Transgender in Indien: Die klügste Frau der Stadt

In der Kindheit als Eunuch beschimpft, hofft Prerna auf göttliche Intervention. Später ließ sie sich zur Frau umwandeln. Jetzt geht es ihr gut.

Prerna

„Ganz gleich, was andere denken, es geht doch um mich und darum, was ich will“, sagt Prerna Foto: Rainer Hörig

PUNE taz | Mehr als zweihundert Menschen drängen sich im Foyer des kleinen Auditoriums, es ist heiß, die Luft brodelt. Zum ersten „Queer-Festival“ in der Industrie- und Bildungsmetropole Pune, keine 150 Kilometer landeinwärts von Mumbai gelegen, versammeln sich Lesben und Schwule, Künstler, Sozialarbeiter, Transgender, Normalos und Freaks. High Heels neben Plastik-Flipflops, glamouröse Abendkleider neben bunten T-Shirts. Schweißgeruch mischt sich mit billigem Parfüm. Eine Menschentraube umringt den Star des Abends. Ashok Row Kavi, Herausgeber des Gay-Magazins Bombay Dost, ist ein bekannter Schwulenaktivist, er hat das Festival mitorganisiert.

„Das ist Prerna, die aktivste und klügste Transgenderfrau der Stadt“, stellt er eine Freundin vor.

„Prerna, das ist ein Kollege aus Deutschland!“

„Ashok hat wieder maßlos übertrieben. Ich bin ein ganz normaler Mensch, wie alle hier“, sagt Prerna mit einem Augenzwinkern.

Prerna ist eine stattliche Erscheinung – volle Brüste, runder Bauch, lange, gepflegte Haare. Sie spricht ziemlich exaltiert, gestikuliert dabei wild, ist witzig und charmant. Sie arbeite in der Aids-Beratung, koordiniere die Streetworker, sagt sie stolz.

Ist sie zu einem längeren Gespräch bereit? Prerna rückt ein wenig zögerlich ihre Telefonnummer heraus, will aber noch nichts versprechen. Ashok klatscht in die Hände und gibt den Beginn der nächsten Veranstaltung bekannt.

Sexuelle Belästigung

Eines Tages entsteigen zwei Damen in glitzernden Saris einer dreirädrigen Motorrikscha vor dem Haus. „Hallo, sind wir hier richtig?“ Als Prerna das Haus betritt, verschwindet ihre Begleiterin wortlos im Garten. Prerna setzt ein Sonntagslächeln auf, zupft den Sari zurecht, überschlägt nervös die Beine. Ihre Stimme klingt zu tief für eine Frau, zu hoch für einen Mann. Mit grazilen Handbewegungen unterstreicht sie ihre Worte. Nach einer ersten Tasse Tee hat sich die Atmosphäre gelockert. Prerna beginnt zu erzählen.

„Als ich in die vierte oder fünfte Klasse ging, wollte ich, obwohl ein Junge, nur mit Mädchen spielen. Zu Hause trug ich gern Frauenkleider und schminkte mich mit Hingabe. Meine Eltern haben sich gewundert, aber das war mir egal, weil es einfach ein Spaß war.“

In der Pubertät erlebt Prerna dann, wie aus Spaß Ernst und Leid werden kann. Ihre weibliche Art stimuliert manche Männer, sie wird sexuell belästigt: „Plötzlich begriff ich, was Lust bedeutet. Ein älterer Mann zwang mich, sein Geschlecht zu streicheln und ihn zu erregen.“ In Prerna wachsen seltsame Begierden. Sie stürzt in eine Identitätskrise.

