Tanz-WM in Leipzig: Glitzer ohne Promis
Bei der Tanz-WM präsentiert sich der Wettkampfsport einer begeisterten Bubble. Und hofft auf Sichtbarkeit. Im TV ist er längst von Tanzshows abgelöst.

Pailletten, Federn und unzählige Strasssteine an den aufwändigen Kostümen der Tänzer:innen sind das Erste, was in der Messehalle ins Auge springt. Eine große Discokugel lässt die Steine noch mehr funkeln. Dort, wo sonst Messestände stehen, ist an diesem Samstag eine große Tanzfläche aufgebaut. Leipzig ist Austragungsort der Tanzweltmeisterschaft, in diesem Jahr in der sogenannten Professional Division, der Profiklasse im Lateintanz. Auf dem Parkett stehen ausschließlich professionelle Tänzer:innen, ein exklusiver Kreis innerhalb der Tanzszene.
Sie verdienen mit dem Tanzen ihren Lebensunterhalt, haben eine Ausbildung absolviert und benötigen eine Startlizenz, um überhaupt antreten zu dürfen. In den Vorrunden sieht man Paare aus ausschließlich europäischen Ländern, mit einer bemerkenswerten Ausnahme: China. Das Land hat in den vergangenen Jahren stark in den professionellen Tanzsport investiert und gezielt Trainer:innen aus Europa angeworben. Das macht sich an diesem Tag bezahlt. Li Mingxuan und Zhou Wanting sichern sich den Vizeweltmeister:innentitel, knapp hinter den Favorit:innen Marius-Andrei Balan und Khrystyna Moshenska aus Deutschland.
In der breiten Öffentlichkeit gilt Turniertanz eher als nischig. Viele hatten kaum mehr Berührungspunkte damit als die obligatorischen Tanzstunden in der Schule. Hier jedoch trifft sich die Bubble der Begeisterten: Auf den Tribünen sitzen Freund:innen und Familien der Tanzpaare, von denen sich die Tänzer:innen immer wieder letzte Tipps abholen. Und das restliche Publikum tanzt selbst ziemlich gut. Denn nicht nur filmen sie mit gezücktem Handy die Paare auf dem Parkett, klatschen und pfeifen bei jeder gelungenen Aktion, sie tanzen gleich in den Pausen selbst. Das Parkett füllt sich im Handumdrehen mit Publikum. Getanzt werden dabei dieselben Tänze wie bei den Profis: Samba, Cha Cha Cha, Rumba, Jive und Paso Doble.
Die Begeisterung im Saal spiegelt sich auch in Zahlen wider: Derzeit zählt der Deutsche Tanzsportverband rund 220.000 Mitglieder. Hinzu kommen deutschlandweit mehr als zwei Millionen Menschen, die laut dem Allgemeinen Deutschen Tanzlehrerverband jährlich in Verbandstanzschulen tanzen oder das Tanzen erlernen. Hier geht es völlig anders zu als in Fernsehformaten à la „Let’s Dance“. Es geht kaum um Show, sondern um einen echten sportlichen Wettkampf. Hier tanzen keine Prominenten, und auch der Glamour um bekannte Gesichter bleibt aus. Selbst Showelemente wie Hebefiguren sind beim Turniertanzen verboten.
Einstige TV-Präsenz
In den 1970er und 1980er Jahren genoss der Tanzsport im deutschen Fernsehen deutlich mehr Präsenz. Unter dem damaligen ZDF-Sportredakteur Uly Wolters wurden Tanzturniere regelmäßig im „Aktuellen Sportstudio“ thematisiert, und auch in der „Sportschau“ der ARD fanden die Ergebnisse Erwähnung. In den folgenden Jahrzehnten verschob sich der Fokus jedoch: In den großen Sportmagazinen fand der Tanzsport immer weniger Platz und Privatsender setzten auf Showformate wie „Let’s Dance“, bei denen Unterhaltung und Prominenz im Vordergrund stehen. Der eigentliche Wettkampfsport rückte dabei immer mehr in den Hintergrund.
Wie eigen seine Welt ist, zeigt sich auch bei der Tanzweltmeisterschaft im Latein: Die Inszenierung gehört zwar auch hier zum Business dazu, bekommt aber eine andere Bedeutung. Sie dient nicht nur der Show, sondern dem gemeinsamen Erleben einer Szene. Der Showtanz, wie man ihn aus dem Fernsehen kennt, mag längst Mainstream geworden sein. Der Turniertanz kann von Fernsehpräsenz derzeit nur träumen. Das Turnier wird lediglich im Online-Livestream des MDR gezeigt. Der Veranstalter appelliert, es sollten viele einschalten – damit es künftig eine Chance auf lineares Fernsehen gibt.
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