Tierhaltung in Hagenbecks Tierpark: Das Problem heißt Langeweile

Wie beurteilen Tierschützer die Situation der Tiere in Hagenbecks Tierpark? Ein kritischer Rundgang.

Jäger und Beute in Sicht- und Riechweite: "Ein Experiment auf Kosten der Tiere." Bild: dpa

HAMBURG taz | Es kitzelt ein bisschen: Er streckt seinen Rüssel und schnappt einem die Möhre aus der Hand. Er und die anderen asiatischen Elefanten sind geübt in sowas: Beinahe jeden Tag stehen sie hier, im Sommer zumindest. Es sind überwältigende Tiere: bis zu fünf Tonnen schwer und, so scheint es, zahm wie Hauskatzen. Kinder machen große Augen, glucksen, wenn die Dickhäuter schnauben, mächtig Staub aufwirbeln und um eine weitere Möhre betteln. Dazwischen, die Ruhe selbst, ein Pfleger mit Vollbart und Bambusstock. Es riecht nach Wildnis. Magisch, so ein Ausflug in Hagenbecks Tierpark.

Kommt man aber mit zwei Tierschützern, verfliegt dieser Zauber rasch. Die Elefanten stehen vor einem Trockengraben aus Beton. „Die sind akrobatisch unterwegs“, sagt Thomas Pietsch mit Blick auf die Tiere. „Wenn einer daneben tritt, wäre das fatal.“ Und wer weiß, was die Elefanten so alles in den Rüssel kriegen? Es werde nicht genügend überwacht, was die Besucher den Tieren geben, findet jedenfalls Torsten Schmidt. „Es kann auch kein pädagogischer Ansatz sein, nach Futter bettelnde Tiere zu zeigen.“

Pietsch und Schmidt sind Tierschützer von Beruf, der eine bei der Stiftung Vier Pfoten, der andere beim Bund gegen Missbrauch der Tiere. Dieser Verein ist Mitherausgeber des „EU Zoo Report“, einer Studie, für die 25 deutsche Zoologische Gärten auf die Einhaltung von Standards hin geprüft wurden: einerseits die der EU-weiten Richtlinie 1999/22/EG, andererseits des Bundesnaturschutz- und Tierschutzgesetzes.

Darin bekommt auch Hagenbecks Tierpark einiges an Kritik ab. Seit etwa einem Jahr ist die Hamburger Institution immer wieder in den Schlagzeilen, vor allem wegen Streitigkeiten in der Inhaberfamilie. Aber eben nicht nur: Im vergangenen Jahr starb ein Elefant, nachdem ihm zweimal ein Beruhigungsmittel injiziert worden war. Zwei Riesenotter brachen aus ihrem Gehege aus, verletzten eine Frau.

Geniale Idee

Elefanten, die am Trockengraben betteln, sind auch im „Zoo Report“ abgebildet. Aber es sind natürlich nicht nur die Dickhäuter Thema. Mit den beiden Tierschützern geht es weiter zu den Orang-Utans, denen man bei Hagenbeck 2004 eine Kuppel gebaut hat, die sich öffnen lässt. „Die Idee ist genial“, lobt Torsten Schmidt. „Damit wird das Innengehege zum Außengehege mit mehr Umweltreizen.“ Die Menschenaffen können in der Halle klettern, Hanfseile hängen zwischen den Baumstämmen. Einer der Affen stülpt sich gerade ein Tuch über. Es riecht beißend nach Dung.

Schmidt findet die Fläche für die Orang-Utans zu klein. Zu viel Platz gehe für die Besucher drauf. Gerade Menschenaffen aber müssten sich wohlfühlen, sagt Schmidt. „Die Tiere sind hochintelligent und werden sehr alt.“ Und sie müssten gefordert werden. „Eines der Hauptprobleme eines Zoos ist die Langeweile der Tiere“, sagt Schmidt. Bei Großkatzen und Bären sei im Gehege oft zu beobachten, dass sie über längere Zeit immer den selben Pfad auf und ab schreiten. „Pacing“ heißt das unter Fachleuten. „Eine Verhaltensstörung“, erklärt Thomas Pietsch, „ein Zeichen für mangelndes Wohlbefinden.“

Bei Hagenbeck ist ein Beispiel rasch gefunden: Ein nordchinesischer Leopard läuft in seinem Gehege auf und ab. Immer wieder. „Muss man diese Tiere halten, obwohl sie sich nicht wohlfühlen?“, fragt Pietsch. Das Problem sei, dass Zoos von sogenannten Flaggschifftieren leben: von Elefanten, Großkatzen oder Eisbären, die aber besonders schwer zu halten seien.

