Taz-Serie Schillerkiez: Die Kneipen: Immerhin ist das Bier billig

Was trinkt eigentlich der Schillerkiez? Und was sagt uns das über den Wandel des Quartiers? Ein Kneipentest in charmanter Begleitung.

"Wer Bier trinkt, hilft der Landwirtschaft", so heißt's im Syndicat. Bild: dapd

Die Gentrifizierung eines Stadtviertels beginnt mit den „Profitpionieren“. Sie machen aus verbraucht-verrauchten Männerkneipen frische Nichtraucher-Cafés, aus Dönerbuden erst Läden für gebrauchte Partyklamotten und dann für neue Kinderkleidung, aus Videoshops Bioläden und Galerien. Im Schillerkiez interessieren wir uns für den derzeitigen Kneipenmix.

Zuerst steuern wir – Ecke Hermann Mahlower – das alteingesessene „Bären-Eck“ an. Hier tobt zu unserem Erstaunen das junge Leben. An Pokerautomaten und Dart-Boards drängen sich die Gäste. Eine Mädchengruppe am gardinenverhängten Fenster guckt amerikanische Catcherkämpfe im Sportkanal. Die Regale an den holzgetäfelten Wänden stehen voller Dartpokale. Wir bestellen zwei Tee mit Rum und drücken in der Musikbox „Flugzeuge im Bauch“ von Grönemeyer. Es kommt dann jedoch „Radio Gaga“ von Queen.

Die nächste Eckkneipe an der Kreuzung Mahlower-/Weisestraße ist das exakte Gegenteil: fast tot. Der Wirt der „Mahlower Klause“ studiert unterfordert das Heft des Gaststätten- und Beherbergungsgewerbes, an der Theke reden zwei Leute über Plasmafernseher, eine alte Frau trinkt Bier mit Korn. Wir setzen uns an den Stammtisch von „Rohr-Müller“, einem Sanitärgeschäft in der Nachbarschaft. Der Berliner Rundfunk 91,4 verbreitet Frohsinn. „In solchen Bars läuft immer Phil Collins!“, meint Antonia. Und tatsächlich. Immerhin ist das Bier billig. Als Faustregel gilt im Schillerkiez: In den schicken, gentrifizierten Läden ist es doppelt so teuer wie in den alten Eckkneipen.

Zwischen Tempelhofer Feld und Hermannstraße liegt der Schillerkiez. Lange galt das Viertel am Rande des einstigen Flughafens als Armeleutegegend. Menschen aus vielen Ländern leben hier, die Arbeitslosenquote beträgt über 40 Prozent, der Kiez weist die höchste Bevölkerungsdichte von Neukölln auf.

Mit der Stilllegung des Flughafens 2008 ist aus dem Viertel ein Quartier mit Potenzial für Investoren geworden. Seit Mai 2010 ist die 386 Hektar große Freifläche ein Park. Hier sollen laut Senat Gewerbebetriebe entstehen und neue Wohnquartiere für die obere Mittelschicht.

Droht dem Schillerkiez nun eine Welle von Mietsteigerungen, wie sie weite Teile von Prenzlauer Berg und Kreuzberg erlebt haben? Sind die Studierenden und Künstler, die ins Viertel strömen, Vorboten einer Entwicklung, die in Friedrichshain und Mitte fast beendet ist? Wird das einstige Arbeiterviertel gentrifiziert?

Die taz wird diese Veränderungen in den nächsten Jahren beobachten. Seit Mai 2010 läuft das Projekt. Bereits erschienene Texte finden Sie auf:

www.taz.de/schillerkiez

Den Anarcho-Infoladen „Lunte“ in der Weisestraße – hier läuft ein Agitprop-Film – lassen wir links liegen. Wir waren zuletzt auf dem Straßenfest, das die Betreiber alljährlich organisieren, damit die Schillerkiezbewohner sich über ihre Miet- und Wohnprobleme austauschen. Es kommen aber immer mehr junge Leute mit reichen Eltern oder einem guten Einkommen dorthin. Sie sind eher die Hoffnungsträger des „Quartiersmanagements“ zur „Aufwertung“ des Kiezes.

Wir kehren in der ebenfalls von Gentrifizierungsgegnern frequentierten Kneipe „Syndicat“ in der Weisestraße ein, wo es an diesem Abend „Tofu Stroganoff“ gibt: entweder vegetarisch oder gleich ganz vegan zubereitet. Dazu passt das bukolische Plakat „Wer Bier trinkt, hilft der Landwirtschaft“. Wir bestellen hier jedoch „Die Schnapsidee des Monats“: selbst gepanschten Himbeerwodka.

Auf einem anderen Plakat heißt es: „Bauernhöfe statt Agrarindustrie“. Dessen ungeachtet strahlen das Interieur und die Lautsprecherboxen eher urbane Punk-Ästhetik aus: Die Wände sind ochsenblutrot und schwarz gestrichen, es gibt Tischfußball und einen Flipper sowie Infomaterial über die sozialen Auseinandersetzungen im Kiez.

Ganz anders die mehrheitlich von Frauen besuchte Ofenkneipe „Pianobar Froschkönig“ in der Weisestraße, wo ein Gitarrist verhaltene Akkorde durch sein Echohallgerät schickt. Noch leiser sind die zwei Fernseher, auf denen Videos vom Leben im Korallenriff laufen. Auch wir machen keinen Krach, als wir an der Theke einen süßsauren „Drink“ bestellen. 357 Personen gefällt Froschkönig laut Facebook, wie die kneipeneigene Website verrät. Wir bezahlen und gehen wieder.