„Ich mochte am liebsten mit Mädchen sein, aber sexuell fühlte ich mich zu Jungen hingezogen. Mein Kopf sagte: Sei straight, benimm dich wie ein Mann! Mein Herz bevorzugte dagegen die weibliche Art. Alle Versuche, mein Verhalten zu ändern, scheiterten letztendlich. Damals kannte ich außer mir niemanden, der sich weiblich fühlte.“

Als Eunuch verspottet

Die Reaktionen ihrer Umgebung machen alles noch schlimmer. Prerna wird wegen ihrer weiblichen Art gehänselt, ausgegrenzt: „Ich versuchte, so gut es ging, mich männlich zu geben, aber das war nur gespielt, nicht echt. Freunde und Verwandte haben mich als Eunuchen verspottet. Manche Mitschüler haben mich bedroht und vom Spielen auf dem Schulhof ausgeschlossen. Ich war dazu verdammt, in meiner eigenen, einsamen Welt zu leben.“

Je mehr Prerna heranwächst, desto bedrohlicher wird ihre Lage. „Die Menschen haben Witze über mich gerissen, wenn ich über die Straße lief. Ich hoffte auf göttliche Intervention, um mein Leben wieder in normale Bahnen zu lenken. Ich hatte ja noch nie etwas über Transsexuelle gehört! Ich fühlte mich vollkommen alleingelassen und ausgestoßen. Damals habe ich sogar über Selbstmord nachgedacht.“

Erst als Prerna ein Studium aufnimmt, gelingt ihr, sich von ihrer sozialen Umgebung, dem kleinbürgerlichen Milieu ihrer Kindheit, zu lösen. „Im College traf ich auf Seelenverwandte, ich ging auf Schwulenpartys, tauchte in eine ganz neue Szene ein. Ich war so erleichtert, dass es noch andere Jungen gab, die so fühlten wie ich.“

Im Internet findet Prerna viele Informationen über andere Formen der Sexualität. Prerna entschließt sich zum Coming-out.

„Mit der Zeit bin ich dann zu der Überzeugung gekommen, dass ich mit der Identität einer Transgender gut leben kann. Als ich 22 war, entschied ich mich endgültig dafür. Ganz gleich, was andere denken, es geht doch um mich und darum, was ich will.“

Transgender und Hijra

Aber noch ist Prerna nicht am Ziel. In ihr wächst der Wunsch, die Verwandlung auch körperlich zu vollziehen. „Meine weibliche Seele war in einem männlichen Körper eingesperrt. Ich wollte sie befreien.“

Prerna unterzieht sich einer Operation zur Geschlechtsumwandlung. Der Penis wird entfernt, sie bekommt eine künstliche Vagina und Brustimplantate. Eine Hormontherapie unterstützt die Verwandlung. „Die Operation war sehr teuer, bis heute zahle ich den Kredit dafür zurück. Aber nun bin ich glücklich mit meiner neuen Identität. Auf der Straße muss ich keinen Spott mehr ertragen, ich werde endlich als Frau betrachtet.“

Doch ein soziales Stigma lässt sich nicht einfach wegoperieren. Zwar ist Indien eines der wenigen Länder der Welt, in denen Transgender zum Straßenbild gehören, sie finden sogar Erwähnung in der Mythologie der Hindus. Dennoch genießen sie keine soziale Anerkennung. Nach indischer Tradition gehören sogenannte Hijras – meist kastrierte Männer, die Frauenkleider tragen – zu den Randgruppen der Gesellschaft. Man lädt sie als Glücksbringer zu Hochzeiten ein und belohnt sie mit kleinen Geldbeträgen. Die Gesellschaft verweigert ihnen jedoch eine bürgerliche Existenz, niemand will sie für Lohn und Brot beschäftigen. Die meisten Hijras betteln daher auf den Straßen oder prostituieren sich.

