße, www.ballhausnaunynstraße.de.

Die Zahl gegen Homosexuelle gerichteter Straftaten wächst: 2005 zählte die Polizei noch 15, 2007 waren es mit 43 fast dreimal so viel. Das "Schwule Anti-Gewalt-Projekt Maneo" berichtet von 300 homophoben Übergriffen für das gleiche Jahr. Keine der beiden Stellen erfasst, in wie vielen Fällen die Täter nichtdeutscher Herkunft waren. Doch Pöbeleien und Angriffe muslimischer Jugendlicher gegen Schwule und Lesben in Schöneberg, Kreuzberg oder Neukölln verfestigten das Bild homophober Migranten als Hauptproblem. Eine 2006 veröffentlichte Befragung des Sozialpsychologen Bernd Simon an Berliner Schulen offenbarte, dass 79 Prozent türkischstämmiger Jugendlicher es "abstoßend" finden, wenn zwei Männer sich küssen. Unter deutschen waren es "nur" 48 Prozent.

Seitdem hat sich vieles getan. Migrantenorganisationen wie der Türkische Bund (TBB) und der Migrationsrat haben sich des Themas angenommen. Das zum TBB gehörende Antidiskriminierungsnetzwerk ADNB bietet Workshops und Fortbildungen, Projekte in Schulen behandeln das Thema, Plakataktionen werben für Toleranz. Ein Runder Tisch, den der Integrationsbeauftragte Günter Piening im Oktober veranstaltete, mündete in einen Arbeitskreis, der weitere konkrete Maßnahmen entwickeln soll, und in mehrere Stellungnahmen der teilnehmenden Organisationen. Darunter auch muslimische Vereine, die "jegliche Form der Verfolgung oder gar Gewaltanwendung gegen Homosexuelle" verurteilen.

Doch nicht allen reichen diese Maßnahmen: Der Lesben- und Schwulenverband begrüßte zwar die Distanzierung der Muslime von homophober Gewalt. Dass diese in ihrem Papier Homosexualität jedoch weiterhin als "Sünde" im "islamisch-theologischen Sinn" betrachten, kritisiert er ebenso wie die Tatsache, dass an dem von Piening ins Leben gerufenen Arbeitskreis keine muslimische Organisation beteiligt sei.

Hakan Tas, Mitbegründer des Vereins türkeistämmiger Schwuler und Lesben GLADT und im Integrationsbeirat des Senats Vertreter homosexueller MigrantInnen, ärgert diese Haltung: Homophobie sei "ein weltweites Problem", sagt Tas. MigrantInnen oder Muslime zu Haupttätern zu erklären, sei diskriminierend. Der LSVD isoliere sich, wenn er "nur Türken und Araber als Täter" sehe, so Tas: "Er soll sich mal fragen, warum kaum noch MigrantInnen mit ihm zusammen arbeiten wollen".

Es falle ihm schwer, diese Fronten zu verstehen, sagt Integrationsbeauftragter Piening vorsichtig. Gabriele Heinemann, Leiterin des Mädchenprojekts MaDonna in Neukölln, wird deutlicher: "Zynisch" findet sie die "ideologische Debatte" der Aktivisten: "Schließlich geht es um die Verhinderung von Gewalttaten!" "Natürlich erleben wir hier Homophobie unter Migranten", sagt Heinemann. "Aber das heißt doch nicht, dass es die unter Deutschen nicht gibt!" Überdies seien die praktischen Forderungen beider Seiten - mehr Aufklärungsarbeit, vor allem in Schulen und Familien, möglichst auch in den Muttersprachen - nicht weit auseinander. Nur, so Heinemann weiter: "Man muss es eben tun! Und die überflüssige Diskussion drumherum am besten einfach weglassen."

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