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Todesstrafe für Simon Desue in Dubai?Babel in der Wüste

Ann-Kathrin Leclere

Kommentar von

Ann-Kathrin Leclere

Hinter Dubais glänzenden Fassaden lauern Kontrolle, Angst und Ausbeutung. Die Verhaftung von Influencer Simon Desue zeigt, wie brüchig der Traum ist.

Turm zu Dubai Foto: Jumana Jolie/getty

N ach der Sintflut lebten alle Menschen an einem Ort und sprachen eine gemeinsame Sprache. Sie beschlossen, eine Stadt zu bauen und darin einen Turm, der bis in den Himmel reichen sollte. Sie wollten sich einen Namen machen und nicht über die Erde verstreut werden. Dieses biblische Bild von Babel, vom Aufstieg und Hochmut passt heute gut – auf eine Stadt, die selbst zur Legende geworden ist: Dubai.

Die glamouröse Metropole inmitten der Wüste der Vereinigten Arabischen Emirate zieht seit Jahren Tausende In­flu­en­ce­r:in­nen an, das nicht zuletzt wegen saftiger Steuervorteile. Sie wohnen dort in eleganten Hochhäusern, posten Fotos von leuchtenden Fassaden, teuren Autos, Luxushotels. Als wäre das Leben hier selbst ein TikTok-Filter.

Auch die deutsche Rap- und Popkultur bejubelt die Metropole: Luciano rappt: „Flieg nach Dubai und sammel die Meilen.“ Bushido besingt den Burj Khalifa, das höchste Bauwerk der Welt. Und der Hype ist auch in Deutschland nah, wahlweise durch Dubai-Schokolade oder unzählige Lifestyle-Videos, die uns auf den sozialen Medien erreichen. Sie zeichnen das Bild einer Stadt, in der alles möglich scheint. Der Turm zu Babel wurde gebaut, und er glänzt.

Doch Dubai ist auf dem Rücken tausender südasiatischer Gast­ar­bei­te­r:in­nen gebaut, die unter prekären Bedingungen die Megaprojekte ermöglichen. Für sie bleibt wenig außer Schulden, Hungerlöhnen und katastrophalen Lebensbedingungen, bei sommerlichen Durchschnittstemperaturen von über 35 Grad. Queere Menschen, Transvestitismus, öffentliche Zuneigung – all das ist verboten. Die strengen Drogengesetze der Vereinigten Arabischen Emirate bestrafen jeden Fehltritt hart.

Harte Strafen

Ein aktuelles Beispiel dafür: Simon Desue. Der deutsche Influencer – bekannt geworden durch sein YouTube-Format „HalfcastGermany und später durch zahlreiche Mitwirkungen bei Sendungen etwa bei RTL und ProSieben – wanderte 2019 nach Dubai aus. In den vergangenen Jahren zog er sich aus der Öffentlichkeit zurück, jetzt gab es aber eine neue Nachricht: Nach noch unbestätigten Berichten wurde er kürzlich wegen Drogenbesitzes verhaftet. Dafür droht ihm eine hohe Haftstrafe, wenn nicht sogar die Todesstrafe. Ein Einzelfall? Eher ein Symptom eines Systems, das keine Fehler verzeiht.

Dass In­flu­en­ce­r:in­nen nach Dubai pilgern, ist mehr als ein individueller Traum. Sie sind Sprachrohre, die Millionen Menschen das Bild einer Stadt verkaufen, die nur für einige gemacht ist. Die Regierung hat sogar eine eigene Influencer-Akademie.

Die NGO „Detained in Dubai“ kritisiert das im April dieses Jahres scharf: Die Akademie sei nichts als ein Versuch der Regierung, die Realität zu übertünchen – die Repression, die Zensur, die systematische Unterdrückung hinter einem Glamour-Vorhang zu verstecken. Tou­ris­t:in­nen und Nachwuchs-Creator:innen folgen den TikTok-Träumen, ahnen aber selten, dass das, was sie sehen, sorgfältig inszeniert ist.

Die Schattenseiten treffen auch die In­flu­en­ce­r:in­nen selbst. So etwa das ukrainische OnlyFans-Model Maria Kowaltschuk, die im April 2025 mit gebrochenen Armen, Beinen und Rückgrat am Straßenrand in Dubai gefunden wurde. Offizielle Quellen sprechen von einem Selbstmordversuch, aber es gibt auch Hinweise darauf, dass sie Opfer sexualisierter Gewalt wurde. In letzter Zeit häufen sich Berichte darüber, dass es in Dubai ein grausames System aus Macht, Sex und Gewalt gibt. Aus Angst vor strengen Repressionen werden die Taten nur selten angezeigt.

Hochmut und Verwirrung

Dubai ist wie Babel: hoch gebaut, verlockend. Aber es steht auf einer Basis, die ausgrenzt und verschweigt. In­flu­en­ce­r:in­nen verbreiten die glänzende Fassade und verwirren die Sprache der Realität.

Am Ende bleibt die Frage: Wer bezahlt den Preis für den Traum vom Luxus? Es sind nicht die In­flu­en­ce­r:in­nen selbst, sondern all jene, deren Geschichten hinter den glänzenden Fassaden verschwinden. Und während Simon Desue nun selbst vom System verschluckt wurde, erinnert uns das Bild von Babel daran: Hochmut, Glamour und der Wunsch nach Unsterblichkeit enden oft in Verwirrung. Vielleicht ist es Zeit, genauer hinzusehen, bevor wir der nächsten Person folgen, die gerade ihren Flug nach Dubai gebucht hat.

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Ann-Kathrin Leclere
Aus Kassel, lange Zeit in Erfurt gelebt und Kommunikationswissenschaft studiert. Dort hat sie ein Lokalmagazin gegründet. Danach Masterstudium Journalismus in Leipzig. Bis Oktober 2023 Volontärin bei der taz. Jetzt Redakteurin für Medien (& manchmal Witziges).
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1 Kommentar

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  • Danke für dieses Augenöffnen!