Tour de France: Doping ist Sport

Die Fahrer der Tour de France sind als Teil eines irrwitzigen Leistungssystems bereit, beinahe jedes Risiko einzugehen.

Das Publikum liebt die Leidenden: Winokurows Rückansicht nach dem Sturz. Bild: dpa

Kaum waren die ersten Zweiräder auf dem Markt, begannen die Menschen mit ihnen um die Wette zu fahren. Um 1890 waren Radrennen gern besuchte Events in den Parks der großen Städte. In Deutschland war das wie in vielen anderen Ländern nicht nur verpönt, sondern auch verboten. Denn von Anfang an ging es um Prämien. Die Zuschauer wetteten auf die Helden, die Rennhunden gleich um die ersten planierten Bahnen gehetzt wurden. Die Fahrradindustrie zahlte die ersten Gehälter. Und schnell wurde die Szene pervers. 1896 fand in New York das erste Sechstagerennen statt. Ohne Pause fuhren die Profis damals 6 mal 24 Stunden im Kreis. Einer der ersten Stars der Szene war der Deutsche Walter Rütt. Sein größtes Problem war es, nicht über den Lenker gebeugt einzuschlafen. Darauf achteten die Manager der Fahrer. "Die wussten genau", so berichtete Rütt einst, "wie schwer es ist, einen Fahrer, der am sechsten Tag einschläft, wieder wach zu bekommen." Die Fans waren fasziniert. 1909 gab es in Berlin die ersten Sixdays. Es war der Beginn einer Erfolgsgeschichte, die gepflastert ist mit Berichten von Fahrern, die, aufgrund der Anstrengungen zitternd vom Rad gestiegen, regelrecht ausrasteten und oft erst Tage später wieder zu sich fanden.

FREMDBLUT: Blut, Schweiß und Tränen, das ist die Tour de France. Seit einigen Jahren ist vor allem das Blut in den Blickpunkt gerückt. Die Nachrüstung im Aderngeflecht durch Transfusionen ist schon in den 70er-Jahren immer wieder praktiziert worden. Aber erst seit 1988 ist diese Praxis als Dopingmethode verboten.

Blutdoping - ob mit fremdem oder mit eigenem Blut - hat immer das gleiche Ziel: Der ganz besondere Saft soll durch zusätzliche rote Blutkörperchen angereichert werden, um mehr Sauerstoff transportieren zu können und damit die Muskeln bei Höchstleistungen besser zu versorgen. Auf 10 bis 15 Prozent Leistungszuwachs schätzen Experten den erzielten Effekt. Blutdoping ist wie Höhentraining, geht aber viel schneller, ist preiswert, längst nicht so anstrengend und bringt eine schlagartige Leistungsverbesserung.

Nachdem die spanische Polizei in den Kühlschränken des Doktor Fuentes eine prächtige Blutbeutelsammlung von mehr als 40 Fahrern entdeckt hatte, ist diese Quelle des Eigenblutdopings versiegt. Seitdem sind die Radprofis wieder auf andere Quellen angewiesen. Und sie greifen offenbar verstärkt auf freundliche Angebote fremder Spender zurück. Dieser Spender muss dieselbe Blutgruppe und denselben Rhesusfaktor haben.

Seit 2004 ist allerdings eine neue Nachweismethode für Fremdblut bei den Dopingkontrollen verfügbar. Dabei werden körperfremde Antigene auf den Zellmembranen der roten Blutkörperchen aufgespürt. Jeder Körper hat hier sein eigenes unverwechselbares Antigenprofil.

Obacht: Schon beim Eigenblutdoping sind die Risiken gewaltig. Die Blutbeutel müssen sorgfältig gekühlt, sie dürfen nicht zu lange aufbewahrt und auf keinen Fall verwechselt werden. Blutgerinnsel- und Thrombosegefahr! Und das Blut verdickt sich, wenn statt Vollblut aufbereitete Erythrozyten verabreicht werden. Beim Einsatz von Fremdblut potenzieren sich die Risiken. Auch wenn Blutgruppe und Rhesusfaktor stimmen, kann es zu allergischen Schockreaktionen und einem Kreislaufkollaps kommen. Außerdem können Viren und Infektionen mit dem Fremdblut eingeschleppt werden. Jede Verschmutzung des Spenderbluts kann zur Katastrophe führen. Die Fahrer sollten unbedingt darauf achten, dass der Spender möglichst gesund ist.

Ausrede des Tages: "Die anomalen Blutbefunde müssen mit meinem Sturz zusammenhängen." (Alexander Winokurow, im Juli 2007 beim Fremdblutdoping erwischt. Winokurow galt nicht als der Hellste im Fahrerfeld) MANFRED KRIENER

Am 21. Juli 2007 humpelt ein in Himmelblau gekleideter Blondschopf in Richtung Siegerehrung im südfranzösischen Albi. Alexander Winokurow kommt kaum die Treppen zum Podest hinauf, um von dort die Huldigungen der Fans entgegenzunehmen. Der Kasache hat gerade das erste Einzelzeitfahren der diesjährigen Tour de France gewonnen. Gehen kann er so schlecht, weil er zu Beginn der Rundfahrt schwer gestürzt war. Tiefe Fleischwunden an beiden Knien mussten über Nacht genäht werden. Auch die Abschürfungen an Gesäß und Ellenbogen konnten ihn nicht davon abhalten, am Tag darauf wieder aufs Rad zu steigen. Die Fans am Straßenrand feuerten ihn an wie kaum einen Zweiten im Peloton. Winokurow litt und wurde dafür geliebt. Christian Prudhomme, der Tour-Chef, der so gerne mit markigen Worten das Doping verteufelt, um dann doch einen windelweichen Kurs zu fahren, bezeichnete im Vorfeld das Leiden als Essenz des Mythos Tour de France. Die Liebe der Fans währte bis zum vergangenen Dienstag. Von da an konnte die Rührung des heulenden Kasachen über seinen zweiten Etappensieg am Montag keine Emotionen mehr auslösen. Der Held hat gedopt, sich Transfusionen mit fremdem Blut verabreichen lassen. So schlich er sich durch den Hinterausgang des Hotels und ward nicht mehr gesehen.

