Toxikologe über Gift im Spielzeug: "Das Verbot sollte ausgeweitet werden"

Der Toxikologe Gilbert Schönfelder über den wissenschaftlichen Streit um Giftstoffe im Spielzeug und den Einfluss der Industrie auf die Forschungsergebnisse.

Eltern sollten ihre Kinder mindestens bis zum dritten Lebensjahr vor Spielzeug aus zweifelhaften Materialien schützen, sagt Schönfelder. Bild: dapd

taz: Herr Schönfelder, die EU hat kürzlich die Chemikalie Bisphenol A (BPA) in Babyfläschchen verboten. Reichen die Erkenntnisse über BPA dafür überhaupt aus?

Gilbert Schönfelder: Wir haben genügend Erkenntnisse über die Substanz, um sagen zu können: Man kann nicht davon ausgehen, dass keine Bedenken bestehen. Hier greift das Vorsorgeprinzip, denn solange man einen Unsicherheitsfaktor hat, sollte man die Substanz nicht an die heranlassen, die besonders empfindlich sind - Kinder zum Beispiel.

Reicht es da aus, Babyflaschen zu verbieten?

Nein, sicher nicht. Die tägliche Aufnahmedosis, der sogenannte TDI-Wert, muss bei BPA neu diskutiert werden. Außerdem ist es sinnvoll, das Verbot auszuweiten. Weil wir das Risiko bis jetzt nicht gut genug abschätzen können, sollten wir zum Beispiel Kinder bis zum dritten Lebensjahr schützen, oder auch noch länger.

Es melden sich immer wieder Wissenschaftler, die Bisphenol A für unbedenklich halten …

Die Studien, die die Mengen an Bisphenol A untersuchen, die sich im menschlichen Körper finden, weisen überwiegend in die gleiche Richtung und belegen eine hohe Belastung. Im Grunde gibt es zwei Arbeiten, die diesen Studien widersprechen. Und die wurden nicht nur an viel zu kleinen Patientengruppen vorgenommen, die Messungen waren nicht empfindlich genug. Und für Kinder haben wir gar keine validen Daten. Hingegen wissen wir heute, dass wir Studien an Mäusen, Ratten und Affen in Bezug auf die Wirkung von Bisphenol A durchaus auf Menschen übertragen können. Das haben wir bis vor kurzem noch bezweifelt.

GILLBERT SCHöNFELDER ist Professor für Pharmakologie und Toxikologie am Berliner Universitätsklinikum Charité. Der Mediziner war unter anderem als Fachgutachter für die Weltgesundheitsbehörde (WHO) täig. Beim National Institute of Health Sciences in den USA war er Fachgutachter für die umstrittene Chemikalie Bisphenol A.

Ein Expertengremium der World Health Organisation (WHO) hat vergangenen November feststellt, dass die Relevanz der vorliegenden Studien derzeit nur schwierig zu beurteilen sei. Auch die Wissenschaftler der zuständigen europäischen Lebensmittelbehörde Efsa haben Entwarnung gegeben. Also hat die EU die Verwendung von Bispenol A nicht aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse eingeschränkt, sondern wegen der Angst in der Öffentlichkeit. Was bedeutet das für die wissenschaftliche Beratung?

Das Problem in diesen Gremien ist, dass dort nur wenige Wissenschaftler sitzen, die sich wirklich mit der Wirkung der entsprechenden Substanz auskennen. Die kennen sich zwar hervorragend aus mit Risikoforschung, aber nicht unbedingt mit dem entsprechenden Stoff. Die Behörden und Institutionen, die Entscheidungen über bestimmte Substanzen fällen müssen, sollten auch mit den Wissenschaftlern diskutieren, die die Daten gewonnen haben.

Aber wie sollen denn die Entscheider in den Parlamenten mit sich widersprechenden Studienergebnissen umgehen?

Natürlich haben sich im Laufe der sehr langen Debatte über Bisphenol A verschiedene Meinungen herausgebildet. Aber so unterschiedlich sind die Studienergebnisse eben nicht. Etwa in den Stellungnahmen des US-amerikanischen National Toxicology Program (NTP) werden doch deutliche Bedenken geäußert. Dabei taucht dann immer die Frage auf, warum zur Bewertung nur GLP-konforme Studien zugelassen werden.

Das bedeutet, Studien, die nach dem Standard der "good labatory practice" (GLP) entstanden sind. Sie sollen transparent und nachvollziehbar sein. Wieso ist das schlecht?

Schlecht sind diese Standards nicht, aber sie liefern nur Grundlagen darüber, wie das Zustandekommen und die Bewertung von Daten transparent gemacht werden müssen. Sie treffen aber noch keine Aussagen über die Qualität der gewonnen Erkenntnisse, also darüber, wie wissenschaftlich bedeutend die gewonnen Ergebnisse sind. Und nicht nur das: Solche Studien sind auch extrem teuer. Universitäten können sich GLP-basierte Studien nicht leisten, das kann nur die Industrie. Und wenn etwa die Efsa sich überhaupt nur auf solche wissenschaftlichen Arbeiten stützt, haben wir ein Problem: Unabhängige Forschungsergebnisse fließen nicht ein.

Ist der Einfluss der Industrie auf die Studien zu groß?

Das ist eine sehr schwierige Frage. Man kann nicht jeden, der für seine Forschung industrieabhängige Drittmittel eingeworben hat, als Lobbyisten hinstellen. Aber im Falle von BPA fällt schon auf, dass ein Großteil der Studien, die ein Risiko leugnen, industriebasiert sind. Auch das Efsa-Werk ist in dieser Hinsicht interessant: Mit Daten, die für ein Risiko bei Bisphenol A sprechen, gehen die Wissenschaftler dort wesentlich härter ins Gericht als mit denjenigen, die ein Risiko verneinen. Zusammen mit den Industriestudien hat das dazu beigetragen, dass die Debatte inzwischen sehr emotionalisiert ist. Es würde sie wieder versachlichen, wenn Forschung auf neutralem Boden stattfände.

Und könnte solche unabhängige Forschung stattfinden? Denkbar wäre es zum Beispiel, dass die Industrie Geld in einen unabhängigen Topf einzahlt. Die Efsa oder das Umweltbundesamt könnten mit diesem Geld unabhängige Forscher beauftragen. Natürlich muss die Industrie weiter Produkte testen, die sie auf den Markt bringen muss.

Hinkt die unabhängige Risikoforschung nicht immer der Industrie hinterher?

Ja, natürlich, darum muss man auch über Substanzen und ihre zumutbaren Grenzwerte immer wieder neu nachdenken. Nehmen Sie zum Beispiel Blei: Wenn die großen, negativen Langzeitfolgen von Blei auf das menschliche Herz-Kreislauf-System schon in den 70er Jahren klargewesen wären, wäre man damals sicher anders mit diesem Schwermetall umgegangen. Risikoforschung ist immer auch retrospektiv.

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