Tanzen gegen Rechts: Tolerant gegen Nazis

Mit einer Technoparade wollte Marzahn ein Zeichen gegen Nazis setzen. Statt der angekündigten 5.000 Teilnehmer kamen nur wenige hundert.

Viele sind nicht hier, um Gesicht zu zeigen, sondern um zu tanzen Foto: Sebastian Wells

Die Männergruppe ist angetrunken, einer von ihnen torkelt schon eher, als dass er tanzt zu der Musik, die aus dem Wagen vor ihm über die Straße hämmert. Sie tragen T-Shirts mit großen Aufdrucken der in rechten Kreisen beliebten Bautzener Marke Yakuza. Wegen der Musik seien sie hier, sagen sie.

Ob ihnen denn die politische Botschaft hinter der Veranstaltung, dass Marzahn-Hellersdorf mehr zu bieten habe als Neonazis, gefalle? Erst grinsen sie verschwörerisch, dann bricht einer von ihnen in spöttisches Lachen aus. Ob sie denn selbst was gegen Nazis hätten? „Jedem das Seine“, grölt einer von ihnen zur Antwort, der Rest lacht.

Eine Parade gegen Rechtsextreme, auf der Rechtsextreme tanzen? So etwas geht in Marzahn-Hellersdorf, und dass das möglich ist, hat viel mit der Ausrichtung und Organisation dieser Veranstaltung zu tun. Aber der Reihe nach: Eingeladen zu der Spaceparade genannten Veranstaltung mit dem Motto „Mehr Liebe Wagen“, die an diesem Samstagnachmittag über die Allee der Kosmonauten zieht, hat das Bündnis für Demokratie und Toleranz am Ort der Vielfalt Marzahn-Hellersdorf.

Das ist ein langer Name, und das hat einen Grund: Dass Marzahn-Hellersdorf 2009 im Rahmen einer Initiative des Bundesfamilienministeriums als Ort der Vielfalt ausgezeichnet wurde, trägt der Bezirk immer noch gern vor sich her. Dem Image als Neonazihochburg soll so etwas entgegengesetzt werden.

Der Bezirk: Marzahn-Hellersdorf hat rund 262.000 Einwohner und entstand 2001 durch die Fusion der Bezirke Marzahn und Hellersdorf. Hier befindet sich die größte Großsiedlung, die in industrieller Plattenbauweise in der DDR errichtet wurde. Nach der Wende erfuhr der Bezirk Abwanderung und Abwertung. In den letzten Jahren zogen so viele Menschen dorthin wie seit DDR-Zeiten nicht mehr. Heute sind hier allerdings Wohnungen so schwer wie in ganz Berlin zu finden.

Die Serie: Seit April bringt die Internationale Gartenausstellung (IGA) – gerade ist Halbzeit, sie läuft noch bis Mitte Oktober – viele Besucher nach Marzahn-Hellersdorf. Zeit für die taz, den Wandel im Bezirk mit einer Serie unter die Lupe zu nehmen. (taz)

Der Bezirk verharmlost rechtsextreme Strukturen

Das ist auch erklärtes Ziel der Spaceparade. Rechtsex­treme Demonstrationen seien „ohne Zweifel ein Teil der Realität in diesem Bezirk“, heißt es in dem Aufruf, gleich gefolgt von der Ergänzung „wie auch an vielen anderen Orten in Deutschland“. Neben „sogenannten besorgten Bürgern“ gebe es aber auch „auch Menschen, die JA sagen zu einer Gesellschaft, in der Menschen ihre Lebensentwürfe selbst gestalten können, Mitbestimmung und Solidarität im Mittelpunkt stehen“.

Die bezirkliche Arbeit gegen rechts hat in Marzahn-Hellersdorf, anders als etwa in Treptow-Köpenick, keinen besonders guten Ruf unter Menschen, die sich vor Ort gegen Neonazis engagieren. Dem Bezirk gehe es vor allem um Imagepflege, lautet der Vorwurf, das Problem gefestigter rechtsextremer Strukturen sowie eines rassistisch geprägten Alltags in Marzahn-Hellersdorf werde deswegen immer wieder verharmlost.

Ein Name, der in diesem Zusammenhang immer wieder fällt, ist der von Thomas Bryant. Bryant ist seit Oktober 2015 Integrationsbeauftragter im Bezirk, schon vorher war er als Leiter der bezirklichen Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung, getragen von der SPD-nahen Stiftung SPI, eigentlich ein wichtiger Zuständiger für den Bereich Rechtsextremismus. Die Spaceparade sei im Wesentlichen seine Initiative gewesen, erzählt Bryant am Anfang. Dass sich statt der angekündigten 5.000 Teilnehmer nur wenige hundert Menschen eingefunden haben, zu Beginn sogar noch deutlich weniger, stört ihn nicht.

Ende der 90er gab es schon einmal Spaceparaden auf der Allee der Kosmonauten, damals vor allem von Jugendfreizeiteinrichtungen und Schulen veranstaltet. Jetzt gehe es darum, zu zeigen, dass „Demokratie auch Spaß machen kann“, sagt Bryant, der sich für den Anlass mit weißem Outfit, goldenen Turnschuhen und Sonnenbrille ausgestattet hat und zum Auftakt ein fünfminütiges selbst geschriebenes Gedicht vorträgt.

Viele kommen nur wegen der Musik

Die Parade selbst ist dreigeteilt: Im vorderen Teil laufen Menschen wie die junge Frau mit schwarzem Pferdeschwanz, dünn gezupften Augenbrauen und Plüschrucksack in Einhornform, die sich als „Fabii mit Doppel-i“ vorstellt. Auf die Frage, warum sie hier ist, reißt sie die Arme hoch und schreit „Techno!“

Auch die anderen TeilnehmerInnen hier geben an, wegen der Musik gekommen zu sein, viele kennen die DJs, die hier auflegen, persönlich. Wegen der politischen Ausrichtung sei hier keiner da, sagt Matthias aus Bernau, schlecht findet er es aber auch nicht, gegen Nazis zu sein. Hier ist es am vollsten, rund 100 Menschen tanzen hinter den ersten beiden Wagen.

In der Mitte der langen Parade ist es fast völlig leer. Hier fahren die Wagen vom Anti-AfD-Bündnis Aufstehen gegen Rassismus, von der Volkssolidarität oder von dem deutsch-arabischen Nachrichtenprojekt Amal. Es ist der einzige Ort des langen Zugs, wo der Charakter als politische Veranstaltung deutlich erkennbar ist, und der einzige, an dem nicht nur weiße Menschen unterwegs sind.

Am Ende der Parade ist die Musik härter, das Publikum angetrunkener als vorne. Hier mischen sich die Männer und Frauen in Yakuza-Kleidung, von denen viele die Parade am Anfang noch vom Bürgersteig gegenüber beobachtet hatten, unter die Teilnehmer. Ob er wisse, dass auch Angehörige der rechten Szene auf der Parade feiern? Ja, sagt Bryant: „Ich habe ein paar gesehen, aber die sind friedlich und tanzen mit.“

Ob er wirklich kein Problem darin sehe? „Nein, wenn die hier tanzen, stehen sie ja zumindest für diese paar Minuten auch für Vielfalt ein.“ Im Übrigen habe er da doch gar keine Verantwortung, sollte sich jemand gestört fühlen, könne er ja selbst zur Polizei gehen. Ob nicht Ansagen gemacht werden könnten von den Wägen, um klarzustellen, dass Menschen aus der rechten Szene hier nicht erwünscht sind? „Das wäre nicht mehr tolerant“, wirft Bryants Begleiterin ein. Er lässt es unwidersprochen.

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