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Tödlicher Polizeieinsatz in BrandenburgEin Toter, zwei Polizisten, keine Anklage

Im April 2023 starb Vitali Novacov nach einem Polizeieinsatz in Königs Wusterhausen. Trotz Ungereimtheiten wurde das Verfahren gegen die Beamten eingestellt.

Ermittelt nicht mehr gegen ihre Kollegen: die Polizei Brandenburg Foto: Chris Emil Janssen/dpa

Berlin taz | Vitali Novacov war zwei Tage tot, als seine Familie davon erfuhr. Ein Mitarbeiter der moldauischen Botschaft rief an und sagte, dass Novacov in eine Konfrontation mit der Polizei geraten und mit Pfefferspray besprüht worden sei. Danach sei er im Krankenhaus gestorben.

Eine stark verkürzte und beschönigende Darstellung des Polizeieinsatzes, wie sich später herausstellte. Der Anruf erreichte Ivan Novacov im April 2023. Seitdem warten er, Vitali Novacovs Ex-Frau und sein jugendlicher Sohn auf Aufklärung und einen Gerichtsprozess. Wieso wurde Vitali Novacov vor seinem Wohnhaus im brandenburgischen Königs Wusterhausen von der Polizei festgenommen? Wieso wurde er auf den Boden gedrückt und starb einen Tag nach seiner Festnahme im Krankenhaus?

Diese Fragen bleiben nun ungeklärt, denn wie die taz erfuhr, stellte die Staatsanwaltschaft Cottbus das Verfahren gegen die zwei beschuldigten Polizeibeamten Anfang August ein. Es wird keine Anklage erhoben.

Widersprüchliche Festnahme

Dass die Öffentlichkeit von dem Fall erfahren hat, lag auch an Recherchen der taz. Sie berichtete 2023 über Novacovs Tod und die Widersprüche rund um die Festnahme:

Vitali Novacov ist Anfang 2023 nach Königs Wusterhausen gezogen, um dort als Bauarbeiter zu arbeiten. Vorher hat der 45-jährige gebürtige Moldauer in Russland und Bulgarien gearbeitet. Am 11. April 2023 soll er abends vor seinem Wohnhaus randaliert haben, woraufhin Anwohner die Polizei rufen. Die Beamten nehmen Novacov fest, zwei Anwohner helfen mit. Sie drücken ihn auf den Bauch, fesseln ihn mit Handschellen, als er am Boden liegt. Novacov wehrt sich, die Polizisten drücken seinen Kopf in den Sand. Einer der Anwohner soll Novacov mit der Faust auf den Kopf geschlagen haben, bis er geblutet hat. So steht es in den Ermittlungsakten, die der taz in Teilen vorliegen.

Novacov wird bewusstlos, sein Herz hört auf zu schlagen. Die Polizisten versuchen, den am Boden liegenden Mann zu reanimieren, aber schaffen es nicht. Der gerufene Notarzt reanimiert weiter, nach etwa 30 Minuten schlägt Novacovs Herz wieder. Er wird in ein Berliner Krankenhaus eingeliefert. Doch am nächsten Nachmittag stirbt Vitali Novacov dort.

Auf dem Totenschein vermerkt der behandelnde Arzt einen Sauerstoffmangel im Hirn als Todesursache. Novacov ist erstickt, „durch gewaltsames Zu-Boden-Drücken von Gesicht und Thorax in Bauchlage“.

Ohne den Polizeieinsatz wäre Vitali Novacov noch am Leben

Julian Muckel, Opferperspektive Brandenburg

Die Staatsanwaltschaft begründet die Einstellung des Verfahrens damit, dass keine eindeutige Todesursache festgestellt werden konnte, wie ihr Pressesprecher am Telefon erklärt. Nach den Untersuchungen durch zwei Rechtsmediziner sei ein lagebedingter Erstickungstod am wahrscheinlichsten, aber man bewege sich eben im Wahrscheinlichkeitsbereich. Dass Vitali Novacov erstickt ist, könne durch die Bauchlage bedingt gewesen sein, durch das eingesetzte Pfefferspray, aber auch durch die Stresssituation zuvor. Novacov sei ja aufgeregt durch den Garten gelaufen. Nicht nachweisbar seien ein Würgen oder Abschnüren der Halsluftzufuhr. „Die Zeugen haben angegeben, dass keiner der Beamten auf ihm gekniet hat“, sagt der Staatsanwalt. Am Ende hätten „ungünstige Umstände“ zu Novacovs Tod geführt, die den Beteiligten nicht zugeordnet werden könnten.

