Tanztheater „The Pose“ über Selfie-Kult: Das erotische Strahlen

Die Arbeit am „Ich“ in Casting-Agenturen oder auf Dating-Web­sites steht im Zentrum von „The Pose“. Nun wurde das Stück in Berlin uraufgeführt.

Hinten springt ein Mann gestreckt auf eine Matratze, vorne eilen Mann und Frau aneinander vorbei

Als sich alle Solisten auf der Bühne versammeln, geschieht vieles zugleich Foto: Thomas Aurin

Selfies für Gerechtigkeit, Thu­lani Lord Mgidi ist darauf ganz schön stolz. Der Tänzer aus Südafrika hat sich groß ins Bild gesetzt bei Protesten gegen Studiengebühren in Johannisburg, Demos in China und anderswo. Dass die Bilder allerdings gefakt sind, ist unschwer zu erkennen. Und sie haben weder die Leidenschaft noch den Ernst, den zuvor sein Körper im Solo ausdrückte.

„Me, drunk in the airplane“, betrunken im Flugzeug, mit Hangover am Flughafen, so zeigt sich Miki Shoji. Weltweit sind die Fotos der Tänzerin entstanden, sie trinkt bei Langstreckenflügen aus Langeweile, macht Selfies aus Langweile, behauptet sie. Das passt zu ihrer fahrigen Körpersprache, mit der sie in der Compagnie von Constanza Macras schon oft für die Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs zuständig war.

Zehn Solisten erzählen in deren neuen Stück „The Pose“, uraufgeführt in der Berliner Akademie der Künste, von der Arbeit am eigenen Bild: für Casting-Agenturen, Dating-Web­sites und Kunstprojekte. Manchmal ist das Bildermachen gefährlich: Fernanda Farah zum Beispiel knipst sich beim Fahren durch die kalifornische Wüste in den Autospiegeln.

Oft geht es um erotische Ausstrahlung, wie bei Nile Koetting, einem dünnen jungen Mann, der seine Fotos aus der Gay Community zeigt. Vor den Zuschauern verknotet er seine langen Glieder, kokettiert mit Handschellen, hüpft wie ein Häschen, zeigt sich infantil und verletzlich. Schließlich erzählt er, wie er, in Japan aufgewachsen, sich stets wie ein Alien gefühlt habe, nicht als Japaner anerkannt, kämpfend mit seinem Coming-out.

In verschiedenen Räumen

Eines Tages habe ihm seine psychisch angeschlagene Mutter einen gemeinsamen Selbstmord vorgeschlagen. Und plötzlich nimmt das, was eben noch als niedliches Werben um Liebe erschien, einen ziemlich dunklen und existenziellen Ton an.

Über vier Stunden dauert „The Pose“. Die Geschichten werden in verschiedenen Räumen der Akademie, die das Publikum in kleinen Gruppen besucht, im zauberhaften Garten und im großen Saal gespielt. Ein flaches Wasserbecken, in dem viel geplanscht wird, eine Reihe von Betonstelen, über die Emil Bordas waghalsig balanciert, und das späte Sonnenlicht spielen eine nicht unerhebliche Rolle für die einladende Atmosphäre im Stück und der Architektur von Werner Düttmann überhaupt.

„The Pose“ ist vom 12. bis 17. Juli in der Berliner Akademie der Künste am Hanseatenweg zu sehen.

Constanza Macras arbeitet seit mehr als 20 Jahren in Berlin und tourt mit vielen ihrer Stücke weltweit, oft in Kontakt mit dem Goethe-Institut. In Berlin wird sie über den Hauptstadtkulturfonds gefördert und muss sich für jedes Stück einen Koproduzenten in der Stadt suchen.

Die Schaubühne, an der sie viele Stücke herausbrachte, bedauert, „zurzeit aus produktionstechnischen und wirtschaftlichen Gründen“ und mit den „aktuellen Zuwendungen“ ihr Ensemble nicht als Gäste auftreten lassen zu können. So kam es in diesem Jahr zu der alarmierenden Situation, dass Constanza Macras ein großer Auftrittsort fehlte. Mit der Akademie der Künste hat sie nun glücklicherweise eine Lösung zumindest für „The Pose“ gefunden, zumal das Konzept, die intimen Geschichten in kleineren Räumen zu erzählen, hier gut passt.

Ein Viel-zu-viel von allem

Dass die Tanzstücke von Constanza Macras oft von der Offenheit der Choreografin leben, die die unterschiedlichsten Performer unter ihre Fittiche nimmt und mit deren Eigenheiten arbeitet, zeichnet auch „The Pose“ aus. Was der Abend dagegen an Theorie zu Fotografie, Selfies, Authentizität und Pose anbietet, ist eher von bescheidenem Erkenntniswert.

Vor der Pause kommen alle Solisten, die in kurzen Sequenzen von einem 25-köpfigen Bewegungschor unterstützt werden, auf der großen Bühne zusammen. Sie stürzen sich in Miniaturen, Angstbilder, Opferbilder, Siegerposen, verstecken sich in Zelten, Lampenschirmen, jeder springt mit jedem ins Bett, keiner so schön wie Emil Bordas im lang gestreckten Sprung. Sie hasten, rennen von Pose zu Pose.

Alles ist Hektik, nirgendwo Zeit für Entwicklung, Kostüme und Requisiten werden getauscht, vorwärts und rückwärts gespielt. Einem randvollen Skizzenblatt, in dem ein Künstler noch auf jeden Quadratzentimeter eine Figur gequetscht hat, gleicht das oder einem raschen Klicken durch YouTube-Filme von Unglücken, Pleiten, Witzen, Glamourposen. Ein Viel-zu-viel, eine voll geschriebene Welt, ein Untergehen in schon vorhandenen Bildern, so stellt sich das Leben hier dar.

Was soll jetzt noch kommen, denkt man sich, nach der Pause? Es kommt die Vergangenheit, der persönliche Gebrauch von den Bildern der Eltern, Großeltern, ausgewanderten Ahnen. Und mit ihm Erzählungen über die Schwierigkeit, den Abschied vom sterbenden Vater auszuhalten und wie sich über die Bilder ein Dialog mit den Gestorbenen fortsetzt. Was zuvor manchmal wie eine auch oberflächliche Kritik einer oberflächlichen Bildwelt anmutete, kann aus einer neuen Perspektive gesehen werden, Linien verbinden die Bilder nicht nur über Kontinente, sondern auch über Jahrhunderte.

So wird aus den vielen kleinen alltäglichen Dramen am Ende ein großes Panorama der Geschichten vom Werden der so unterschiedlichen Personen. Eine Feier der Diversität, könnte man auch sagen. Aber das ist ja jedes Stück von ­Constanza ­Macras.

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