The Nina Simone Story auf CD und DVD: Gottverdammtes Mississippi

Nina Simone war Sängerin, Autorin und Bandleaderin. Ihre Biografie ist auch eine Widerstandsgeschichte, an die jüngere Performer wie Peaches und Yo Majesty anknüpfen.

Selbstbewusst afro-amerikanisch: die große Sängerin Nina Simone. Bild: dpa

"Was bedeutet Freiheit für Sie?", fragt der Journalist Nina Simone. Er kennt ihren Signatursong: "I wish I knew how it would feel to be free". Ich wünschte, ich wüßte, wie es sich anfühlt, frei zu sein. Mit großen Augen und breitem Lachen fragt Simone zurück, insistierend: "Nein, Sie müssen mir sagen, was Freiheit bedeutet!" Es folgt ein kurzes Geplänkel, dann bricht es aus ihr heraus: "No fear! To be free means to have no fear!" Dieses denkwürdige Interview aus dem Jahr 1970 ist Teil der eben erschienen Box "To Be Free - The Nina Simone Story". Auf drei CDs und einer DVD wird ihr Schaffen dokumentiert.

Als könnte sie die eigene Erleuchtung gar nicht fassen, wiederholt sie im Interview ihr neues Mantra: "No fear!" Und man denkt: wenn es je eine schwarze Frau im Musikgeschäft gab, die keine Angst hatte, wenn es je eine schwarze Frau im Musikgeschäft gab, die frei war, dann doch wohl Nina Simone. Zu Zeiten, als Afroamerikanerinnen im Musikgeschäft nicht mehr waren als eine schöne Stimme und ein möglichst verfügbarer Körper - haben diese Zeiten sich wirklich geändert? - hat sich Simone Respekt verschafft. Als Sängerin, Autorin, sogar als Bandleaderin, ein Unding in den 60ern und 70ern. In der Dokumentation, die drei CDs mit Simones Aufnahmen ergänzt, sitzt sie am Piano und instruiert ihren anscheinend neuen Schlagzeuger: "Just look at me!", beschwört sie ihn, schau immer nur nach mir, dann wird das schon. Es wird.

Eunice Kathleen Waymon wird 1933 in North Carolina als sechstes von acht Kindern in eine ungewöhnliche Familie geboren. Der Vater ist Handwerker, die Mutter Methodistenpredigerin. 1933, früh genug, um von den eigenen Großeltern erzählt zu bekommen, was es bedeutet, Sklave zu sein. Manchmal helfen ja solche Rechnungen beim Verstehen, wenn Obama zum Beispiel vor dem Capitol von seinem Vater erzählt, der in bestimmten Restaurants nicht bedient wurde, als Barrack schon auf der Welt war.

Mit vier Jahren fängt Eunice, die spätere Nina, an, Klavier zu spielen. Es bleibt ihr Instrument, sie studiert es, ein Abschluss am Curtis Institute Of Music in Philadelphia wird ihr verweigert - angeblich aus rassistischen Gründen. Eunice schaut nach Afrika, inspiriert von Miriam Makeba. Und nach Europa. Frankreich wird ihr gelobtes Land. Simone Signoret, die respektgebietende Schauspielerin wird ihr Idol. Nach ihrem Vorbild verwandelt sich Eunice Kathleen Waymon in Nina Simone. Rund 50 Alben später stirbt sie in Südfrankreich, 2003.

Eine respektgebietende Performerin war sie, diese Simone, das sieht man hier wieder. Ein Strickkleid, als hätte sie sich in cremefarbene Fischernetze gewickelt. Umhänge, Turbane, Ohrringe, so groß wie Elefantenstoßzähne. An african-american woman. Wenn sie ihren Körper schüttelt, dann ist das mehr Voodoo als Table Dance. Man ahnt, warum viele Männer aus dem Musikgeschäft sie gehasst haben. Nina Simone hatte Erfolg gegen die Regeln des Geschäfts. Sie war keine Blues-Sängerin, obwohl sie den Blues hatte, sie war keine Soul-Sängerin, obwohl sie den Soul hatte, sie war keine Jazz-Sängerin, obwohl sie? Jazz-Sängerin wollte sie nicht sein. Black Classical Music - so nannte Nina Simone ihre Musik. Black Classical Music, muss man erst mal drauf kommen.

Ihr Produzent Richard Seidel: "Nina Simone war vielleicht die eklektischste Künstlerin in der populären Musik des 20. Jahrhunderts." Eklektisch heißt: Simone interpretiert, nein, sie eignet sich an: die Songs von Jazzgrößen wie Duke Ellington und Billie Holiday, von klassischen Songschreibern wie Irving Berlin oder George Gershwin. Brecht/Weill, Dylan, immer wieder die Beatles, der Kanadier Leonard Cohen wie der Belgier Jacques Brel, Gospel-Standards und Pophits, gerne von den ewig unterschätzten Bee Gees. To love somebody.

Aber, Nina Simone war nicht nur eine begnadete Interpretin. Mit "Young Gifted And Black" oder "Four Women" hat sie bahnbrechende Songs geschrieben, aus der und über die african-american Matrix-Erfahrung: Sklaverei, Rassentrennung. Eine ererbte Erfahrung, die ihrem Körper, ihrer Stimme Zeit Lebens eingeschrieben war, da gibt es kein Vergessen (und Vergeben). Davon handelt "Mississippi Goddam".

