Theater mit Roma-Frauen in Rumänien: „Wir sind Kämpfer, keine Opfer“

Ungewohnt, im Mittelpunkt zu stehen: Die Schauspielerin Mihaela Drăgan gibt Roma-Frauen in Rumänien eine Stimme.

Drei Roma-Frauen stehen selbstbewusst auf der Bühne. Sie tragen Perrücken

Szene aus dem Stück „Gadjo Dildo“ über die Sexualisierung von Roma-Frauen Foto: Adi Bulboaca

Eine Frau im weißen Kleid mit Schleier kommt auf die Bühne. Ihre Haare sind zu Zöpfen geflochten. Zwei rote Schleifen leuchten auf dem weißen Kleid, wie der Tropfen Blut, den Schneewittchens Mutter auf dem Schnee vergoss. Alle Augen sind auf die Braut gerichtet, die ein wenig erhöht auf einer Bühne in Bukarest steht. „Del Duma“ ist eine Aufführung des Theaters Giuvlipen, in der vier Roma-Frauen ihre Erlebnisse über eine Zwangshochzeit erzählen.

Wer jedoch hofft, auf Klischees und Stereotype zu treffen, wird enttäuscht werden, wenn er die Schauspielerin Mihaela Drăgan kennen lernt. Die junge Frau kommt nicht aus einer anderen Welt oder von einem fremden Planeten, sondern aus dem kleinen Dorf Cândeşti. Trotzdem wird sie nach ihren Aufführungen, sei es in den Dörfern Rumäniens oder in der Hauptstadt Bukarest, von vielen Rumänen mit seltsamen Fragen gelöchert, die zeigen: Das Wissen über Roma besteht meistens aus Vorurteilen. Nicht, weil die Menschen rassistisch wären, sondern weil sie sich nie wirklich mit dieser Volksgruppe beschäftigt haben.

In den Aufführungen der Theatergruppe Giuvlipen, die von Mihaela Drăgan mitbegründet wurde, spricht sie Vorurteile gezielt an und führt vor Augen, wie lächerlich simpel diese sind. Ihr Ziel ist dabei zum einen, ein Theater für Roma zu machen, zum anderen will Drăgan aber auch einem größeren Publikum ihre Kultur näherbringen und ein Umdenken bewirken.

Eine Romni zu sein ist nicht einfach. Viele verschweigen ihre Herkunft – nicht nur in Rumänien, auch in Deutschland. Drăgan erzählt, dass sie nicht etwa Aktivistin wurde, weil sie Romni ist, sondern weil sie erfuhr, was es bedeutet, eine Romni zu sein. Um einen Platz an der Universität in Bukarest zu bekommen, nahm sie an einem Wettbewerb um die drei für Roma reservierten Studienplätze teil. Sie war erfolgreich, allerdings wurde ihre Herkunft damit auch allgemein bekannt. Als Resultat wurde sie von vielen in vorherrschende Vorurteile gequetscht. Diese Reaktion, so Mihaela Drăgan, war neu für sie. Ihr drängten sich die Fragen auf: Wieso verhielten sich die Leute so? Weswegen sollte sie sich überhaupt schämen?

Das neue Wort Feminismus

Im Sommer 2014 gründete sie deshalb zusammen mit zwei anderen Schauspielerinnen die Theatergruppe Giuvlipen. Den Name für ihre Gruppe prägte Mihaela Drăgan. Sie wollte ein Wort, das eindeutig für Roma-Frauen steht. Deshalb kontaktierte sie einen Linguisten, mit dem sie dem Wort „giuvli“ (übersetzt: Frau) die Endung -ipen (-ismus) hinzufügte und anschließend den Professor Gheorghe Sarau, der sich auf Romani-Linguistik spezialisiert hatte, um auch das Wörterbuch der Romanes um das neue Wort „Feminismus“ zu erweitern.

Die Theatergründerin Mihaela Drăgan bei einem Vortrag

Die Theatergründerin Mihaela Drăgan bei einem Vortrag Foto: Ion Bogdan-Dumitrescu

Giuvlipen ist also mehr als ein Unterhaltungsprogramm. Eher ein Sprachrohr für Roma-Frauen – richtet den Fokus auf eine Teilgruppe, der sonst nur wenig Beachtung gewidmet wird. An den Reaktionen nach den Aufführungen merkt man, wie neu es für die Volksgruppe der Roma ist, Mittelpunkt einer Darbietung zu sein. Viele bedankten sich bei den Schauspielerinnen für deren Engagement, manche weinten sogar. Auch das Staunen über ein Theater für Roma war vor allem in den Medien groß, „als ob es überraschend wäre, dass Roma-Frauen auch eine Geschichte zu erzählen haben“.

Lauscht man Drăgans Erzählungen, weiß man nicht, ob man sich ärgern oder lachen soll. Ärgern darüber, welchen banalen Vorurteilen viele verfolgen – und lachen, weil sie zu irrwitzigen Situationen führen. Die Schauspielerin beschreibt das Date einer Freundin: „Der Rumäne hatte sich etwas Besonderes für den Tag überlegt. Er wusste, dass meine Freundin religiös war, deshalb führte er sie in eine Kirche aus. Um das Date zu einem krönenden Abschluss zu bringen, lud er sie anschließend in einen Sexladen ein. Er dachte wohl, für eine Romni, die ja sehr ‚wild‘und ‚leidenschaftlich‘ist, wäre ein Sexspielzeug das richtige Geschenk. Tja, falsch gedacht“, lacht die Theatermacherin.

Aber auch Probleme innerhalb der Roma-Gemeinschaft werden von Giuvlipen thematisiert. Roma-Frauen wird beispielsweise durch die Tradition vorgeschrieben, wie sie sich kleiden sollen. Ein Minirock gilt dabei als unpassend. In Facebook findet man unter „zu freizügigen“ Bildern immer wieder Kommentare, in welchen die traditionsbewusste Roma-Gemeinschaft ihren Frauen das Recht auf eine selbstbestimmte Kleiderwahl abspricht. Die Erlebnisse inspirierten die Schauspielerinnen zur Aufführung „Gadjo Dildo“, die demonstriert: Sexualität wird von der Dynamik der Ethnie und vom Geschlecht mitgestaltet.

Der Hass, der Roma-Frauen grundlos entgegengebracht wird, gipfelte in der Kampagne einer rechtsextremistischen Gruppierung in Timișoara. Im Jahr 2013 forderten sie Roma-Frauen dazu auf, keine Kinder mehr zu bekommen und sich für 300 Lei (70 Euro) sterilisieren zu lassen.

Um etwas zu verändern und auch die Politik zu sensibilisieren, setzt Drăgan auf die Kunst und das Gespräch. So lud sie beispielsweise den Bürgermeister von Bukarest zur Diskussion ein. „Viele denken, dass sich sowieso nichts an unserer Situation ändern lässt. Dass wir eben so sind, wie wir sind“, seufzt Drăgan. Deshalb wird die Schuld für viele Missstände den Roma selbst zugeschrieben. Trotz alledem sieht die Künstlerin Roma-Frauen nicht als wehrlos. Sie selbst ist überzeugt: „Wir finden eine Lösung, wie wir respektiert werden – denn wir sind Kämpfer, keine Opfer!“

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