Thorsten Brinkmann in Stade: Spaß an der Kunst

Zum Schluss die vielleicht witzigste Ausstellung des Jahres: „Life is funny, my deer“ behauptet Thorsten Brinkmann im Kunsthaus Stade.

Sonderbares Stillleben: „Wannitdat“ (2009). Foto: © VG Bildkunst, Bonn 2017

Gibt es noch Spazierstöcke? So aus Holz? Kann man die noch kaufen? Oder gibt es sie nur noch gebraucht? „Walker“ heißt eine skulpturale Arbeit von Thorsten Brinkmann, dem sich das Stader Kunsthaus jetzt vom Erdgeschoss bis zum Dachgeschoss zur Verfügung gestellt hat. Wir sehen einen klassischen Spazierstock in einen Fuß gerammt, der ein Gipsabdruck des Fußes des Künstlers ist. Eine Klingel hat der Stock und jede Menge Plaketten von Orten, die dieser Spazierstock gesehen haben muss. Er muss also weit herumgekommen sein, dieser Fuß. Dank des Stockes oder trotz des Stockes. Der sich eines Tages in Kunst verwandelt hat.

Gefundenes Material

Brinkmann schafft seine Werke aus Gefundenem, aus Gesammeltem, das er hortet, das er eines Tages gebrauchen wird – er muss irgendwo ein riesiges Materiallager haben: voll mit Bewahrtem, mit Eimern und Schüsseln, mit Vasen, Stühlen und Möbeln und Matratzen und jeder Menge Haushaltsutensilien und was wir sonst noch so alles in unserem Alltag benutzen, manches jahrzehntelang. Weniger findet der Künstler sein Material, als dass sich das Material seinen Künstler sucht, lautet ein Credo von ihm.

Aber Achtung: Es geht hier nicht um Trash! Es geht nicht um eine Materialschlacht, bei der der Ausstellungsraum im Vorgezeigten ertrinkt, wie man es manchmal bei Kunststudenten erlebt, die aus dem berechtigten Interesse heraus, sich gegen die Hinführung zum auf dem allein auf einem Sockel zu stehenden, wahren Kunstwerk zu erwehren, in die Vollen greifen. Alles ist schlicht – Material. Er als Thorsten Brinkmann würde doch nie solches Zeug sammeln, aber sein Job als Künstler sehe das eben so vor, so hat er sich mal in einem Künstlergespräch geäußert. Von daher sollte man auch sehr vorsichtig sein, den Einsatz seiner Materialien als Kritik an unserer angeblichen oder tatsächlichen Überflussgesellschaft zu verstehen. Es geht um Kunst – um nichts anderes.

Witz und Präzision

Wie es dazu kam, erzählt seine vielleicht wichtigste Arbeit „So viel wie möglich auf einmal tragen“, die entsprechend zentral im ersten Stock hängt: Wir schauen auf das Foto eines Mannes, dessen Kopf in einem Eimer steckt, so dass wir uns kein Bild von seinem Gesicht machen können. Und dieser Mann hat schwer zu schleppen: zwei Kaffeemaschinen hält er, einen Begrenzungspfosten, ein Bündel Jalousien, eine Decke, ein Kissen, die Trommel einer Waschmaschine, alles eng an seinen Körper gepackt.

In dieser Arbeit ist vieles von dem enthalten, was Brinkmanns Kosmos ausmacht: Witz und höchste Präzision; Unbekümmertheit und Kontrolle über das Material; Spontanität, aus der Dauerhaftes entsteht. Und nicht nur diesem Foto merkt man an, dass es weit mehr ist als das bloße Dokument eines wichtigen Moments, den man eben festhalten und so bewahren wollte. Das Bild ist vielmehr das Bild, auf das es ankommt und das deshalb bleibt.

Wenn es eine biografische Spur zu seiner Themenwelt geben mag, bleibt sie privat und außen vor

Und auch bei der Produktion dieser und anderer Arbeit beharrt er vordergründig auf dem Prinzip des Einfachen: Es wird keine komplizierte Lichtanlage aufgebaut, kein Blitz wird eingesetzt, keine digitale Nachbearbeitung erfolgt – es agiert allein das pure Tageslicht. So bewahrt er sich nicht zuletzt die Souveränität des Künstlers, der eben für seine Arbeit keine Techniker und kein Team braucht, der ganz für sich loslegen und Überlegtes realisieren kann, ein wirklicher Solo-Selbstständiger also.