Gestern rollte das Peloton weiter durch die Pyrenäen. Und wieder bewiesen die verbliebenen Helden, dass sie schaffen, was eigentlich nicht menschenmöglich ist. Hunderte von Autos begleiteten die Fahrer auf ihrem Weg durch die Berge, vollgepinselt mit Sponsorenlogos. Immer schneller wird die Tour, die Fahrer werden von den Geldgebern die Berge regelrecht hinaufgejagt. Am Straßenrand stehen die Fans und winken mit Wimpeln, die die Finanziers der Szene haben verteilen lassen. Auch der Jubel ist gekauft. Die Fahrer nehmen die Herausforderung an, sind als Teil eines irrwitzigen Leistungssystems bereit, beinahe jedes Risiko einzugehen. Sie bereiten sich vor. Mit Training allein schaffen sie es nicht, den Erwartungen gerecht zu werden. Das wissen sie. Sie tunen ihre Körper mit allen verfügbaren Mitteln. Fast alle Toursieger haben es so gehalten. Die italienische Radsportlegende Fausto Coppi genauso wie die Seriensieger Eddy Merckx oder Lance Armstrong. Der Tod von Tom Simpson, der, randvoll mit Amphetaminen, 1967 beim Anstieg zum Mont Ventoux tot vom Rad fiel, war da nicht mehr als ein Betriebsunfall. Die nächsten Helden standen schnell bereit, ließen sich von den Sponsoren auf die Schulter klopfen und warfen ihren Anhängern im Zielraum Kusshändchen zu.

Alexander Winokurow ist 33 Jahre alt. Er ist gescheitert. Seit 1998 ist er Teil des Systems. Da unterschrieb er seinen Profivertrag. Zunächst, so hat er gesagt, sei er staunend über das hohe Niveau am Ende des Feldes geradelt. Doch schnell hat er begriffen, was von ihm verlangt wird. Der Profi Winokurow begann professionell zu arbeiten. Mit den ersten Erfolgen in Kasachstan startete sein Aufstieg zum Nationalheros, begann der große Reibach. Er wechselte zum deutschen Team Telekom. Und fand Ratlosigkeit vor. Die Zeit des hemmungslosen Epo-Dopings war vorbei, seit das Mittel durch Kontrollen nachweisbar geworden war. Winokurow gewann viel, doch es war nicht genug. Die Erwartung einer ganzen Nation im Rücken, nahm er sich vor, noch mehr zu leisten. Er heuerte bei einem spanischen Team an, nahm die Verantwortung als Teamkapitän an. Das Tuning in seiner Mannschaft leitete Eufemiano Fuentes, der mit seinen Blutbeuteln bestens an der Szene verdiente. Als er aufflog, stand Winokurow ohne Mannschaft da. Er selbst hat sich auf die Suche nach neuen Sponsoren gemacht und ist in seiner Heimat fündig wurde. Der gehetzte Profi hat sich seinen Jäger selbst ausgesucht. Danial Achmetow, Verteidigungsminister Kasachstans, hielt Winokurows Traum am Leben und hat für vier Jahre jeweils 12 Millionen Euro bei sieben kasachischen Konzernen lockergemacht und in das Team Astana gesteckt. Das an Uran-, Zink, Kupfer-, Stahl- und Ölvorkommen reiche Land wählte sich Alexander Winokurow als Botschafter. Er hat getan, was von ihm erwartet wurde. Er hat seinen Körper, sein Blut an die Szene verkauft. Fremdes Blut floss in seinen Adern, als er am Samstag zur Bestzeit raste. Er hat gelitten, war ein Held. Nach seinen zwei Etappensiegen hat er echte Tränen vergossen. Er ist den Erwartungen gerecht geworden. Dann hat er einen Fehler gemacht. Er hat sich erwischen lassen.

Seit 1903 gibt es die Frankreichrundfahrt. Von Anfang an war sie eine kommerzielle Veranstaltung. Sie wurde als Werbeschleife für die Zeitung LAuto gegründet. Mehr als 100.000 Pariser empfingen den ersten Gesamtsieger Maurice Garin. Der hatte als erster Straßenfahrer überhaupt eine Strecke von knapp 2.500 Kilometern zurückgelegt. 60 Profis waren am 1. Juli angetreten, um die erste Etappe von Paris nach Lyon über 467 Kilometer in Angriff zu nehmen. Noch waren die Prämien nicht allzu hoch. Doch das änderte sich schnell. Denn die Veranstaltung erwies sich als Erfolg für den ausrichtenden Verlag. Das Publikum begeisterte sich vor allem deshalb für die Tour, weil die Fahrer schier Übermenschliches zu vollbringen schienen.

Es dauerte nicht lange, da schickte man die Profis über die Pässe der Alpen und der Pyrenäen. Die Fahrer erkannten, dass sie nur dann zu Helden werden können, wenn sie zu den Besten der Gesamtwertung zählen. Und auch wenn an den Ruhetagen so manches Glas Rotwein geleert wurde, die Zeit der Drogendrinks begann schon in den 30er-Jahren. Die Betreuer mixten irrwitzige Cocktails für die Radler und scheuten nicht davor zurück, diese mit Kokain, Strychnin, Äther oder Morphium zu versetzen. So wurde die Schmerzgrenze der Fahrer nach oben gesetzt. Die Leistungen explodierten.

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