Theater in München: Zeitgenössisches gefallenes Mädchen

Ex-"Tatort"-Kommissar Brückner inszeniert Thoma. Die Magdalena ist ein Stricher, gezwängt in Kleider und auf hohe Hacken, aber keine Tunte.

In der Wirtschaft der Mayrs bahnt sich das mundartliche Drama an. Bild: Arno Declair

Nun sind sie alle gekommen. In die Wirtschaft der Mayrs, die im Münchner Volkstheater aussieht, als habe man einen Biergarten genommen, die Bäume kastriert und das Ganze in einen schwarzen Raum hineinverlegt, der mit blendend weißen Fenstern ins Freie schaut.

Doch "das Freie", das ist nur die Schlachterei, wo der Vater im Blut rührt, und das Dorf mit all seinen engen, ängstlichen Seelen ohne Zukunft. Doch nun sind sie alle da, weil "der Bub" vom Mayr ein Stricher war, die Dorfjugend verführt und sogar den Pfarrer angebaggert haben soll. Deshalb muss er raus.

Und da springt der Junge in seiner Verzweiflung dem baumstarken Vater in die Arme und in das Messer, das er hält. Das Schlussbild: eine Pietà. Und der biologisch lebendige Teil derselben presst die finalen Worte heraus: "Jetzt reißts as naus in d Schand!"

Ja, Ludwig Thomas "Magdalena" ist bei Maximilian Brückner ein Mann. Der ehemalige "Tatort"-Kommissar ist unter die Regisseure gegangen. Dafür hat er das 100 Jahre alte Volksstück klug umgeschrieben. Denn ein "gefallenes Mädchen" schockiert heute selbst im Dorf, dessen Dynamik Brückner kennt, keinen mehr.

Nach wie vor wohnt er im Chiemgau, wo er mit sieben jüngeren Geschwistern aufgewachsen ist. Einige davon schauspielern wie er selbst. Zum Beispiel sein Bruder Florian, der nun, zartgliedrig und etwas fahrig, die Magdalena spielt, deren naives Gemüt sich eine Zukunft für den Hof und sogar eine Familie erträumt, während sich das Verhängnis zusammenbraut.

Florian Brückner ist ein begabter Akteur mit Entwicklungspotenzial. Sein "gefallener Junge" ist keine Tunte, kein Abenteurer und kein großer Geist, er bleibt Teil der Gemeinschaft, die ihn bekämpft. In einer schönen Szene wird Florian Brückner in ein enges Kleid und rote Stilettos gezwungen. Und wie er sich widerstrebend darin zu bewegen beginnt, da versteht man das Umschlagen der Verachtung in Gier bei den anderen - und fast auch das Erschrecken darüber.

Doch im Zentrum von Brückners "Magdalena" steht nicht die Titelfigur, sondern der Vater, der seiner Frau vor ihrem Tod versprochen hat, für das Kind da zu sein. Seine Gewissensqualen, seine gebeutelte Männlichkeit spielt Wolfgang Maria Bauer mit maximalem Körpereinsatz, aber zuweilen allzu äußerlich. Diesen Vollblutschauspieler auszubremsen, dazu hätte es eines Regisseurs mit größerer Erfahrung bedurft.

Dennoch, "der Maxi" kann im Volkstheater, dessen Intendant Christian Stückl ihn schon zum schauspielern verführte, wenig falsch machen. Der in München umjubelte Mundartabend ist genau hier am richtigen Ort. Bei Licht betrachtet, ist er ein Achtungserfolg: Sein Schöpfer hat einen guten Blick, aber noch nicht den langen Atem, um die anfangs beträchtliche Spannung über zwei Stunden zu halten. Und vielleicht ist er auch ein wenig zu nett.

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