Therapie von HIV-Positiven: Keine Angst vor Aids

Als HIV-Infizierter Sex ohne Kondom? Unvorstellbar! Was kaum jemand weiß: Medikamente sind für Positive die sicherste Safer-Sex-Methode.

Schön bunt und noch schöner, wenn man es weg lässt? Bild: dpa

„Es kann sein, dass die Heilung für Aids in diesem Flugzeug war“, sagt Travor Stratton im Australischen Fernsehen. Der Kanadier lebt seit mehr als 20 Jahren mit HIV, seit 1999 ist er Aktivist und Berater zum Thema. Am Freitag erreichte auch ihn die Nachricht von einem Rückschlag im Kampf gegen Aids.

In der Maschine MH17, die am Donnerstag über der Ukraine abstürzte, saßen zwar nicht wie anfangs berichtet etwa hundert Forscher und Gesundheitsexperten, die auf dem Weg zur Welt-Aids-Konferenz in Melbourne waren. Doch mehrere Experten kamen bei dem Absturz wohl ums Leben. Bestätigt ist, dass der frühere Präsident der Internationalen Aids-Stiftung, Joep Lange, unter den Toten ist. „Man kann nur vermuten, welche Expertise in diesem Flugzeug war“, sagt Stratton.

Die Konferenz, zu der ab Sonntag knapp 18.000 Forscherinnen, Präventionisten und Aktivisten im australischen Melbourne erwartet werden, sollte ein weiterer Schritt in eine Welt ohne Aids werden. „Das Schritttempo erhöhen“, hatten sich die Experten als Motto gegeben.

Der Kampf der Forscher gegen den Virus war in den vergangenen Jahrzehnten eine Erfolgsgeschichte. Zwar kann man HIV immer noch nicht heilen, zwar ist kein Impfstoff in Sicht, aber für HIV-positive Menschen, die Zugang zu Medikamenten haben, hat diese Therapie das Leben mit der Krankheit dramatisch verändert.

In den Achtzigern war die Furcht vor Aids allgegenwärtig. Heute leben HIV-Positive in Therapie so lange wie Nicht-Infizierte und stecken auch ohne Kondom niemanden an. Ob die Schlacht gewonnen ist, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 19./20. Juli 2014. Außerdem: Man muss nicht immer glücklich sein, sagt der Philosoph Wilhelm Schmid. Und: Der Windparkbetreiber Prokon ist pleite. Wer ist der Mann hinter der Firma? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Verschiedene Wirkstoffe stoppen gemeinsam die Vermehrung des Virus in der Zelle und sorgen so dafür, dass die Zahl der Erreger im Blut sinkt. Wenn alles gut läuft, ist HIV nach einigen Wochen im Blut nicht mehr nachweisbar. HIV-Positive müssen für immer Tabletten schlucken und unter Umständen mit Nebenwirkungen wie Verdauungsproblemen, Kopfschmerzen und Übelkeit leben. Aber wenn sie die Therapie früh genug beginnen, werden sie genauso alt wie Menschen, die negativ sind.

Was bleibt von 30 Jahren Aufklärung?

Und die Tabletten haben noch eine Konsequenz – eine zweite Revolution für die Betroffenen: Wenn ein HIV-Infizierter in Behandlung ist und die Viren über sechs Monate nicht mehr in seinem Blut nachweisbar sind, kann er praktisch niemanden mehr anstecken – selbst beim Sex ohne Kondom. Die Studie, die das bewies, wurde vom Magazin Science als wissenschaftlicher Durchbruch des Jahres gefeiert. 1.750 Paare von unterschiedlichen Kontinenten, von denen jeweils ein Partner HIV-positiv war, nahmen teil. Das Ergebnis: Eine konsequente Therapie bringt einen 96 prozentigen Schutz vor einer Infektion. Kondome schützen zu 95 Prozent.

„Es gibt keinen Zweifel mehr am Schutz durch Therapie“, sagt Armin Schafberger, Medizinreferent der Deutschen Aidshilfe heute. Als eine Schweizer Expertenkommission denselben Fakt 2008 als erstes Aids-Expertengremium öffentlich machte, regierte Schafbergers Kollege Rero Jeger von der Zürcher Aids-Hilfe noch anders: Die Art der Aufklärung sei fatal, „man hätte diese Entdeckung besser nicht breit publiziert“, sagte er.

In der Titelgeschichte der sonntaz vom 19./20. Juli 2014 gehen die Autoren Jörg Schmid und Luise Strothmann der Frage nach, was solche wissenschaftlichen Erkenntnisse für den Umgang mit HIV bedeuten. Schmid und Strothmann treffen in Berlin drei schwule Männer, die in unterschiedlichen Zeiten aufgewachsen sind – und deswegen ganz unterschiedliche Antworten auf die Frage haben, wie sehr man sich HIV noch fürchten muss.

Marco Erling, 33, der eigentlich anders heißt, hat sich mit 17 Jahren bewusst entschieden, Sex ohne Kondom zu haben. Und ist das Risiko eingegangen, sich mit HIV anzustecken – einer behandelbaren, chronischen Krankheit, wie er meint. „Ich bin in einer anderen Zeit groß geworden. Die alten Bilder von Aids waren so gut wie nicht mehr präsent.“

Wolfgang Kohl, 53, Sozialarbeiter und Leiter eines betreuten Wohnen für Menschen mit Aids oder HIV, hat genau diese verstörenden Bilder noch im Kopf. Die Zeit, auf der er jede Woche auf mindestens einer Beerdignung war, ist vorbei. Aber sie hat ihn geprägt: Er würde nie Sex ohne Kondom haben. Schließlich kann man nie sicher sein, ob der Partner das Medikament regelmäßig nimmt. „Da ist es doch einfacher, ein Kondom rüberzureichen.“

Viele Präventionsmitarbeiter fürchten, dass Nachrichten von der Nichtinfektiösität von HIV-Positiven dazu führen könnten, dass von 30 Jahren Aids-Aufklärung nur der Satz bleibt: Kondome braucht man nicht. Manche sehen eine Debatte darüber aber auch als Chance: „Es ist wichtig, über die Schutzwirkung der Medikamente offen zu kommunizieren“, heißt es in einem Positionspapier der Aids-Hilfe von 2013. „Dies wirkt Fehlinformationen entgegen, nimmt Ängste, beugt der Zurückweisung von Menschen mit HIV vor und fördert die Kommunikation über Safer Sex.“

Es ist eine Gratwanderung: Wie viel Differenziertheit verträgt die Debatte, wenn ein Viertel der Jugendlichen beim ersten Sex kein Kondom benutzt? Was meinen Sie? Haben wir zu viel oder zu wenig Angst vor Aids? Ist Sorglosigkeit gefährlich? Empfinden Sie Kondome als nervig oder als normale Hygieneartikel für einen sorglosen Alltag? Und: Was sollten Aids-Präventionisten in so einem Fall raten?

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Die Titelgeschichte „Das Ende der Angst“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 19./20. Juli 2014.

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