In der „Cocktailbar Lange Nacht“, ebenfalls an der Weisestraße, findet eine „Stadtteilversammlung“ statt, organisiert von einer „Schillerkiez-Initiative“. Sie entstand als Reaktion auf die 2008 vom Quartiersmanagement gegründete „Task Force Okerstraße“, mit der man „Problemhäuser“, „Problemfamilien“ und die „Trinkerproblematik“ im Kiez angehen wollte. Die „Stadtteilinitiative Schillerkiez“ begriff die „Task Force“-Gründung als „Kriegserklärung“.

Wir beeilen uns, noch einen Stehplatz zu finden, ein Mitarbeiter des Mieter-Echos spendiert uns ein Bier. Wir erfahren: Seit 2009 wurden 500 Mieter im Schillerkiez aus ihren Wohnungen geworfen, vor allem alte Leute. Ein auf Miet- und Arbeitsrecht spezialisierter Kiez-Anwalt macht vor allem die „Jobcenter“ und deren „völlig inkompetente Mitarbeiter“ für die Verdrängung von Nicht- und Schlechtverdienern verantwortlich. Eine Architektin hebt dagegen auf die „Wärmedämmung“ ab, die sich private Vermieter mangels Kapital nicht leisten können, weswegen sie ihre Häuser an westdeutsche Spekulanten verkaufen müssten, die sich ganze Straßen unter den Nagel rissen.

Eine Neuzugezogene beklagt sich über die Arroganz der „Lunte“-Betreiber, eine ältere Kiezbewohnerin bescheinigt ihnen, trotzdem gute Aufklärungsarbeit zu leisten. Und gleich mehrere Leute müssen zugeben, dass „die neu zugezogenen Jungen, aus Frankreich oder Spanien zum Beispiel, dem Kiez auch gut tun“. Die „Stimmung“ habe sich dadurch verbessert. Außerdem „können die das ja alles gar nicht wissen“ – sprich, über welche Leichen sie da steigen, wenn sie ihre Wohnungen beziehen, für die nun 10 Euro pro Quadratmeter Kaltmiete verlangt werden.

„Die Studenten zahlen jeden Preis, auch für nicht renovierte Wohnungen“, hatte uns zuvor bereits ein Makler erzählt, der außerdem wusste, dass die Piratenpartei 21 Prozent der Stimmen im Schillerkiez bekommen habe. Die Versammlung der 70 überwiegend jungen Leute ist sich einig, dass man die Neuzugezogenen aufklären muss, damit sie Verantwortung übernehmen. „Was ist denn aber nun die Konsequenz aus einem solchen Verantwortungsbewusstsein?“, fragt eine neu aus Ulm Zugezogene. Dazu werden am Ende mehrere Arbeitsgruppen gebildet.

Wir wechseln noch einmal die Location und gehen ins Rocker- und Biker-Lokal „Bierbaum 3“ an der Schillerpromenade, wo der Schnaps immer noch 80 Cent kostet. Diese Eckkneipe ist trotz anhaltender Gästeverluste infolge von Alkohol und aus der Kurve getragener Motorräder das Lebhafteste an dieser Straße, sieht man einmal vom Gesundheitsladen „Frauenräume“ gegenüber ab, in dem an diesem Abend an allen Tischen Karten gespielt wird. Von draußen wirkt das wie eine jungdeutschfeministische Parodie auf alttürkische Männercafés.

Skat im „Bierbaum 3“

Im „Bierbaum 3“ wird Skat gespielt, an der Decke hängen Motorräder, an einer Wand Fotos von „Abduls Birthday“. Für unsere Zeche zahlen wir so wenig, dass wir fast an ein Versehen glauben.

Als Nächstes steuern wir das Café „Circus Lemke“ in der Selchowstraße an. Der Besitzer ist nicht wie der Wirt der „Berg-Klause“ in der Boddinstraße ein Raubtierdompteur, sondern ein Schauspieler. Früher hieß der Laden „Café Xenzi“ und wurde von rosa Damen mit Betonfrisuren frequentiert. Nun sind es schwarz gekleidete Studentinnen mit Smartphones und Pony, die über irgendwelche „Module“ reden.

Abschließend kehren wir noch in die von türkischen Romafrauen geführte „Cocktail Lounge Ikbal“ ein, ebenfalls in der Selchowstraße. Dies war mal ein „Tanzcafé“, nun stehen hier Spielautomaten, oben drüber hängen eine Anti-AKW-Fahne und ein Fernseher, in dem türkische Musikclips laufen. An zentraler Stelle wurde ein Schminkspiegel eingedübelt. Die Perlendekoration daran stammt aus der Fahrschule „Kubi“ nebenan, wo außerdem noch Perlen in „1001 Farben“ verkauft werden zum Selberherstellen von Modeschmuck.

Die Barkeeperin im „Ikbal“ wechselt den Musikkanal auf dem Fernseher: Es läuft ein Clip von Lady Gaga. Ein sinniger Abschluss für einen Kneipenrundgang, der mit Radio Gaga begann. Wir bestellen Kaffee.

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