Julian Muckel vom Verein Opferperspektive Brandenburg berät die Familie des Verstorbenen seit seinem Tod. „Wenn es sich um eine Situation zwischen Bür­ge­r:in­nen und keinen Polizeieinsatz gehandelt hätte, würde dieser Fall zur Anklage kommen“, sagt Muckel. „Aber offenbar geht die Staatsanwaltschaft an die Sache mit einem anderen Besteck ran.“

Die Polizei beschlagnahmte Novacovs Kleidung und eine Blutprobe, obwohl die Durchsuchung nicht angeordnet war

Muckel findet, der Tathergang werde ausgeklammert. Dass ein Mann von der Polizei so lange auf den Boden gedrückt wurde, dass er danach gestorben ist. Stattdessen argumentiere die Staatsanwaltschaft mit einer nicht ausreichenden Wahrscheinlichkeit seines Erstickungstodes. „Woran soll er sonst gestorben sein?“, fragt Muckel. „Ohne den Polizeieinsatz wäre Vitali Novacov noch am Leben“, sagt Muckel.

Im Fall Novacov sind mehrfach Ungereimtheiten aufgetreten. Die brandenburgische Polizei beschlagnahmte nach taz-Recherchen Novacovs Kleidung und eine Blutprobe in der Klinik, obwohl die Durchsuchung nicht angeordnet war. Am Tag nach der Festnahme meldete die Polizei, dass Vitali Novacov das Bewusstsein verloren habe, die Handfesseln gelöst worden seien und Erste Hilfe geleistet wurde. Der zur Hilfe gerufene Notarzt schrieb in seinem Einsatzbericht, dass Vitali Novacov noch mit Handschellen fixiert war, als er am Tatort eintraf und die Polizisten versuchten, den am Boden liegenden Mann zu reanimieren. Eine Herz-Druck-Massage mit angelegten Handschellen ist schwierig. In der Notfallmedizin wird die Fixierung von bewusstlosen Menschen generell als gefährlich betrachtet.

Julian Muckel von der Beratungsstelle Opferperspektive Brandenburg sagt, er habe in den letzten zwei Jahren ein interessengeleitetes Verfahren erlebt. Es habe schon mit der ersten Polizeimeldung begonnen, in der stand, dass sich Vitali Novacov „unberechtigt auf einem Grundstück“ aufgehalten habe – dabei lief er durch den Vorgarten seines Wohnhauses. Es sei vermutet worden, dass Novacov Alkohol getrunken oder Drogen konsumiert habe, sagt Muckel. Die Bluttests ergaben: Novacov war nüchtern.

Und Muckel fragt: „Warum ermittelten die Beamten in eigener Sache?“ Nachdem Novacov mit dem Krankenwagen abtransportiert worden war, befragten die zwei beschuldigten Polizisten Zeugen am Tatort – obwohl eine andere, unbeteiligte Streife vor Ort war. Der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Cottbus vermutet: „wegen Dienstbeflissenheit“.

Der Anwalt von Novacovs Familie hat bei der Generalstaatsanwaltschaft in Brandenburg Beschwerde gegen die Einstellung des Verfahrens eingelegt. Er betrachte es als rechtsstaatswidrig, dass beschuldigte Beamte in einer Sache ermitteln, die sie selbst betrifft, sagt Muckel. Vernehmungsprotokolle, die unter solchen Umständen entstehen, halte der Anwalt für unbrauchbar.

Novacovs Familie sei fassungslos darüber, dass die Polizisten nicht vor Gericht kommen. Ihre letzte Hoffnung liege jetzt bei der brandenburgischen Generalstaatsanwaltschaft. „Ansonsten ist ihr Vertrauen in den Rechtsstaat Deutschland komplett gebrochen“, sagt Muckel.

Die Staatsanwaltschaft Cottbus führt die Anklage gegen den Nachbarn, der Vitali Novacov gegen den Kopf geschlagen haben soll, losgelöst vom bisherigen Verfahren fort. Wegen einfacher Körperverletzung.

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