Tarek Al-Wazir zur Grünen-Urwahl: „Das perfekte Wahlkampfpaar“

Trittin und Göring-Eckardt seien eine gute Mischung, meint Tarek Al-Wazir. Göring-Eckardt werde Wertkonservative ansprechen, die die CDU nicht mehr erreicht.

Wer ist Mutter Teresa? Und, vor allem, wer ist Darth Vader? Bild: dapd

taz: Herr Al-Wazir, lassen Sie uns den Überraschungssieg von Katrin Göring-Eckardt analysieren. Dazu drei Theorien, alle aus Ihrer Partei.

Tarek Al-Wazir: Immer her damit.

Ím Grunde war es eine Wahl für Trittin, nicht für Göring-Eckardt. Die Leute haben nur die Frau dazu gewählt, die am wenigsten stört.

Quatsch. Beide haben gewonnen. Trittin ist der unumstrittene Mann. Und das Ergebnis von Katrin ist ein großer, erarbeiteter Erfolg. Anfangs lag sie in Umfragen weit abgeschlagen hinten. Auf den Urwahl-Foren haben sie Tausende Mitglieder gesehen. Sie hat unzählige Interviews gegeben und offensichtlich beeindruckt und in der Sache überzeugt.

Göring-Eckardt hat gewonnen, weil evangelische Kirchentage inzwischen grüne Vorfeldorganisationen sind.

Auch Quatsch. Da gab es keine protestantische Großverschwörung. Die EKD ist sehr vielfältig, von fundamentalen Evangelikalen bis hin zu weltoffenen Progressiven. Ich würde ja durchaus begrüßen, wenn alle Protestanten Katrin Göring-Eckardt gut fänden, dann wären wir nahe an der absoluten Mehrheit. Ist aber nicht so.

41 , ist Mitglied im Hessischen Landtag und Landesvorsitzender der Grünen.

Dritte Theorie: Auch Grüne haben Geschlechterklischees im Kopf. Die gut aussehende Göring-Eckardt wird eher gewählt als die schrille Roth oder die bissige Künast.

Männer sind in dieser Frage das schlichtere Geschlecht, das kann ich nicht für alle ausschließen. Trotzdem weit überwiegend auch Quatsch. Die Mehrheit hat sich nicht die bequeme, stille Frau gewählt. Wer so denkt, kennt Katrin Göring-Eckardt schlecht. Wenn unsere Spitzenkandidaten scherzhaft als Darth Vader und Mutter Teresa bezeichnet wurden, dann ist für Kundige noch unklar, wer von den beiden Mutter Teresa ist.

In Medien wird Ihre Nominierung als Wunsch der Basis nach mehr Wertkonservatismus interpretiert. Wie sehen Sie das?

Die spannende Frage ist ja: Wer ist überhaupt die Grünen-Basis?

Klären Sie uns auf.

Ich unterscheide drei Schichten. Die Grünen haben Mandatsträger, die in Parlamenten sitzen. Dann gibt es Ehrenamtliche, die sich in der Partei engagieren und als Delegierte auf Parteitage kommen. Und drittens sind da noch die ganz normalen Mitglieder.

Denken diese Schichten politisch unterschiedlich?

Ja. Mandatsträgerinnen und Mandatsträger denken – egal ob Realos oder Regierungslinke – eher pragmatisch, weil sie um die Schwierigkeiten der Umsetzung von Parteitagsforderungen in Realität wissen. Die ehrenamtliche Funktionärsebene tickt politisch eher links. Und die normale Mitgliedschaft ist im Moment eine Blackbox. Niemand weiß, wie die 20.000 Mitglieder denken, die seit der vergangenen Bundestagswahl eingetreten sind.

Und, wollen die mehr Wertkonservatismus mit Göring-Eckardt?

Ich glaube, dass die allermeisten Mitglieder ganz pragmatisch entschieden haben. Für ein breites Angebot an die Gesellschaft. Und für eine eine gute Mischung.

Oder war Göring-Eckardt deshalb erfolgreich, weil sie mit dezidiert linken Positionen antrat?

So einfach ist es nicht. Ich finde die Zuspitzung unfair, Göring-Eckardt habe früher Hartz IV mitgetragen und laufe jetzt als Herz-Jesu-Marxistin durch die Gegend. Die Grünen sind – ebenso wie Katrin Göring-Eckardt – nie neoliberal an diese Reform herangegangen und haben früh auf Fehlentwicklungen hingewiesen. Im übrigen sind mir alle Politiker eher suspekt, die in zehn Jahren überhaupt nichts dazulernen, sondern immer schon alles vorher besser gewusst haben.

Das heißt: Die Basis wählte nicht politisch, sondern es ging nur um Habitus?

In der Mediendemokratie ist der Auftritt auch politisch. Eine große Rolle spielte, dass die Mitglieder ein frisches Gesicht dabei haben wollten. Und eine bürgerliche Anmutung. Nehmen Sie mal Katrin Göring-Eckardt und Thomas de Maiziere...

... jetzt wird es interessant.

Bei den Beliebtheitswerten von Politikern unterschiedlicher Parteien fällt auf: Sehr weit oben stehen Menschen, die eher Gelassenheit ausstrahlen und eine gewisse Nachdenklichkeit verbreiten. De Maiziere, Kretschmann, Schäuble, Steinmeier, Merkel. Sie alle eint, dass sie nicht so tun, als hätten sie auf jede Frage sofort die richtige Antwort, aber vielleicht eine gute Gegenfrage. Diesem Bild entspricht Katrin Göring-Eckardt perfekt.

Ihre Werbeagentur wird sich über das Traumpaar freuen.

Das glaube ich auch. Sie sind das perfekte Wahlkampf-Paar. Ost und West, Frau und Mann, jünger und älter, Wärme und Strategie. Toll.

Welche Wähler kann Göring-Eckardt für die Grünen erschließen?

Ein Problem der CDU ist, dass sie Wertkonservative, denen sozialer Zusammenhalt und die nächsten Generationen wichtig sind, kaum noch erreicht. Christdemokraten wie Norbert Blüm, die wissen, wo sie herkommen und allen sozialen Aufstieg ermöglichen wollen, gibt es bei den Schwarzen nicht mehr. Da rennen ja fast nur noch Jurastudenten in Burberry-Jacken herum.

Und diese Leute wählen nicht Angela Merkel sondern Göring-Eckardt?

Natürlich. Diese Menschen leben konventionell, also eher im Eigenheim in der mittelgroßen Stadt als in Berlin-Kreuzberg. Aber sie wissen, dass sozialer Zusammenhalt und gute öffentliche Schulen nicht entstehen, wenn man der FDP nachgibt. Auch in kirchlichen Milieus gibt es Menschen, die progressiv denken, aber mit der Religionsfeindlichkeit mancher Parteien nichts anfangen können. Solche Gruppen sind politisch heimatlos. Sie spricht Katrin Göring-Eckardt an.

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