„Terrorgefangene“ in Afghanistan frei: Karsai überstimmt Obama

Der afghanische Präsident Hamid Karsai lässt 72 als „gefährlich“ eingestufte Gefangene aus dem Lager in Baqram frei. Gegen den Willen der US-Regierung.

Das Bagram-Gefängnis bei der der Eröffnung eines neugebauten Teils unter US-Kontrolle, November 2009. Bild: reuters

BERLIN taz | Nun ist es amtlich: Nach kurzem, aber heftigen Streit mit Washington über den Jahreswechsel hat Afghanistans Präsident Hamid Karsai entschieden, 72 von 88 von den USA als höchst gefährlich eingestufte afghanische Gefangene mangels Beweisen freizulassen. Das wurde am späten Donnerstag in Kabul bekannt gegeben.

Damit hat sich „Karsai, der nur noch bis zu den Wahlen im April amtiert und nicht mehr antreten darf, ein weiteres Mal gegen US-Präsident Barack Obama durchgesetzt. Daheim stärkt das seinen Ruf als Patriot, der selbst gegen den amerikanische Goliath aufsteht. Damit will er sich politischen Einfluss auch auf seinen Nachfolger sichern.

Die 88er-Gruppe gehört zu ursprünglich 7200 Afghanen, die US-Militär und -Geheimdienst in einem Gefängnis auf dem Stützpunkt Bagram nördlich Kabuls festhielten. Das wurde im März 2012 an die afghanische Regierung übergeben, die seither bis auf etwa 570 alle Häftlinge entließ. Washington behielt zwar ein Mitspracherecht in besonders gefährlichen Fällen. Aber das hat Karsai nun kraft seines Amtes überstimmt.

Die US-Amerikaner warfen den meisten der 88 Gefangenen vor, Dutzende afghanische und US-Soldaten getötet zu haben. Die dafür vorgelegten Beweise aber erklärten Karsai und seine Parteigänger nur in 16 Fällen als ausreichend.

Bagram gilt als „zweites Guantánamo”

Zwei prominente US-Senatoren, die Karsai letzte Woche in Kabul noch umstimmen wollten, sprachen von „irreparablem Schaden“ für die gegenseitigen Beziehungen. Die Unterzeichnung des von Washington angestrebten Bilateralen Sicherheitsabkommens, das auch die Grundlage für die neue NATO-Mission in Afghanistan nach Ende 2014 bilden soll, steht damit in den Sternen.

Washington hat bereits gewarnt, dass damit auch Hilfsgelder wegfallen könnten, von denen Afghanistan abhängig ist. Die US-Regierung argumentiert auch, dass Karsais Regierung den Freigelassenen keine hinreichenden Auflagen erteilen könnte und diese - wie schon andere Ex-Taliban-Häftlinge - wieder in den Kampf zurückkehren könnten.

Bagram gilt als „zweites Guantanamo“. Im Gegensatz zu dem Stützpunkt auf Kuba haben Häftlinge dort keinerlei Zugang zu Rechtsbeistand. Zudem halten die Amerikaner in Bagram offenbar 60 bis 70 Nichtafghanen, davon etwa zwei Drittel Pakistani, in einem „schwarzes Gefängnis“ fest, auf das auch die afghanischen Behörden keinen Zugriff haben. Dort wird nach Berichten Entlassener auch gefoltert.

Die Gefangenen sind für Karsai auch deshalb wichtig, weil er damit die Taliban-Führung für direkte Gespräche ködern will. Die lehnen das ab, wollen aber auch ihre Kämpfer frei bekommen. Zudem hat eine Kabuler Präsidentensprecherin Anfang der Woche von Washington auch die Übergabe von fünf hochrangigen Taliban aus Guantanamo verlangt. Dem dürfte Obama nach Karsais Alleingang in Bagram nun kaum noch zustimmen.

Zusätzlich zu dem öffentlichen Streit motiviert haben dürfte Karsai die kürzliche Veröffentlichung der Memoiren von Obamas Ex-Verteidigungsminister Robert Gates, der scheibt, Obama könne Karsai nicht ausstehen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.