Tatsachen-Thriller „Tödlicher Staub“: Lämmer ohne Augen

Seit Jahren häufen sich rund um die militärischen Sperrgebiete auf Sardinien Krebserkrankungen. Massimo Carlotto hat daraus einen spannenden Thriller gemacht.

Hinter der schönen Landschaft verbirgt sich die tödliche Gefahr. Bild: dapd

Im Urlaubsparadies Sardinien sterben Menschen. Hier, wo das Meer türkisblau ist, liegen Europas größte Truppenübungsplätze. Den experimentellen Schießplatz „Salto di Quirra“ kann man mieten – für 50.000 Euro die Stunde. Waffentests verseuchen die Umgebung mit radioaktiven Nanopartikeln. Die Hirten sterben an Krebs, Kinder werden missgebildet geboren, Lämmer kommen ohne Augen auf die Welt. L'Omertá sagt man hier dazu, das Gesetz des Schweigens. Kontrolliert von einer Allianz aus Politik und Militär, Polizei und Mafia.

In Massimo Carlottos „Tödlicher Staub“ kommt die junge Tierärztin Nina dieser Allianz in die Quere. Sie untersucht die missgebildeten Lämmer in der Umgebung von „Salto di Quirra“ und die Zusammenhänge mit den Waffentests. Damit ihre Forschungen nicht publik werden, soll sie aus dem Weg geräumt werden. Es wimmelt vor korrupten Polizisten, zwielichtigen Militärs, Söldnern, bestechlichen Politikern und Mafiosi, die alle darum kämpfen ihre Pfründe zu sichern. Der Thriller „Tödlicher Staub“ zeigt die Trauminsel von ihrer hässlichsten Seite.

Doch die Wirklichkeit ist manchmal noch hässlicher. Jahrelang protestierten die Anwohner, doch die von den Gesundheitsbehörden erstellten Gutachten attestierten regelmäßig die Unbedenklichkeit der Waffentests. Jetzt ermittelt der Staatsanwalt Domenico Fiordalisi gegen die Betreiber des Schießplatzes „Salto di Quirra“.

Fiordalisi ließ das Gelände räumen und Leichen exhumieren, er gab neue Gutachten bei unabhängigen Wissenschaftlern in Auftrag und bereitet mehrere Prozesse vor. Fiordalisi ist kein Sarde, der Staatsanwalt kam aus Süditalien auf die Insel. Seitdem er Morddrohungen erhält, lebt er unter Polizeischutz. L'Omertá.

Fiordalisi macht trotzdem weiter. Am 20. Juni wird entschieden, wann der Staatsanwalt gegen zwanzig Angeklagte den Prozess eröffnet – darunter acht hochrangige Ex-Militärs, Politiker und korrupte Wissenschaftler.

Recherche, die fasziniert

Auch der Autor Massimo Carlotto ist kein Sarde, lebt aber seit Jahren auf der Insel. Der Krimiautor aus Padua recherchierte jahrelang zusammen mit Mama Sabott, einer Gruppe von neun sardischen Schriftstellern und Journalisten über die kriminellen Machenschaften rund um das Militärgebiet. „Tödlicher Staub“ fasziniert vor allem durch diese tiefgehende Recherche. Zwar bleiben die Figuren an manchen Stellen etwas blass, aber das rasante Tempo und die kühle, schlichte Sprache gleichen das aus.

Allein die Lebensgeschichte des Autors ist krimitauglich. Als Mitglied der linksextremen Gruppe „Lotta Continua“ wurde Carlotto in den 1970er Jahren zu Unrecht wegen Mordes verurteilt. Nach fünf Jahren auf der Flucht und sechs Jahren Haft wurde er schließlich 1993 begnadigt. Daraufhin begann er, Romane zu schreiben. Flucht, Fremdbestimmung und die Kunst zu Überleben – das ist der rote Faden, der sich durch Carlottos gesamtes Werk zieht.

Massimo Carlotto: „Tödlicher Staub“, aus dem Italienischen von Hinrich Schmidt-Henkel. Tropen, Berlin 2012, 159 Seiten, 14,95 Euro.

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