Todesfall Amad Ahmad in der JVA Kleve: Die Polizei löscht Daten

Amad Ahmad saß unrechtmäßig in Haft und starb in Folge eines Brandes in seiner Zelle. Weil Daten verschwanden, ist Aufklärung unmöglich.

Die Tür zur Zelle 143 in der klever Justizvollzugsanstalt

In dieser Zelle war der junge Syrer Amad A. unrechtmäßig eingesperrt Foto: Markus van Offern/picture alliance

Die Polizei in Nordrhein-Westfalen muss ein unglaubliches Versagen einräumen. Es geht um den Fall des monatelang illegal eingesperrten und 2018 in seiner Gefängniszelle verbrannten Amad Ahmad in Kleve. Angeblich „versehentlich“ sind in den Fahndungssystemen der Polizei die Originaldaten, mit denen die Gründe für die unrechtmäßige Haft des Kurden rekonstruiert werden konnten, gelöscht worden – entgegen der ausdrücklichen Weisung des vom Christdemokraten Herbert Reul geführten NRW-Innenministeriums.

Das hatte bereits am 3. Dezember 2018 angeordnet, „sicherzustellen, dass es nicht zu Löschungen kommt“. Denn in Düsseldorf will ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss des Landtags aufklären, warum Amad Ahmad starb. „Ein Skandal“ sei das Verschwinden der Polizei-Datensätze, sagt der grüne Abgeordnete Stefan Engstfeld. Und nur ein Teil einer ganzen „Kette von Ungereimtheiten und Ermittlungspannen“. „Das Vertrauen in die Polizei“ werde erneut erschüttert, warnt auch SPD-Landtagsfraktionsvize Sven Wolf.

Klar ist bisher nur: Amad Ahmad wurde am 6. Juli 2018 verhaftet, weil er an einem Baggersee in Geldern vier Frauen mit „sexuellen Andeutungen“ genervt haben soll. Nachdem eine von ihnen ihren Vater, einen Polizisten, anrief, wartete er auf einer Parkbank auf die Streifenwagen. Vorgeworfen wurde ihm „Beleidigung auf sexueller Grundlage“.

Für eine mehrmonatige Haft reicht das keinesfalls aus. Trotzdem saß der damals 26-Jährige bis zum 17. September 2018 in der Justizvollzugsanstalt Kleve. Dann brannte seine Zelle. Amad Ahmad wurde schwerst verletzt, starb am 29. September an „Multiorganversagen nach Verbrennungskrankheit“.

Eine bloße Verwechslung?

Unglaublich bleibt die Begründung der Haft: Der als „hellhäutig“ beschriebene Amad Ahmad soll mit einem „schwarzhäutigen“ Amedy G. aus dem afrikanischen Mali verwechselt worden sein, der per Haftbefehl gesucht wurde. Möglich gemacht haben soll das eine „Personenzusammenführung“, mit der Informationen aus der NRW-Datenbank ViVA und dem Bundes-Polizeiregister Inpol vermischt wurden. Vorliegende Fotos der beiden Männer will niemand kontrolliert haben.

Die von den Anwälten der Familie Amad Ahmads beauftragte Datenanalystin Annette Brückner will außerdem Lücken im ViVA-Veränderungsprotokoll festgestellt haben. Im Raum steht damit der Vorwurf, Po­li­zis­t*in­nen könnten die Datenbank manipuliert haben, um den vor dem syrischen Assad-Regime nach Deutschland Geflohenen weiter in Haft zu halten.

Die ermittelnde Oberstaatsanwältin Sandra Posegga räumte vor dem Untersuchungsausschuss ein, dass dies bisher nur vom Landeskriminalamt, der Landeszentrale polizeiliche Dienste und einem Software-Hersteller untersucht wurde. Ermittlungen wegen Freiheitsberaubung wurden im Februar 2021 dennoch auch gegen den letzten verdächtigen Polizisten eingestellt. Die Anwälte haben deshalb noch einmal Strafanzeige wegen Datenveränderung und Strafvereitelung im Amt gestellt.

Im Untersuchungsausschuss wollen die Regierungsfraktionen aus CDU und FDP trotzdem erst jetzt einen unabhängigen Gutachter hinzuziehen. Dabei dürfte dessen Arbeit, etwa durch Simulationen, schwierig bis unmöglich sein: „Was soll das jetzt noch bringen? Die Original-Datensätze sind nicht mehr vorhanden“, bilanzierte der grüne Abgeordnete Engstfeld gegenüber der taz bitter: „Auf einer verschwundenen Tatwaffe kann man auch keine Fingerabdrücke mehr finden“.

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