An den Flügeln beschnitten

Flamingos sind ein weiterer Klassiker: Die pinkfarbenen Vögel laufen frei umher. Eigentlich können sie fliegen, aber sie sind an den Flügeln beschnitten. Wer genau hinguckt, kann den roten Stummel an der Seite entdecken. Das sei skandalös, sagt Pietsch. „Dadurch entstehen Balanceprobleme beim Geschlechtsakt.“ Der nämlich sei sehr akrobatisch und mit einem gestutzten Flügel deutlich schwieriger.

„Muss man wirklich Tiere verstümmeln, um sie präsentieren zu können?“, fragt Pietsch. Nach dem Tierschutzgesetz ist diese Beschneidung eine Ordnungswidrigkeit. Das heißt, die Justiz hat einen Ermessensspielraum. „Es wird einfach ignoriert“, sagt Torsten Schmidt. Notfalls würden die Tierschutzverbände vor Gericht gehen, um ein Ende dieser Praxis zu erwirken. Man diskutiere das mit dem Hamburger Senat. Seit einem Jahr.

Die neueste Attraktion in Hagenbecks Tierpark ist das „Eismeer“: Kegelrobben gleiten durchs Wasser, Walrosse tauchen auf wie U-Boote. Die beiden Tierschützer sind von der Größe des Beckens beeindruckt. Davon, sagen sie, träumten andere Zoos.

Felsen aus Beton

Nur die Eisbären machen ihnen Sorgen. Einer von ihnen trottet im Hintergrund hin und her. „Der sieht aber krank aus“, sagt eine Besucherin. Die Felsen, auf denen die Eisbären laufen, sind aus Beton. Dabei buddeln die Tiere eigentlich gerne. „Sie sind sehr neugierig und haben riesige Platzansprüche“, sagt Schmidt. „Es ist nicht in Ordnung, sie so zu halten. Eisbären gehören in keinen Zoo.“ Aber sie begeistern nun mal das Publikum, nicht nur hier in Hamburg. Das zeigt sich spätestens, wenn einer von ihnen seine Pranken ans Glas der Panoramascheibe drückt, nur Zentimeter entfernt von den Nasen der vielen Kinder.

Neben dem Eismeer steht eine Lodge, von der aus man Flamingos, Löwen und Zebras gleichzeitig beobachten kann. Es wirkt, als gäbe es keine Zäune und Gräben, nur Eintracht und Harmonie. Die Kulisse erinnert an den Anfang des Disney-Films „Der König der Löwen“. Hagenbeck sei für diese gitterlose Präsentation bekannt, sagt Torsten Schmidt. Allerdings hat das zur Folge, so steht es auch im „Zoo Report“, dass sich Zebra und Löwe sehen, hören und riechen – Beute und Jäger. „Das ist ein Experiment auf Kosten der Tiere, was nicht gemacht werden sollte“, sagt Schmidt. „Es geht nur um die Theaterkulisse.“

"Wir kennen schlechtere Zoos"

Für heute schließt der Tierpark bald. Die Elefanten sind inzwischen in ihrer 1.000 Quadratmeter großen Laufhalle angekommen, die aussieht wie eine Tempelruine. Ein paar Besucher beobachten sie noch aus der Ferne. Ein Wasserfall rauscht. Zauberhaft.

„Wir kennen schlechtere Zoos“, sagt Thomas Pietsch zuletzt. Hagenbeck setze aber nun mal auffällig stark auf die Präsentation der Tiere. Er wolle niemandem den Spaß daran verderben, in den Tierpark zu gehen, sagt Torsten Schmidt. „Aber ein Zoo ist nur so gut wie sein schlechtestes Gehege.“ Die Besucher sollten sich ruhig öfter mal fragen: Würde ich mit dem Tier da tauschen?

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