"Vor ein paar Jahren wurden vier junge Mädchen in Alabama getötet", erzählt Nina Simone, es geht um einen Bombenanschlag auf eine schwarze Kirche in Birmingham/Alabama 1963, KuKlux Klan-Country. Die Aufnahme entsteht bei einem Konzert in New York am 7.April 1968. Drei Tage vorher wurde Martin Luther King ermordet, mit dem Nina Simone befreundet war. "Die Ermordung von Dr. King hat mich erstarren lassen, ich weiß nicht wo ich bin", sagt sie und legt los wie ein Ein-Frau-Zorn-Gottes-Gospelchor. Aber Beten hilft auch nichts mehr: "I don't belong here, I don't belong there, I even stopped believing in prayer", gottverdammtes Mississippi. Nach vier Minuten kommt sie auf den ermordeten Sprecher der Bürgerrechtsbewegung zurück: "The King is dead, The King of love is dead", sagt sie und verstößt gegen Kings obersten Grundsatz: die Gewaltlosigkeit des schwarzen Widerstands. "I ain't bound to be nonviolent" - "ich bin nicht zur Gewaltlosigkeit verpflichtet", ruft sie und bricht in leicht irres Lachen aus. Das Publikum klatscht und lacht mit. Aus der improvisierten Rede entsteht später der Song, "Why, The King of Love". Der fehlt auf dieser ansonsten hervorragenden Schaffensbilanz einer Ausnahmekünstlerin. Ausnahmekünstlerin? Werden solche Künstlertypen eigentlich heute nicht mehr gebaut? MusikerInnen als politisch radikale organische Intellektuelle mit dickem eigenem Kopf. Wo sind sie heute?

Fehlt ihnen die Prägung durch Ausgrenzung und Unterdrückung, die Nina Simone mit Miriam Makeba verband, auch mit Odetta? Der Zufall will es, dass beide Sängerinnen im vergangenen Jahr gestorben sind. Oder haben solche Künstlertypen im Zeichen der ausdifferenzierten Segregation des Marktes gar nicht mehr die Chance, einen solchen Status und eine solche Unabhängigkeit zu erlangen, wie Simone das zeitweise gelungen ist? Nische by nature? Spuren von Nina finden sich heute vor allem bei (Gender-)Nischen-KünstlerInnen.

In der Berliner Genderbender-Electro-Nische etwa arbeitet eine weiße Kanadierin, die sich ihren Künstlernamen bei einem Simone-Klassiker geliehen hat. In "Four Women" erzählt Simone von vier verschiedenen Frauen, die wie Obama aus weißer Perspektive schwarz sind, aber gegen diese Zuschreibung ihre Individualität behaupten: "My skin is black" erklärt Tante Sarah, die Sklavin. "My skin is yellow", sagt Siffronia, ihr Vater war ein reicher Weißer und hat seine schwarze Sklavin, Siffronias Mutter, vergewaltigt. "Meine Haut ist gelbbraun", sagt die dritte Frau und fährt fort: "Meine Lippen sind wie Wein, meine Hüften laden dich ein, ich bin dein little girl, wenn du das Geld hast, um mich zu kaufen. My name is sweet thing." Die vierte der "Four Women" hat braune Haut, ihre Manieren sind rauh und sie ist wütend, weil ihre Eltern Sklaven waren: "I'm awfully bitter these days because my parents were slaves. What do they call me. My name is Peaches."

Ob wohl Nina Simone Musikerinnen wie die heutige Peaches noch mitbekommen hat? Sie starb 2003, da war die weißhäutige Peaches mit der offensiven Körperpolitik schon ein Hit in ihrer Nische. Den Schritt raus aus der Queer-Nische auf die Opernbühnen dieser Welt riskiert gerade Antony Hegarty. Die imposante "Transgender-Person" (Antony über Antony) mit der außerirdischen Stimme läßt Kritiker schon mal fragen: "Singt da Mann oder Frau? Am ehesten klingt Antony wie Nina Simone - extraordinär."

Antony gibt die Blumen zurück, von Extraordinaire zu Extraordinaire: "Nina Simone spielt eine große Rolle in meiner musikalischen Entwicklung. Wegen ihr wollte ich Sänger werden. Ich habe oft tagelang in meinem Zimmer gelegen und Alben wie Baltimore und Nina Simone And Piano! gehört. Sie traf Noten, von deren Existenz ich nicht einmal wußte und gab jedem Song Power und Emotion. Sie verkörperte alles, was ich werden wollte."

Und was ist mit den lesbisch-feministisch-gottesfürchtigen Rapperinnen Yo Majesty, zwei schwarzen Frauen, die aus naheliegenden Gründen niemals aus der Nische rauskommen werden können? Ist ihr Albumtitel eine Antwort auf Ninas "No Fear"-Mantra? Die Platte heißt: "Futuristically speaking... Never be afraid!" Nina Simone hätte sie geliebt.

To Be Free - The Nina Simone Story. 3 CDs, 1 DVD (RCA Legacy).

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.