Taz-Sommerserie Großstadtrevier (5): Was der Vierbeiner für uns tut

Hunde haben eine positive Wirkung auf den Menschen – egal ob im Büro, in der Schule oder im Seniorenheim.

Hunde an der Leine.

Ständige Begleiter. Foto: dpa

Roula hat große schwarze Augen und kleine Schlappohren. Einmal pro Woche besucht die Mischlingshündin verschiedene Seniorenheime der Stadt, dort kuschelt und spielt sie mit den Bewohnern. Zu manchen hüpft die Hündin sogar ins Bett.

„Die positive Wirkung eines Hundes auf den Menschen ist wissenschaftlich belegt“, sagt Markus Beyer. Er ist Gründer und erster Vorsitzender des „Bundesverbandes Bürohund“. Dass sein Golden Retriever Chester ihn jeden Tag begleitet, ist für ihn selbstverständlich. Die beiden haben schließlich ein ganzes Hundeleben miteinander verbracht. Dass Hund und Herrchen sich nahestehen, ist nicht zu übersehen: Beyer – hellblaues Hemd, vom Wind zerzauste graue Haare – sitzt bei Kaffee und Zigarillo in der Sonne. Neben ihm – blaue Hundejacke, beige zerzaustes Fell – sitzt Chester.

Bürohunde, wie auch Chester einer ist, gäbe es in Berlin schon richtig viele, sagt Beyer, der hauptberuflich als Hundetrainer arbeitet. „Aber ich betreibe eher Menschentraining“, sagt er grinsend. Sein Verband setzt sich seit Anfang 2014 für mehr Hunde an Arbeitsplätzen ein, informiert und berät, wie die Idee umgesetzt werden kann. Tatsächlich sollten mehr Halter ihre Hunde mit zur Arbeit nehmen dürfen, meint Beyer. Der Hund sei stressmildernd.

Das stimmt. Professor Randolf Barker von der Virginia Commonwealth University veröffentlichte bereits 2012 die Ergebnisse einer Studie, in der er den Anstieg von Stresshormonen im Körper im Laufe eines Arbeitstages gemessen hatte. Die Testpersonen wurden in drei Gruppen aufgeteilt – Personen mit Hund, den sie zu Hause ließen, Leute, die ihren Hund mit zur Arbeit nahmen, und Mitarbeiter ohne Haustier. Die Studie zeigte, dass bei Personen, die ohne ihren Hund zur Arbeit gingen, die Konzentration der Stresshormone Insulin und Cortisol über den Tag stark anstieg. Bei Personen ohne Haustier erhöhte sich der Stresspegel ebenfalls, wenn auch weniger als bei der ersten Gruppe. Bei Mitarbeitern, die ihren Hund mitnahmen, sank der Stresspegel.

Sind die Kinder nett zu Bruno, kommt er zu ihnen. Sind sie gemein, läuft er weg.

Den Grund dafür hatte Linda Handlin bereits 2010 in ihrer Doktorarbeit über Interaktionen zwischen Tieren und Menschen geliefert – das Hormon Oxytocin, auch Kuschelhormon genannt. Es wird bei der Geburt in hohen Mengen ausgeschüttet und sorgt für die emotionale Bindung von Mutter und Kind. Es wird ebenfalls ausgeschüttet, wenn Mensch und Hund Kontakt haben, und hemmt die Produktion von Cortisol. Das wirkt unter anderem blutdrucksenkend, beruhigend, depressionenmindernd und erhöht die soziale Kompetenz und Vertrauen.

Schutz vor dem Totalausfall

Sie sind überall. Manche sehen wir jeden Tag, manche so gut wie nie. Andere werden uns in Zukunft noch häufiger über den Weg laufen. Berlin ist nicht nur das Zuhause für dreieinhalb Millionen Menschen, sondern auch für unzählige Tiere: Füchse und Falken, Ratten und Schweine, Katzen und Spatzen. Für Sie legen wir uns auf die Lauer, lesen Fährten und schielen in Nester: Diese Sommerserie ist animalisch.

Bereits erschienen: Betrachtungen über den Fuchs (21. 6.), Recherchen über den Migrationshintergrund der Berliner Fauna (28. 7.), ein Essay zu Katzen (5. 8.) und eines zum Biber (11. 8.).

Dauerstress im Arbeitsalltag und die ständige Erreichbarkeit dank Smartphone und Co. belaste immer mehr Menschen, meint Markus Beyer. „Das führt zu psychischen Erkrankungen, oftmals zum Totalausfall“, sagt Beyer. Aus dem Gesundheitsreport der Krankenkasse DAK geht hervor, dass im Jahr 2013 jede dritte Frau und jeder vierte Mann unter den Versicherten an Burn-out erkrankt ist.

