Träume und Trümmer in Syrien: Mit Freude am Leben
Nach Jahren der Vertreibung trifft sich die Familie unserer Autorin in ihrem Elternhaus in der Provinz Idlib. Dabei wirken die Eltern jünger denn je.

E s war zehn nach sechs, ein Freitagmorgen Anfang August, als der Wecker klingelte. Der erste Morgen seit meiner Rückkehr in mein Elternhaus in Kafr Nabl, eine Kleinstadt im Süden der Provinz Idlib, die für den Feigenanbau bekannt ist.
Sechs Jahre sind vergangen, seitdem ich meine Heimat verlassen habe. 2019 marschierten Assads Truppen in die Stadt ein, meine Familie floh in die Flüchtlingslager von Deir Hassan, etwa 80 Kilometer nördlich von Kafr Nablgelegen. Dort blieb sie die nächsten Jahre, bis sich die Soldaten des Assad-Regimes vor einigen Monaten wieder zurückzogen.
Die Flucht trennte mich von meinen Eltern und Geschwistern. Während sie gezwungen waren, in Deir Hassan zu leben, konnte ich in der Stadt Idlib bleiben, um mein BWL-Studium abzuschließen und mich auf meine Arbeit als Journalistin zu konzentrieren. In dieser Zeit sahen wir uns nur ein- oder zweimal jährlich. Ich sehnte mich sehr nach dem Essen meiner Mutter, vor allem nach ihrem selbstgebackenen Brot.
Sahar Zator ist freie syrische Journalistin und Korrespondentin, die über Ereignisse im Raum Idlib und Nord-Syrien berichtet. Als Überlebende einer zweijährigen politischen Inhaftierung unter Assad, entschloss sich die damals 21-Jährige nach ihrer Freilassung, ihre Stimme für weibliche Gefangene und generell syrische Aktivistinnen zu erheben, um auf unmenschlichen Haftbedingungen und ihren Widerstand aufmerksam zu machen. In ihren Texten und Videos berichtet Zator schwerpunktmäßig über die schlechten wirtschaftlichen und politischen Lebensbedingungen vertriebener Menschen. Derzeit ist sie eine von elf Teilnehmerinnen des Projekts „Her turn – Supporting Syrian female journalists“, das von der taz Panter Stiftung initiiert wurde.
An diesem Morgen, zurück in meinem Elternhaus, war ich ungewöhnlich munter, so dass ich sofort aus dem Bett sprang und in den Hof ging, um frische Morgenluft zu atmen. Dort knetete meine 74-jährige Mutter den Teig für unser traditionelles Tannour-Brot, während meine fünfzehn Jahre ältere Schwester trockenes Holz in den brennenden Steinofen legte. Ich grüßte leise und hoffte insgeheim, dass sie mich nicht um Hilfe bitten würden.

Träume, die ein Vater kaum zu träumen gewagt hatte
In unserem Garten, mit den noch jungen Granatapfelbäumen, standen auch ein paar kleine Feigenbäume, die mein Vater kürzlich gepflanzt hatte. Ich war überrascht, als ich sah, wie energisch er Unkraut zwischen den Bäumchen jätete, sie goss. Kurz darauf hielt er einen Plastikbehälter mit gemahlenem Mais in der Hand, streute die Körner auf den Boden und rief lautstark seine Hühner „Taa taa taa taa“, was „Kommt!“ auf Arabisch bedeutet. Voller Elan und mit der Energie eines jungen Mannes verrichtete mein alter Vater, der nun schon fünfzig Jahre lang als Zimmermann arbeitete, diese Arbeiten.
Gerade als ich ihn fragen wollte, warum er nicht – wie üblich – zur Arbeit gegangen war, begrüßte er mich mit seinem typischen Lächeln und erzählte, dass er zuhause geblieben sei, da vier seiner sieben Söhne und Töchter zu Besuch waren. Für ihn, den 74-jährigen Mann, so sagte er, ginge damit ein Traum in Erfüllung, den er während der Vertreibung nach Deir Hassan kaum zu träumen gewagt hatte.
Ein köstlicher Duft unterbrach die Plauderei mit meinem Vater. Es war der Geruch, den wir Kinder vom Land nur zu gut kennen. Der Duft von frischem Brot, der aus unserem Lehmofen im Hof strömte. Auf einem Stein vor dem Ofen rollte meine Schwester handgroße Teigkugeln zu Brotfladen aus. Sie reichte die langen Teigstücken meiner Mutter, die sie nacheinander auf ein Tuch legte, um sie anschließend schwungvoll an eine der heißen Ofenwände zu kleben. Sobald der Teig kleine Blasen bildete, nahm sie die fertig gebackenen Laibe mit einer schnellen Bewegung mit den Fingern aus dem Ofen und legte sie auf einen Teller zu den anderen Broten.
Am 8. Dezember 2024 fiel das Regime des syrischen Langzeitmachthabers Baschar al-Assad. Wie lebt es sich heute in dem in weiten Teilen zerstörten Staat? Journalistinnen von Damaskus bis Qamishli erzählen von ihrem Alltag zwischen Trümmern und Träumen. ➝ zur Kolumne
Illustration: Hamed Eshrat
Auch der zerstörte Lehmofen wird repariert
Seit meiner frühesten Kindheit kannte ich die geschickten Handgriffe meiner Brot- backenden-Mutter. Ich saß da und beobachtete, wie sie vital und voller Lebensfreude war, so als wäre sie in den vergangenen Wochen zwanzig Jahre jünger geworden. Noch vor fünf Monaten, als wir sie wegen ihrer kranken Herzgefäße zur Operation ins örtliche Krankenhaus bringen mussten, war sie nicht mehr dieselbe gewesen. Die Vertreibung aus der Heimat, die harten Lebensumstände im Flüchtlingslager hatten ihr stark zugesetzt. Bei einem unserer letzten Wiedersehen klagte sie über ihre tauben Beine, wirkte müde.
Die frische Bergluft und ihre Rückkehr nach Kafr Nabl schienen sich positiv auf die Gesundheit und den Gemütszustand meiner Eltern, die seit 53 Jahren miteinander verheiratet sind, auszuwirken. Und dass, obwohl ihr Haus von Assads Soldaten geplündert und zerstört worden war, so wie die meisten Häuser in der Gegend. Sie aber ließen sich davon nicht entmutigen, sondern verrichteten mit großer Entschlossenheit und Ausdauer sogar einfache Reparaturarbeiten, um das Haus wieder bewohnbar zu machen. Auch der zerstörte Lehmofen im Hof wurde repariert.
Mit bloßen Händen knetete meine Mutter Lehm, indem sie Erde mit etwas Wasser vermengte, reichte ihn meinem Vater, der den Lehm dann zwischen die Steine schmierte und so Stein für Stein wieder an seinen Platz setzte.
Ich war damals nicht dabei, aber ich kann mir sehr gut vorstellen, wie sie dort standen und zum Ofen sprachen: „Morgen kommen unsere Kinder, um von deinem Brot zu essen.“
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