Tour de France Femmes: Eine französische Angelegenheit
Pauline Ferrand-Prévot gewinnt die Tour de France der Frauen. Es ist der erste französische Sieg seit Jahrzehnten – und ein Trostpflaster für geschundene Managerseelen.
Bei der Tour de France Femmes gelingen Dinge, zu denen Männer seit Langem nicht mehr in der Lage sind. Die Grande Nation jubelt, weil Pauline Ferrand-Prévot endlich geglückt ist, was über Jahrzehnte unmöglich schien: für Frankreich den Gesamtsieg bei der Tour de France zu holen. Die 33-Jährige schaffte das am vergangenen Sonntag. Und wie sie das schaffte.
Auf der Königinnenetappe am Col de la Madeleine am Samstag eroberte sie als Tageszweite das Gelbe Trikot. Da feierte das ansonsten monarchistischen Tendenzen eher abholde Sportblatt L’Équipe sie bereits als „Königin von Frankreich“. Tags darauf holte Ferrand-Prévot in den Alpen im Gelben Trikot den Etappensieg und festigte damit ihre Führungsposition.
Ihr Erfolg hat historische Dimensionen. Der letzte Gesamtsieg bei der Tour de France von französischen Athletinnen und Athleten ereignete sich in den 1980er Jahren. 1986 gewann Bernard Hinault das Männerrennen, Jeannie Longo dominierte den Frauenwettbewerb von 1987 bis 1989, bevor das Rennen aus, wie es damals hieß, „wirtschaftlichen Gründen“ eingestellt wurde. 1987 wurde übrigens die Pfälzerin Ute Enzenauer Gesamt-Dritte bei dem damals 15 Etappen umfassenden Rennen. Enzenauer war erst 22 Jahre jung, ein mittlerweile ziemlich vergessenes Top-Talent, das im Folgejahr mit nur 23 Jahren dem Leistungssport aufgrund der nervlichen Belastungen komplett Ade sagte.
Es waren also knapp drei Jahrzehnte Wartezeit für die Erfindernation der Frankreichrundfahrt, bis mal wieder Gelb für eine oder einen der ihren zu feiern war. Zur tollen französischen Bilanz bei dieser Ausgabe trug auch noch Maeva Squiban (Team UAE ADQ) mit zwei Etappensiegen bei.
Ferrand-Prévots Gesamterfolg wohnen weitere historische Komponenten bei. Die 33-jährige Französin fährt für das Team „Visma – Lease a Bike“. „Wir sind nun der erste Rennstall, der die Tour de France bei den Männern wie bei den Frauen gewonnen hat“, jubelte Visma-Boss Richard Plugge. Männerfrontmann Jonas Vingegaard gewann 2022 und 2023. In den vergangenen beiden Jahren mussten er und auch seine Teamkollegen aber die absolute Überlegenheit von Tadej Pogacar anerkennen. Der Erfolg von Ferrand-Prévot ist also ein ziemlich dickes Trostpflaster für geschundene Managerseelen. Von Vingegaard selbst kamen bisher keine Glückwünsche an die Adresse seiner in diesem Jahr erfolgreicheren Teamkollegin. So viel zum stets betonten Kollektivgeist im Hause „Visma – Lease a Bike“.
Ferrand-Prévot wie Hinault und Merckx
Dabei hätte Vingegaard durchaus Anlass für Respektbekundungen. Denn Ferrand–Prévot setzte in dieser Saison Maßstäbe, die selbst die verblüffenden Leistungen seines Dauerrivalen Pogacar in den Hintergrund rücken ließen. Die französische Geländespezialistin, im letzten Jahr noch Olympiasiegerin im Mountainbike, siegte in diesem Frühjahr beim Kopfsteinpflasterklassiker Paris–Roubaix. Pogacar wurde da bekanntlich nur Zweiter. Ferrand–Prévot indes katapultierte sich damit auf eine Ebene mit Größen wie Hinault und Eddy Merckx, die ebenfalls in der gleichen Saison Gelbes Trikot und Ehrenpflasterstein gewonnen hatten.
Für die Französin hat sich die Rückkehr vom Gelände auf die Straße bezahlt gemacht. Bereits vor elf Jahren war sie Straßenweltmeisterin, damals übrigens vor der Kemptenerin Lisa Brennauer. Damals aber empfand Ferrand–Prévot die Straßenszene als zu unterentwickelt, sie suchte eher die explosiveren Herausforderungen im Gelände. Im letzten Jahr, nach erfolgreichem Olympia-Coup im Mountainbike, ging sie dann das Projekt Rückkehr an. Erklärtes Ziel: Sieg bei der Tour de France Femmes.
Das schien Anfang dieser Saison allerdings mehr Traum als Ziel. Bei der ersten größeren Bergprüfung ihrer zweiten Straßenkarriere während der UAE-Tour fuhr sie im Frühjahr als 18. mit über drei Minuten Rückstand der Konkurrenz weit hinterher. Bei der Spanienrundfahrt, als Aufgalopp für die Tour gedacht, stieg sie nach der 5. Etappe sogar erschöpft aus. Über Höhentrainingslager machte sie sich dann aber fit für die Tour und erreichte Leistungen, die zu den Maximalleistungen im modernen Frauenradsport überhaupt zählen.
Beim 64-minütigen Anstieg zum Col de la Madeleine brachte sie laut Berechnungen des Branchendienstes Lanternerouge 5,04 Watt pro Kilogramm Körpergewicht über den kompletten Anstieg auf die Pedale. Beim wesentlich härteren Anstieg zum Tourmalet 2023 hatte die damalige Tour-de-France-Siegerin Demi Vollering laut Lanternerouge sogar 5,13 Watt pro Kilogramm geleistet. Vollering kam in diesem Jahr aber nicht einmal in die Nähe dieser Leistung. Der Niederländerin hatte offensichtlich ihr Sturz auf der 3. Etappe zugesetzt. „Danach wusste ich zunächst gar nicht, ob ich überhaupt weiterfahren kann“, blickte sie nach der abschließenden Etappe zurück. Sie haderte auch ein wenig mit ihrer Attacke am letzten Berg. „Das war letztendlich die perfekte Vorbereitung für Paulines Attacke“, analysierte sie später und tröstete sich damit: „Wenn du es nicht probierst, weißt du auch nicht, was geht.“
Der Frauenradsport hat eine neue Königin. Das Schöne für die Sportfans ist, dass es jedes Jahr eine andere Siegerin gab, nach Annemiek van Vleuthen 2022, Vollering 2023 und Kasia Niewiadoma 2024 nun eben Ferrand-Prévot.
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