Tierschutz: Turbohühner picken Pillen

Obwohl Antibiotika bei Hühnern nur im Krankheitsfall verabreicht werden dürfen, steigt ihr Umsatz - vor allem in Niedersachsen. Die Politik fordert jetzt Aufklärung.

Lecker Hähnchen: Pro Mastdurchgang bekommen die Tiere 2,3 Antibiotika-Behandlungen. Bild: dpa

Mehr Hühner auf einem Raum, schnellere Mastdurchgänge - die Folgen der Turbomast lassen sich jetzt beziffern. Die Tiere werden öfter krank, die Vergabe von Antibiotika steigt. Doch schärfere Kontrollen sind nicht in Sicht.

Wurden die Hühner eines Mastdurchgangs vor zehn Jahren etwa 1,7 Mal mit Antibiotika behandelt, seien es heute 2,3 Behandlungen, bestätigte das niedersächsische Landwirtschaftsministerium NDR Info.

Seit 2006 darf ein Tierarzt Antibiotika nur dann verabreichen, wenn die Tiere krank sind. Als Wachstumsförderer sind die Medikamente verboten. Warum der Medikamenteneinsatz trotzdem stetig steigt, kann sich der auf Geflügelmast spezialisierte Tierarzt Rupert Ebner leicht erklären: "Die Prophylaxe ist zwar verboten, dennoch werden Antibiotika in den Stall geworfen, wenn auch nur der Verdacht auf einen Erreger besteht", sagte er der taz. Die Enge in den Ställen führe zu einer rasanten Verbreitung von Erregern. Viele tote Hühner bedeuten für die Mäster einen großen wirtschaftlichen Ausfall. "Mit Antibiotika wird das Risiko deutlich gesenkt", sagt Ebner.

Mehr als die Hälfte aller Hühnermastbetriebe Deutschlands stehen in Niedersachsen.

"Turbomast": Ein Leichtmast-Durchgang dauert 30 Tage, die Schwermast 40 Tage, bevor die Hühner geschlachtet werden. Noch vor 15 Jahren waren 80 Tage die Regel.

Einer EU-Richtlinie zufolge liegt die sogenannte Besatzdichte bei 39 Kilo - so viele Hühner dürfen auf einem Quadratmeter gehalten werden.

Deutsche Mastbetriebe kommen durchschnittlich auf 35 Kilo pro Quadratmeter

Aus Verbrauchersicht wäre eine transparente Auflistung der Antibiotika-Ströme in der Geflügelmast sinnvoll. Von 2012 an soll nach einer Bundesverordnung eine Datei zumindest erfassen, wie viele Medikamente in welche Postleitzahlenregion geliefert werden. Das Problem: Die Geflügelbranche bildet die Ausnahme, sie muss ihre Zahlen nicht nennen. Das Bundeslandwirtschaftsministerium hatte datenschutzrechtliche Bedenken geäußert, da sich die Geflügelmast in den Händen weniger Konzerne befindet. Beispiel Niedersachsen: Hier sind vier große Geflügelkonzerne aktiv. Bei einer Aufschlüsselung nach Postleitzahlen wäre sofort eindeutig, welcher Konzern welche Medikamente verwendet.

Tierarzt Ebner vermutet, dass die Geflügellobby Druck auf die Politik ausgeübt habe. "Diese Verordnung hätte ohne Probleme zu Transparenz führen können", sagt er. "Dass ausgerechnet in der Geflügelbranche die Daten nicht aufgeschlüsselt werden sollen, ist ein Skandal."

Die Reaktion der niedersächsischen Politik kam sofort: SPD und Grüne haben unabhängig voneinander kleine Anfragen angekündigt, sie fordern Transparenz von Landwirtschaftsministerin Astrid Grotelüschen, die kürzlich wegen der Putenbrüterei ihres Mannes selbst in die Kritik geraten war. "Der massive Einsatz von Antibiotika ist sowohl unter Tierschutz- als auch unter Verbraucherschutzaspekten nicht hinnehmbar", sagt Andrea Schröder-Ehlers, agrarpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. Sonderrechte für die Geflügelwirtschaft dürfe es nicht geben. Ihr grüner Kollege Christian Meyer wundert sich über die Zahlen. Das Land habe auf frühere Anfragen geantwortet, es lägen keine Daten über den Medikamenteneinsatz vor.

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