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Tanzlehrerin über das Forró-Tanzen„Der erotische und sinnliche Kontext ist Teil des Tanzes“

Sandra Winterbach hat nach einem Burn-out in einem Wirtschaftskonzern zum brasilianischen Tanz gefunden. Nun lädt sie zu einer Party in Hamburg.

So kann's aussehen: Forró-Tanzende beim Virada Cultural-Festival 2008 in São Paulo Foto: Natalia Bezerra / Wikimedia Commons (CC BY-SA 2.0)
Interview von Karoline Gebhardt

taz: Sandra Winterbach, viele Menschen in Deutschland kennen Forró gar nicht – wie würden Sie diesen Tanz beschreiben?

Sandra Winterbach: Als die brasilianische Variante von Salsa. Es ist ein sehr enger und vielseitiger Paartanz, mal mit schnellen Drehungen, mal sehr reduziert und nah.

taz: Was macht ihn so besonders?

Winterbach: Forró ist ein anfängerfreundlicher Tanz. Man kann innerhalb von wenigen Wochen schon so gut tanzen, dass man Spaß dabei hat. Außerdem hat Forró eine tolle Community, die einen integrativen und herzlichen Rahmen schafft, der von der brasilianischen Wärme und Lebensfreude geprägt ist. Ich habe angefangen zu unterrichten, weil ich den Prozess von Anfängerinnen liebe, die sich anfangs nicht sicher sind, ob sie hier richtig sind. Sie kommen dann innerhalb weniger Wochen aus sich raus und schöpfen Selbstbewusstsein. Aus dem Kopf raus und in den Körper rein, was in meiner Biografie ein wichtiges Thema ist.

Bild: Jasmin Engelbrecht
Im Interview: Sandra Winterbach

32, Coach und Forró-Lehrerin, lebt in Hamburg.

taz: Inwiefern?

Winterbach: Ich war früher bei Unilever. Ich bin eigentlich Wirtschaftsingenieurin und habe fünf Jahre Konzernkarriere gemacht. Dann hatte ich mehrere Fehlgeburten und ein Burn-out. Ich war nur im Kopf. Irgendwann hat das nicht mehr funktioniert, weil ich meinen Körper und meine Gesundheit ausgeblendet habe. Ich habe durch das Tanzen eine Verbindung mit mir gefunden.

taz: Sie holen mit den Grammy-Preisträger*innen Mariana Aydar und Mestrinho zwei internationale Stars der Forró-Szene nach Hamburg. Was war die Motivation, dieses Event auf die Beine zu stellen?

Winterbach: Ich liebe es, Partys zu schmeißen und Leute einzuladen. Außerdem liebe ich die Künstlerin Mariana Aydar, über die das entstanden ist. Mein erster Lieblingssong im Forró ist von ihr. Die zweite Motivation ist angelegt in der Safe-Community-Thematik. Mariana Aydar und Mestrinho platzieren in ihrem Album ein Statement. Da sind Songs drauf, die solche Themen ansprechen. Ich weiß, dass wir durch so ein Event Aufmerksamkeit generieren können. So funktioniert die Welt. Dadurch werden wir gehört.

taz: In der Forró-Szene sind jüngst Missbrauchsvorwürfe ans Licht gekommen. Welche Strukturen oder Verhaltensmuster machen solche Vorfälle im Forró möglich?

Winterbach: Dieselben, die sie auch im Rest unserer Gesellschaft möglich machen. Im Tanz wird das schnell offensichtlich, denn dieser erotische und sinnliche Kontext ist Teil des Tanzes. Zum anderen gibt es Machtstrukturen in Forró-Communitys. Diese sind häufig sehr klein. Meistens existiert in einem Ort nur eine Forró-Gruppe, sodass es Machtstrukturen innerhalb dieser Gruppe gibt. Als Leiter dieser Gruppe und Organisator dieser Veranstaltungen ist man innerhalb der Community schnell mächtig. Und Machtstrukturen und -gefälle ermöglichen Machtmissbrauch.

Live-Show und Party

Barulho Bom“, 12. 9. bis 14. 9., Dressurhalle Hamburg

taz: Sie sind nicht nur Veranstalterin, sondern auch Forró-Lehrerin. Wie gehen Sie im Unterricht mit den Themen Nähe, Grenzen, Intimität und Macht im Tanz um?

Winterbach: Ich thematisiere das schon im Schnupperkurs. Wir haben in Deutschland einen anderen Standard von körperlicher Nähe als in Lateinamerika. Beim ersten Treffen erkläre ich, wie die Tanzhaltung ist, und warum sie so gedacht ist. Und gleichzeitig sage ich meinen SchülerInnen, sie sollen mehr Abstand halten, wenn sie sich damit nicht wohlfühlen. Wir widmen diesem Thema eine ganze Tanzstunde und üben, Nein zu sagen. Dazu fordert jeder jeden zum Tanzen auf und jeder sagt mal Nein. Ohne Erklärung, ohne Entschuldigung.

taz: Nein zu sagen, müsste demnach wirklich eigens geübt werden?

Winterbach: Es ist immer wieder erstaunlich, wie schwer es uns fällt, uns das zu erlauben. Wir machen auch Übungen, in denen die SchülerInnen den Arm des Tanzpartners wegschieben, weil er zu weit am Po oder an der Hüfte liegt. Im Zweifel immer die Tanzhaltung auflösen. Diese Übungen sind wichtig, damit sich beide Seiten sicher fühlen.

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