Tourauftakt von Rammstein: Pyro und Phallus

Götterdämmerung in der Red Bull Arena: Rammstein huldigt der Masse und die Masse huldigt ihnen auf der Stadiontour, die jetzt in Leipzig startete.

Ein Mann ist mit weißem Schaum überdeckt, steht auf der Bühne und guckt mit ausgestreckten Armen in die Kamera

Rammstein'sche Mehrdeutigkeit (oder Eindeutigkeit) als weißer Schaum, hier beim Leipzig-Konzert Foto: Jens Koch/dpa

Für Till Lindemann ist das hier ein Heimspiel. Schließlich wurde Rammsteins Frontsänger in Leipzig geboren. Und die Band spielte ihr erstes Konzert 1994 in der Stadt, in einem kleinen Zentrum für Alternativkultur namens „naTo“. Nun kommen 40.000 Menschen in die ausverkaufte Red Bull Arena – an zwei Tagen hintereinander. Ganz Leipzig scheint in Aufruhr, Straßen werden gesperrt, ein Unwetter ist zudem angekündigt, die Lokalpresse startet den „Liveticker zum Rammstein-Tag“.

Im Stadion gehen die La-Ola-Wellen. Die Menschen haben Bock. Nicht nur, weil das Konzert in den letzten Jahren schon zwei Mal verschoben wurde. Gefühlt alle hier tragen schwarze Band-T-Shirts, auf denen Zitate stehen wie „Reih dich ein“, „Manche führen – manche folgen“, „Evil German“ oder einfach „Made in Germany“. Und ja, Rammstein sind wohl die deutscheste Band aller deutschen Bands – mit ihrer DDR-Punk-Vergangenheit, ihrer totalitären Ästhetik, dem rollenden Rrrr von Lindemann, dem Wagner’schen Überschwang. Längst sind Konzerte auf der ganzen Welt Heimspiele für sie. Das Erfolgsrezept: Vierviertel-Rhythmen, simple Texte, viel Provokation und noch mehr Feuer.

Das Konzert beginnt mit einem wortwörtlich großen Knall. Mit dem Opener ihres neuen Albums „Zeit“ eröffnen Rammstein auch die Show und schalten die gerade noch la-ola-wellenden Fans zu einer „Armee der Tristen“ gleich, wie der Songtitel lautet. Schwarzes Konfetti wird in die Menge gepumpt, Feuerwerfer spucken Flammen im Takt. Doch alle wissen: Da kommt noch mehr. Hier brennt nicht nur Lindemanns Herz, hier brennt gleich das Stadion.

Rammstein sind quasi die Erfinder des übertriebenen Einsatzes von Pyrotechnik auf Live-Konzerten, haben schon in den kleinsten Läden irgendwas angezündet. Der Innenbereich des Stadions, da wo die Hardcore-Fans bis zum Ohrensturz mitgrölen, heißt nicht umsonst Feuerzone. Doch inzwischen hat die Erlebnisindustrie nachgezogen, Feuerwerk gibt’s selbst beim Schlagerfest: Rammsteins Flammensäulen wirken heute nicht mehr ganz so erschreckend wie einst, sind aber inmitten eines Bühnenbilds aus Stahl immer noch krass.

Eines der Highlights des Konzerts, das die Band seit Jahren aufführt: Keyboarder aka „Tastenficker“ Flake steckt in einem Kessel zwischen Flammen, die von Lindemann mit voller Wucht angefeuert werden – auch das im wortwörtlichen Sinne. Doch erst mal brennt der Himmel. Es blitzt überm Stadion, eine Götterdämmerung zieht herauf. Ob es donnert, hört man nicht, zu laut wummern die Bässe. Die Feuerzone wird plitschnass. Und plötzlich: Stille, Flutlicht und eine freundliche Stimme, die mitteilt, dass das Konzert während des Unwetters unterbrochen wird und die Menschen bitte den unbedachten Innenbereich räumen sollen.

Das vollzieht sich dann geordnet wie in der Theaterpause, noch mal auf Klo, neues Bier und schon geht’s weiter. Feuerzone ist trocken und wieder on fire. Rammstein kehren zurück, lassen das Ganze unkommentiert und es jetzt richtig krachen. Mit Techno! Ihren Song „Deutschland“ spielen sie im Remix von Gitarrist Richard Z. ­Kruspe, der sich da irgendwo zwischen Westbam und Kraftwerk austobt. Als es im gewohnt brachialen Neue-Deutsche-Härte-Sound weitergeht, skandiert das ganze Stadion „Deutschland“.

Das muss so sein, das will das Lied so, aber schön ist es nicht. Rammstein haben mit ihrem Song „Links 2 3 4“ klar gemacht, wo ihr Herz schlägt, und die immer wieder aufkommenden Vorwürfe, rechts zu sein, erwiesen sich auch an anderen Stellen als haltlos. Aber ob das bei allen Fans auch so ankommt, ob sie die Kritik, die Satire, die Zwischenzeilen wirklich verstehen, bleibt unwahrscheinlich. Das Martialische, den Marschrhythmus, das Männliche muss man halt auch mögen.

Obwohl hier Rentner:innen, Teenager und viele Frauen im Publikum sind, überwiegt der Anteil von Stiernacken, Halbglatzen, Bierbäuchen. Die Befürchtung, dass beim neuen Song „Dicke Titten“ 40.000 Münder die Zeilen „Sie muss nicht schön sein / Sie muss nicht klug sein / Doch um eines möchte ich bitten: Dicke Titten“ mitgrölen, ist unbegründet, da die Band das Stück nicht spielt, bei dem es nun wirklich nichts mehr zwischen den Zeilen zu lesen gibt.

Genauso wenig bei „Pussy“, zu dem Lindemann sich breitbeinig auf eine Phallus-Kanone setzt und das Publikum mit weißen Schaum bespritzt, während er singt: „You’ve got a pussy, I have a dick. So what’s the problem? Let’s do it quick!“ Einem beziehungsweise einer würden da schon noch einige Probleme einfallen, aber darum geht’s hier natürlich nicht. Hier geht’s um die Show. Und die ist perfekt choreografiert. Bei der Klavierversion von „Engel“ sollen alle die Handytaschenlampen anmachen und die Band über die Menge tragen, bei „Sonne“ versetzen Feuerfontänen das Stadion in taghelles Licht. Zum Schluss kniet Rammstein vorm Publikum nieder. Lindemann bedankt sich bei „Mei Leipzsch“. Die Menge johlt. Er ist einer von ihnen.

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