Theater in Berlin: Beruhigungsblues an der Volksbühne

Viel wurde in den letzten Monaten gestritten über die Zukunft der Volksbühne. Dabei wird viel so bleiben, wie es ist. Etwa auch das traditionelle Neujahrskonzert.

Die gute, alte Volksbühne. Wird sich wirklich so viel verändern? Foto: dpa

Als das Licht gedimmt wird und Sängerin Charlotte Brandi zum ersten Mal in die Tasten des großen Flügels auf der Bühne greift, legt sich zufriedene Stille über den Zuschauerraum.

Noch vor Beginn des traditionellen Neujahrskonzert am Sonntagabend in der Volksbühne hatten Besucher im Foyer, vor der Kasse oder am Bierausschank viel über die Aufregung gesprochen, die in den letzten Monaten um das Haus herum geherrscht hat – über den alten, in Berlin verwurzelten Intendanten Frank Castorf, der im Sommer geht, und den neuen Chris Dercon, den global agierenden Kulturmanager, der nach seiner Berufung Anfang 2015 lang geschwiegen, nun aber sein Büro gegenüber der Volksbühne bezogen und erste Pläne verraten hat. Hier und da hatten man noch über den bewunderungswürdigen Widerstandsgeist der alten Belegschaft gesprochen oder über den des neuen Kultursenators Klaus Lederer (Linke), dem Dercon offenbar auch nicht schmeckt.

Doch spätestens jetzt, da Chalotte Brandi von der Berliner Band Me and My Drummer lossingt, herrscht Ruhe. Dass an diesem Ort in einem Jahr alles anders sein könnte – geschenkt.

Das Neujahrskonzert im Großen Saal, gehört seit 1995, als Silly mit Gerhard Gundermann auftraten, ist eine gute alte Tradition in diesem Haus. Schon nach zwei, drei Jahren wurde es zu einer Art Pflichttermin für viele Berliner, die sich lieber nachts in dieser Stadt herumtreiben als am Tag. Nichts kuriert den fiesen Kater besser als ein Bier – so die grobe Faustregel –, und deshalb war das Neujahrskonzert stets ein guter Ort, sich beim bestuhlten Konzert unter Gleichgesinnten auszuruhen und die Aspirinschachtel kreisen zu lassen. Tocotronic sind hier aufgetreten und Kante, die Sterne, Britta und Peter Licht, Bernd Bergemann war gleich dreimal hier.

Viele freuen sich auf das, was kommt

„Natürlich wird es das Neujahrskonzert weiterhin geben“, beruhigt Christian Morin. Morin organisiert seit acht Jahren das Musikprogramm der Volksbühne, und er wird es auch weiterhin betreiben, auch unter – oder vielmehr mit – Chris Dercon. Der ganze Bohei, der kulturpolitische Streit, der noch immer nicht ausgestanden ist: Er hat Morin wenig berührt. Eher freut er sich auf das, was kommt: „Wir wollen mehr werden als nur reine Abspielstation“, sagt er. „Solche musikalischen Inszenierungen möchte ich als Musikkurator der Volksbühne verstärkt auch bei uns entwickeln“, fügt er an. „Sie würden dann auch Teil eines Repertoires werden, in dem die Musik auch eine eigene Rolle spielt“

Als Beispiel nennt er einen Liederzyklus über die goldenen Zeiten Hollywoods, den die Musiker Jarvis Cocker und Chilly Gonzales auf Kampnagel entwickelt haben und im Frühjahr auch in der Volksbühne aufführen werden. „Solche musikalischen Inszenierungen wollen wir verstärkt auch bei uns entwickeln“, sagt er. Wer Morin eine Weile beim Reden zuhört und der Band Me and My Drummer beim Musizieren – der könnte an diesem 1. Januar meinen, dass sich womöglich nicht viel ändern wird an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, schon gar nicht für all jene, die das Haus nicht nur wegen des Theaters lieben, das es geschaffen hat, sondern für all die anderen Veranstaltungen, die die sogenannte Volksbühnenkultur in den letzten zwanzig Jahren ausgemacht haben: die schönen Konzerte, die Podien, Lesungen, Filmabende.

Es ist kein toller Abend, den die Band da liefert. Dafür ist es ein beruhigender

Und das, obwohl es natürlich auch immer noch jene gibt, die das anders sehen, die gehen, die traurig sind: Marc Weiser etwa, der den Roten Salon seit vier Jahren organisiert und von Dercon gekündigt wurde, der jetzt aber noch auf eine Petition von Künstlerin Danielle De Picciotto und Musiker Alexander Hacke (Einstürzende Neubauten) hofft. Sie wird in wenigen Tagen online gehen und für den Erhalt des Roten Salons in seiner jetzigen Form plädieren.

Es ist kein besonders toller Abend, den die Band Me and My Drummer da abliefern – allzu oft denkt man bei der Stimme von Charlotte Brandi, die den Typ höhere Tochter auf Abwegen bis zur Perfektion beherrscht, an Gesangsschule. Allzu oft fallen in ihren krampfhaft ironischen Moderationen leidenschaftslose Floskeln wie „Sei’s drum“.

Wir es immer so weiter gehen?

Dafür aber ist es ein herrlicher, normaler, ein beruhigender Abend. Ein Abend, an dem Menschen in dunkler Kleidung und mit tiefen Augenringen ab und zu wegdösen, aber auch ein Abend, an dem sich Menschen in Norwegerpullovern vor Freude auf die Schenkel klopfen, wenn ihnen ein Lied gefällt.

Der Abend wirkt, als könnte es immer so weitergehen mit der guten alten Volksbühne.

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