Dem soll der Bürohund entgegenwirken. „Einige Leute sagen, dass der Hund im Büro nur unterbricht, und dann sage ich: Ja, aber was? Er unterbricht den oftmals sogar tödlichen Verlauf einer psychischen Erkrankung“, sagt Beyer. Durch die stresssenkende Wirkung des Hundes senke sein Einsatz am Arbeitsplatz auch die Kosten, die das Unternehmen für kranke Mitarbeiter ausgebe, sagt er.

Ein Hund am Arbeitsplatz tut damit allen gut. „Die Hunde sind in ihrem sozialen Umfeld, die Mitarbeiter haben weniger Stress, bessere Ideen und lernen leichter. Das Unternehmen ist kreativer und schneller“, erklärt der Hundetrainer. Tatsächlich bewiesen amerikanische Forscher der State University von New York, dass Hunde die Konzentrationsfähigkeit des Menschen steigern.

Hund im Klassenzimmer

Das führt zum Beispiel dazu, dass Kinder mit Leseschwächen fehlerfreier und flüssiger lesen und ihre Fähigkeiten nachhaltig verbessern. Das kann auch Anja Trümper bestätigen. Sie nimmt ihren Mischling Bruno fast jeden Tag mit zur Arbeit. Dort arbeitet er mit Kindern, als Schulhund.

Seine Halterin ist Klassenlehrerin der Klasse 3A an der Havelmüller Grundschule in Tegel. An der Inklusionsschule unterrichtet sie unter anderem Sachkunde und Deutsch. Dabei kann Bruno nicht wirklich helfen, also schläft der graubraune Vierbeiner mit dem wuscheligen Fell oder flitzt über die Flure der Grundschule, denn hier sind die Türen immer offen.

Brunos Kompetenzen liegen eher im sozialen Bereich. Vor allem mit besonderen Kindern, geistig behinderten, lernbehinderten oder autistischen Schülern, versteht er sich gut. „Diese Kinder haben es oft schwer, mit anderen Kontakt aufzunehmen“, sagt Trümper. Mit Bruno sei das viel einfacher. „Die direkte Rückmeldung, die die Kinder vom Hund bekommen, tut ihnen gut“, erzählt sie. Das funktioniert ganz einfach. Sind die Kinder nett zu Bruno, kommt er zu ihnen, sind sie gemein, was so gut wie nie vorkomme, läuft er weg. „Ich glaube, im Umgang mit ihm beziehen die Kinder Fehler auf sich und wissen, wenn sie etwas falsch gemacht haben“, meint Trümper.

Einmal wöchentlich gibt es ein Training in der sogenannten Übergangsklasse. Hier heißt es: abwarten und dann ganz konzentriert ein Handzeichen ausführen, damit Bruno sich hinsetzt oder eine Rolle macht. So werden Konzentration und Geduld geschult.

Roula gibt Liebe zurück

Franciska Lion-Arend ist für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Vereins „Hunde im Sozialdienst“ zuständig, der auch den Berliner Besuchshundedienst organisiert. Ebenso geht sie einmal wöchentlich selbst mit ihrem Terrier-Havaneser-Mischling Roula in Seniorenheime. Andere Hunde des Teams besuchen auch Kindertagesstätten oder Krankenheime. Die Vierbeiner sollen den Menschen vor Ort den Kontakt zu Tieren ermöglichen und Abwechslung in ihren Alltag bringen.

Der Verein führt zusammen mit einem Team in Reinickendorf vorab ein spezielles Wesens- und Gehorsamstraining für Besuchshunde durch und legt besonders hohen Wert auf eine gefestigte Beziehung zwischen Hund und Halter. „Der Hund muss Vertrauen in seinen Halter haben“, erklärt Lion-Arend. Denn der Einsatz im Senioren- oder Krankenheim ist für einen Hund sehr anstrengend, da viele Menschen auf einmal seine Aufmerksamkeit verlangen.

Roula war ihrer Halterin vor fünf Jahren im Urlaub auf Korfu zugelaufen, nachdem sie von ihren Vorbesitzern ausgesetzt und vermutlich auch geschlagen wurde. „Hunde, die viel Leid erfahren haben und nun ein liebevolles zu Hause haben, geben diese Liebe auch zurück“, erzählt Lion-Arend.

Wie viel Liebe Roula zurückgeben kann, zeigte sich vor allem bei einer der Seniorinnen, die die beiden wochenlang besuchten. Die Frau sagte nie ein Wort, wenn das Besuchshunde-Team da war. Beim fünften Besuch überraschte die Frau ihre Pfleger, Franciska Lion-Arend und Roula und sprach ein paar erste Sätze. Dafür hatte Roula sich dann natürlich eine Belohnung extra verdient. „Da war ich wirklich stolz auf sie“, erzählt ihre Besitzerin.

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