Brinkmann hat in Hamburg zunächst Fotografie studiert, dürfte entsprechend anwendungsorientiert aufgelegt gewesen sein, bis er danach in der Klasse von Bernhard Blume und dann in der von Franz Erhard Walther landete. Und hier lernte er Schritt für Schritt, den Körper, der zufällig seiner war, im Kontext skulpturaler Erkundungen anzuwenden und einzusetzen.

Unwichtiges Individuum

Er selbst als individuelle Person ist entsprechend unwichtig. Und wenn es eine biografische Spur zu seiner Themenwelt geben mag, in die Sphären des Sammelns, des Aufbewahrens, des Umarbeitens, womöglich irgendetwas Frühkindliches, dann bleibt das privat und außen vor.

Wobei ihn das Außen und damit die Wirkung durchaus interessieren: Wenn er bekennt, dass er das Unterhaltsame an seiner Arbeit so schätzt, weil er noch viele Jahre arbeiten möchte, dann ist dies auch als Auftrag an den Kunstbetrachter gedacht, sich mal zu fragen, wie unterhaltsam es denn um dessen Lebensglück bestellt ist.

Bei aller Stringenz, bei allen kunsthistorischen Referenzen mal an die Minimal Art wie in seiner Serie „Das Prinzip Sockel“, mal an die höfische Porträtmalerei wie in „Portraits of a Serialsammler“, ist sein Werk zugleich von zuweilen hinreißender Komik! So geht man nun am besten in den zweiten Stock, wo Brinkmann aus zusammengesuchten Stühlen ein kleines Kinokabinett eingerichtet hat, das in der Absicht sehr engagiert wirkt, aber in der Ausführung (ab)sichtlich ein wenig unbeholfen ist.

Zwei Filme sind zu sehen: „Se King“, eine vor der einsamen Kamera absolvierte Performance, wo der Künstler als Königsmacher um die richtige, repräsentativ mächtige Haltung auf einem Stuhl ringt, sich setzt, sich stellt, sich in Pose wirft und nie zufrieden ist und so zeigt, dass im Nichtgelingen eben das Gelingen steckt.

Scharren und Schnarren

Und die zweite Sause: „Skrillo“, wunderbare neun Minuten lang. Brinkmann hat dafür einen alten Strohschirm auseinander genommen, sich daraus eine Art körperumfassendes Kostüm gebaut und zwei Gegenstände hinzugenommen, die ähnlich wichtig für die Kulturgeschichte sind wie Spazierstöcke: Teppichklopfer. Und eine Figur, in der Thorsten Brinkmann gewissermaßen beruflich steckt, steht vor uns als leicht flimmerndes Bild, plustert sich auf, streckt sich und regt sich, schlägt mit den Flügeln um sich und hat womögliches Großes vor, das sich gleich ereignen wird. Und vielleicht hebt die Vogelfigur tatsächlich in der nächsten Minute ab, vielleicht aber fällt auch alles mit Getöse um, während scharrende und schnarrende Geräusche ertönen, die bestimmt etwas bedeuten, nur was?

Das zu sehen, macht großen Spaß, so wie einen seine Totemfiguren „Pimmeltony“ und „Paradiesvögler“ und seine wandfüllende Serie „Objektbeziehung“, wo sich Haut und Muskeln an Objekten wie Stuhllehnen oder Polstern reiben, auch verwirren. Und am Ende hängt da mit „Holey Blue“ eine tragbare, sattblaue Massagebank ausgeklappt an der Wand und man möchte gar nicht wissen, wer schon alles seinen Kopf in das ausgefranste Loch am Kopfende gelegt hat und hofft, dass man es nicht selbst gewesen ist.

So geht man auf sonderbare Weise bald sehr beglückt durch das Kunsthaus, grinst in sich hinein und hat mehr als eine Ahnung davon bekommen, dass Kunst mit Humor gepaart und Humor geerdet durch Kunst sich doch ganz wunderbar nicht nur ergänzen, sondern zuweilen bedingen und so eine lustige Ausstellung kurz vor Jahresende, also: Das ist schon sehr klasse.

„Life is funny, my deer“: bis 4. Februar 2018, Kunsthaus Stade. www.museen-stade.de

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