Correctiv-Recherche im Schauspiel Köln: Zerfleischung der Rechten
Im Schauspiel Köln folgt ein Nachspiel des „Geheimplan gegen Deutschland“. Ein prominenter AfD-Aussteiger wird zum Zeugen der Vertreibungspläne.

Auf solche Resonanz muss man erst mal kommen: 1,5 Millionen Zuschauer haben das letzte Stück gesehen, an 70 Bühnen wurde es live gestreamt, in der ARD-Mediathek war es zum Nachschauen. Und doch scheint es ewig her, als im Januar 2024 das Redaktionsnetzwerk Correctiv seine Recherchen zum rechtsextremen Geheimtreffen in Potsdam veröffentlichte. Es sah die massenhafte Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland vor.
Das löste landesweit große Antifa-Demos aus. Ein Grund dafür war der Theaterstream am Berliner Ensemble, wo Regisseur Kay Voges den Recherchetext inszenierte. Nun hat Voges als neuer Intendant am Schauspiel Köln kurz vor Spielzeiteröffnung spontan eine Enthüllungsinszenierung auf den Spielplan gesetzt: „Geheimplan gegen Deutschland – ein Nachspiel“. Polizeischutz ist diskret in Zivil, doch der Abend wird für manchen noch stärkere Vorsichtsmaßnahmen erfordern.
Auf der Bühne sehen wir einen gedeckten Tisch: Servietten, Weingläser, Kerzen. Doch zum Dinner kommt niemand. Der Schauspieler Andreas Beck geht herum, im feinen Anzug, Fliege, weißes Hemd, murmelt etwas vor sich hin und holt weit aus.
Schnell gab es damals Gegenwind zu den Correctiv-Enthüllungen und schlechte Kritiken zum Stück: „Verramschung einer Recherche“, meckerte Deniz Yücel, Übermedien monierte Recherchemängel, die Zeit säte in einem Longread Zweifel. Dann kam die Klageflut. Ausgehend übrigens von einer Abmahn-Kanzlei aus Köln namens Höcker („Auf dem r bestehe ich“, sagt der smart-jugendliche Rechtsanwalt im eingeblendeten Youtube-Schnipsel).
Beauftragt wurden sie vom AfD-Anwalt Ulrich Vosgerau, damals selbst in Potsdam anwesend. Er setzte dafür ein Crowdfunding auf, das 200.000 Euro einbrachte. Diverse Formulierungen wie „Zwangsdeportation“ und „Ausweisung von Staatsbürgern“ wurden nachfolgend gerichtlich untersagt, unter anderem dem NDR und ZDF diverse Unterlassungserklärungen vorgeschrieben. Die rechtsextreme Desinformationsstrategie „The merchants of doubts“ schien perfekt aufzugehen. Gegenklagen von Correctiv waren zwar teilweise erfolgreich, verhallten aber oft, das Narrativ „unkorrekte Recherche“ hing Correctiv nun an.
Beck erzählt das alles lässig und leutselig nach, berichtet von Stolz über den Erfolg am BE, seine nachfolgende Verstörung, dass selbst Leitmedien die Correctiv-Recherche verunglimpfen, ergänzt es mit Knieproblemen, Umzugsdetails von Wien nach Köln. Vor allem nimmt er uns tief mit in seine persönlichen Recherchen. Und findet heraus: Der Kern der Correctiv-Recherche, das völkisch-rassistisch begründete Ausweisungsprojekt sogenannter „Fremden“, deren Fremdheitsgrad einzig und allein von Rechtsextremen definiert wird, wurde an keiner Stelle widerlegt.
AfD-Social-Media-Architekt als Zeuge
Einziges Problem: Es gab keinen direkten Zeugen des Potsdamer Treffens. Correctiv hatte zwar damals den Journalisten und Performer Jean Peters eingeschleust, der mit falschem Bart im Nebentrakt der Villa Adlon logierte und per Handykamera die Einladungslisten fotografierte. Doch den Wortverlauf des Treffens konnte er nicht aufzeichnen.
Dieser wird auf der Bühne nun enthüllt: Kein geringerer als Erik Ahrens, führender AfD-Social-Media-Architekt, der die Tiktok-Guerillastrategie direkt in die Gehirne der Jugendlichen abfeuerte und maßgeblich für ihren Erfolg verantwortlich ist, ist aus der AfD ausgestiegen – und kann seines Lebens nun nicht mehr sicher sein, vermutet Beck. Ahrens hat dies soeben auf eigenem Youtube-Kanal veröffentlicht, im Wald, dazu wüste Onlinestreitereien mit Götz Kubitschek, die auf der Bühne eingeblendet werden. Die Zerfleischung der AfD illustriert Beck mit Handpüppchen aus Papier. Doch das eigentlich Spektakuläre ist Ahrens’ eidesstattliche Erklärung, die Beck nun verliest – „na, Herr Vosgerau und Herr Höcker, sehen Sie zu?“.
Erstmals bezeugt sie, dass auf dem Potsdamer Treffen weit drastischer formuliert wurde als bisher bekannt: von „ethnischer Säuberung“ sei die Rede gewesen, von der „Vertreibung von Staatsbürgern“, davon, dass die AfD in Sachsen dies durchführen werde. Plötzlich wird Theater zum Enthüllungsorgan und Beweismultiplikator. Detailliert geht die Erklärung über bisherige Erkenntnisse zum Treffen hinaus, liefert wasserdichte Argumente für ein AfD-Verbot.
Auch wenn das Wort „Remigration“ so deutungsoffen sein mag, dass es sogar die AfD Sachsen auf Wahlplakate schreiben darf – die belegte Planung einer „Vertreibung von Staatsbürgern“ ist klar verfassungswidrig. Dass eine Bühne dies reichweitenstark in die Welt ruft – ist eine neue Dimension von politischem Theater.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Präsidentin der UN-Vollversammlung
Baerbocks bizarre Ämterrochade
Russische Drohnen über Polen
Testballon in Richtung Nato
Attentat auf Charlie Kirk
Ein Spektakel der Gewalt
Diskussion um Wehrdienst
Doppelte Solidarität
Buch über Erfolg der Nazi-Ideologie
Die Lust am Hass bleibt
ARD-Doku über Autos und Deutschland
Das Monster, ein Horrorfilm