Teurer Flop Ostseeautobahn: Kein Rettungsschirm für Autobahn

Nur die Hälfte der vorhergesagten Autos fährt auf der A20. Jetzt steht der Weiterbau nach Niedersachsen vor dem Aus, denn den nötigen Elbtunnel will keiner mehr bezahlen.

Es wird asphaltiert: Bauarbeiten an der A 20 bei Geschendorf nahe Bad Segeberg. Bild: dpa

Hamburg taz | Für Valerie Wilms ist der Befund eindeutig: "Bei so wenig Verkehr reicht eigentlich eine Landstraße", fasst die grüne Bundestagsabgeordnete aus Schleswig-Holstein die Auskünfte zur Ostseeautobahn A 20 zusammen, die sie vom Bundesverkehrsministerium erhalten hat.

Im Ergebnis sei auch der Weiterbau nach Niedersachsen mit einem Elbtunnel "nicht notwendig" und "nicht finanzierbar", so Wilms. Das sieht auch Andreas Tietze so: "Die A 20 ist der größte Flop des deutschen Autobahnbaus", sagt der Verkehrsexperte der Kieler Landtagsgrünen.

Aus zwei ausführlichen Antworten des Ministeriums auf Wilms Anfragen werden erstmals Zahlen über die tatsächliche Nutzung der Autobahn genannt, die einmal als wichtigstes "Verkehrsprojekt Deutsche Einheit" konzipiert war. Demnach ist die Strecke nur zu höchstens zwei Dritteln, meist aber nur zur Hälfte ausgelastet.

Die zuerst als "Ostseeautobahn" zwischen der polnischen Grenze und Lübeck geplante A 20 soll auf 542,4 Kilometer Gesamtlänge zur "Küstenautobahn" bis an die Nordsee ausgebaut werden.

In Betrieb: 345,2 Kilometer, davon 26,8 in Brandenburg, 279,6 in Mecklenburg-Vorpommern und 38,8 in Schleswig-Holstein.

Verlauf: Vom Autobahnkreuz Uckermark mit der A 11 über Neubrandenburg, Greifswald, Rostock, Wismar und Lübeck bis Bad Segeberg.

Im Bau: Zwei Teilstücke von 29,7 Kilometer Länge von Bad Segeberg bis zur A 7 bei Bad Bramstedt.

In Planung: Nach Südwesten 40 Kilometer bis zur Elbe mit einem 6,5 Kilometer langen Tunnel bei Glückstadt und dann weitere 121 Kilometer durch Nordwestniedersachsen über Bremerhaven und durch den bestehenden Wesertunnel der B 237 bei Stadland bis zur A 28 nördlich von Oldenburg.

So befahren im Raum Lübeck beim Autobahnkreuz mit der A 7 von Hamburg an die Ostsee täglich etwa 41.000 Autos, Busse und LKWs die Strecke, vorhergesagt waren von Verkehrswissenschaftlern aber 69.700 Fahrten. Für das Autobahnkreuz Wismar zwischen der Hafenstadt an der Ostsee und Mecklenburgs Hauptstadt Schwerin wurden 54.000 Wagen prognostiziert, tatsächlich sind es 28.200.

Selbst am Autobahnkreuz Rostock, über das der Wirtschafts- und Tourismusverkehr zwischen dem Ostseehafen und Berlin läuft, sind es nur 28.500 statt 59.000 Wagen täglich. Wilms schließt daraus, "dass wir weniger Straßen brauchen".

Das sieht der antwortende Staatssekretär Jan Mücke (FDP) anders. "Die ausschließliche Betrachtung von Verkehrsbelastungszahlen ist nicht zielführend", so Mücke in seinem Begleitschreiben an Wilms, weil die Prognosen Anfang der 90er Jahre "von anderen Strukturdaten wie Bruttoinlandsprodukt, Bevölkerungsentwicklung usw. ausgegangen sind". Bedeutet im Klartext: Die Autobahn wurde gebaut für ein Land, aus dem zeitgleich die Einwohner wegen Perspektivlosigkeit flohen.

Unverdrossen allerdings plant das Ministerium den Weiterbau der A 20. Der Bund halte an der Trasse "als wichtige Ost-West-Verbindung und wichtiges Projekt für die Hinterlandanbindung der deutschen Seehäfen an Nord- und Ostsee fest", teilt der zweite Staatsekretär Enak Ferlemann, CDU-Abgeordneter aus Cuxhaven, in seiner Antwort auf eine weitere Anfrage von Wilms mit. Eine Veröffentlichung vorliegender Untersuchungen auch zu den Kostenschätzungen jedoch lehnt er ab.

Im Ministerium liegt seit langem ein Gutachten in der Schublade, "das für kein denkbares Finanzierungsmodell eine belastbare Basis sieht", wie Schleswig-Holsteins Verkehrsminister Reinhard Meyer (SPD) vor vier Wochen im taz-Interview erzählte. Für den Elbtunnel sehe er deshalb "ohne Finanzierung keine Realisierung". Ohne Tunnel nach Niedersachsen aber wäre ein Weiterbau südwestlich der A 7 bei Bad Bramstedt sinnlos.

Ein Elbtunnel bei Glückstadt soll von einem privaten Investor für bis zu vier Milliarden Euro gebaut und über Mauteinnahmen refinanziert werden. Diese würden nach Berechnungen, die aus dem Ministerium durchsickerten, bei 16 Euro pro PKW und 22 Euro pro LKW liegen. "Das bezahlt niemand", glaubt Tietze. Der Großteil des Verkehrs würde weiter durch den kostenlosen Elbtunnel in Hamburg fließen. Der Neubau an der Unterelbe wäre eine Bauruine, für die der Bund geradestehen müsste: "Ein vier Milliarden Euro teurer Rettungsschirm für einen Elbtunnel, den niemand braucht - das darf nicht sein", sagt Tietze.

Verkehrsminister Meyer hingegen stellte auf Anfrage der taz klar, "dass weder der Weiterbau bis zur A 7 in dieser Legislaturperiode noch die Weiterplanung bis an die Elbe in Frage steht". Die A 20 in Schleswig-Holstein habe sich bereits bewährt. Das sieht Meyers grüner Koalitionspartner Tietze anders. Er findet: "Autobahnbau als Politinszenierung hat ausgedient."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.