Theaterstück über Immobilienspekulation: Die Ballade vom schleimigen Makler
Eine inszenierte Immobilienbesichtigung ist das Stück „Ignorance Is Bliss“ in den Sophiensälen in Berlin. Es greift die Spekulations- und Sparwut der Stadt auf.
Lustvoll schlägt die junge Frau mit dem Hammer auf das Handy. Der Hammer saust so lange auf das Gerät nieder, bis es in viele kleine Teile zersplittert ist. Dann nimmt sie die Augenschutzbrille ab, schaut ihr Gegenüber glücklich an und geht wieder auf ihren Platz. Das Musiktheaterkollektiv Hauen & Stechen hat mit dem Ensemble Trisolde in die Berliner Sophiensäle geladen, und kurz vor Schluss gibt es diesen ultimativen Mitmach-Moment. Alte Handys liegen auf knallroten Matten, liefern sich der Zerstörung aus und kurz blitzt die Vorstellung auf, wie es wäre, diesen Befreiungsschlag konsequent mit dem eigenen Mobiltelefon durchzuführen.
Peter Pankow reißt einen aus dem Gedankenspiel, energisch schiebt er seinen Körper über die Bühne hin zur Zuschauertribüne. Der hellgraue Anzug ist schon etwas verrutscht nach über 150 Minuten körperintensivem Spiel. Der Schauspieler vom inklusiven Theater Thikwa verkörpert in „Ignorance Is Bliss“ einen steinreichen Immobilienhai, der die Sophiensäle an die Bestbietenden verhökert. Hauen & Stechen weisen dem Publikum eine Rolle zu: alle spielen die Klientel, die an der Immobilie interessiert ist.
So beginnt der Abend als Ortsbesichtigung. Man windet sich durch meterlange durchsichtige Planen, Mörtelstaub rieselt herum, denn Bauarbeiter versuchen sich gerade am Badeinbau. Aus dem ehemaligen Freie-Szene-Theater soll exklusiver Wohnraum werden, verkünden die Immobilienmakler „Peter & Pankow“.
Wie im Mittelalter
Und jetzt, nachdem man mit der Zeitmaschine der arbeitslosen WissenschaftlerInnen, denen ihr Mietvertrag an der Berliner Sophienstraße längst gekündigt worden ist, im Mittelalter und sogar in der Steinzeit war, kommt Peter Pankow als glitschiger Immobilienmogul auf die Bühne zurück. Gerade noch thronte er als mittelalterlicher Herrscher auf roten Purpur. Jetzt geht er die Zuschauertribüne hoch und kürt zwei überraschte ZuschauerInnen zu den neuen BesitzerInnen der Sophiensäle.
Die bunt flackernde Zeitmaschine steht neben der alten Badewanne. Die zerfließende Uhr aus dem Salvador-Dalí-Kosmos, die stoisch an einem Lichtkabel hängt, gibt ihr einen fast antiken Flair. Das Bühnenbild gestaltete Yassu Yabara. Man wurde zeit- und musikmäßig ziemlich durcheinandergewirbelt, hat das Ensemble in Mönchskutten die Bühne fluten sehen. Und mit Rosa Luxemburg gesprochen, die nach der Pause historischen Staub aus den Sophiensälen zum Kauf anbot.
Wirklich gruselig ist das Theater vor dem Theater und der Rundgang „über“ die Baustelle. Roman Lemberg empfängt einen schon im Foyer. Im hellblauen Slimfit-Anzug spielt er den aalglatten Angestellten, der Peter Pankow nicht von der Seite weicht. Das ganze Immobilienmakler-Sprech säuselt er mit genau der anbiedernden Werbestimme ins Mikro, wie in der Branche üblich.
Schlag in die Magengrube
Gleichzeitig wird mit dem Overhead-Projektor die Immobilienanzeige zum Verkauf der Sophiensäle an die Foyerwand geworfen. Das zusammen ist wie ein Schlag in die Magengrube, weil dieses Szenario bei den momentanen politischen Verhältnissen in Stadt und Land definitiv nicht aus der Luft gegriffen ist.
Dann geht es für das VIP-Publikum mit den Bändchen – auch ich bin endlich mal VIP! – direkt zur Bühnen-Baustelle. Zwischen den Bauplanen baut sich das aggressiv-rote Logo auf den großen Bildschirmen immer wieder neu zusammen. Der Werbefilm von „Peter & Pankow“ übernimmt die Werbeagentur-Ästhetik und lässt dann Peter Pankow über den Alex fliegen wie Astrid Lindgrens „Karlson vom Dach“.
Unter Pankows Immobilienmogulfassade poppt von Anfang an subversives Gedankengut auf. Der Bauarbeiter (Thorbjörn Björnsson) liegt in der alten mit Dreckwasser gefüllten Badewanne und fängt an zu philosophieren: „Die Dinge, die sich ins Beharrliche versteifen, müssen sterben, damit das Ewige seinen Platz hat.“
Hauen & Stechen bleibt seinem Markenkern treu: das wilde Mixen von Musikstilen aus allen erdenklichen Epochen und die entspannt-trashige Umsetzung. An Roman Lemberg ist nicht nur ein schleimiger Makler verloren gegangen, er stemmt am Keyboard auch noch den musikalischen Hauptpart der Inszenierung. Aber eigentlich können alle alles. Im Minutentakt wechseln alle Aufgabe und Funktion. Wer gerade noch an der Geige war, ist jetzt mitten in der wilden Choreografie und intoniert einen Augenblick später „Apprendete Pieta“ von Monteverdi. Da kommt man sogar beim Zuschauen ins Schwitzen.
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