Dank ihrem Uniabschluss bleibt Prerna dieses Schicksal erspart. Doch sie leidet unter den Vorurteilen und der manchmal schroffen Ablehnung. „Ich fühle mich nicht wirklich diskriminiert, aber auch nicht voll akzeptiert. Niemand will mit uns etwas zu tun haben. Frauen wundern sich manchmal über meine männliche Stimme, Männer dagegen drangsalieren und belästigen mich, sie wollen Sex. Wenn ich zum Arzt gehe, spielt dieser ungeniert mit meinen Genitalien. Für die meisten Männer sind Transsexuelle nur zum Sex da.“

Das dritte Geschlecht

Im April 2014 fällt das Oberste Gericht Indiens ein historisches Urteil, das weltweit Aufmerksamkeit findet. Auf Antrag einer Transgender-Aktivistin sprechen die Richter dieser Bevölkerungsgruppe den Status eines dritten Geschlechts zu. Amtliche Dokumente sollen zukünftig unter der Rubrik „Geschlecht“ drei Wahlmöglichkeiten anbieten: weiblich, männlich, andere. Aufgrund des niedrigen Sozialstatus und der finanziellen Misere vieler Transsexueller betonten die Richter außerdem die Pflicht des Staates, Hijras das Recht auf Bildung sowie Zugang zu Arbeitsplätzen in öffentlichen Betrieben und Institutionen zu gewähren.

„Das ist eine reine Absichtserklärung“, winkt Prerna ab. Ihre Augen weiten sich, die Stimme wird lauter. „Ohne eine breite Sensibilisierung wird sich an unserer Misere nichts ändern. Niemand glaubt, dass nach diesem Urteil ein Bankmanager ein Konto für uns eröffnet oder ein Schulleiter mich als Lehrerin einstellt. Was wir brauchen, sind Veränderungen in den Köpfen der Menschen.“

Im Alltag ist Prerna nach wie vor mit zahlreichen Schranken und Einschränkungen konfrontiert. „Ich kann nicht heiraten, denn Ehen zwischen Transsexuellen sind gesetzlich nicht anerkannt. Es ist wahnsinnig schwierig, eine Arbeit oder eine Wohnung zu bekommen. Ich habe mich so oft auf eine Stelle als Lehrerin beworben, stets wurde ich abgelehnt.“

Ihr aktueller Job bei einer Nichtregierungsorganisation ist zeitlich befristet. Wenn eines Tages die Fördergelder ausbleiben, muss Prerna wieder von vorn anfangen. Zuweilen werde sie von Zukunftsängsten heimgesucht, gesteht sie.

Aber plötzlich erhellt sich ihre Miene, sie wirft den Kopf in den Nacken und lächelt in sich hinein: „Ich habe einen Traum: Ich will ins Ausland gehen, in ein Land, wo ich eine Arbeit finden kann. Ich wünsche mir endlich einen festen Partner, mit dem ich ein Kind adoptieren kann. Das ist meine ganze Hoffnung!“

Bloß nicht auffallen!

Vielleicht spürt Prerna, dass ihre Schilderung anrührend ist, denn sie nimmt ihre Chance wahr und bittet um Hilfe. Ob man ihr nicht in Deutschland Arbeit besorgen könne? Ob sie woanders in Europa eine Chance hätte, sich eine neue Existenz aufzubauen, fragt sie beim Abschied. Leider nein.

Die Enttäuschung steht ihr ins Gesicht geschrieben. Ihre Lippen kräuseln sich, als sie sich mit knappen Worten verabschiedet und zusammen mit ihrer Bekannten in die Rikscha steigt. Weitere Kontaktversuche lehnt sie höflich, aber bestimmt ab. Sie habe schon genug gesagt und außerdem keine Publicity nötig, erklärt sie am Telefon.

Einige Wochen später versammeln sich rund 300 Menschen zum „Pune Pride March“, einer Demo für Toleranz und Offenheit gegenüber Schwulen, Lesben, Transgender. Regenbogenfahnen flattern, „Born this Way“ von Madonna erklingt. Viele Teilnehmer tragen Sonnenbrillen, manche verstecken ihr Gesicht hinter einer bunten Maske. Keine Küsschen, keine sexuell provokativen Gesten.

„Wir wollen hier jungen Leuten die Gelegenheit geben, ihr Anderssein zum Ausdruck zu bringen und dabei Stolz zu empfinden“, erklärt Bindumadhav Khire, der die Veranstaltung organisiert hat. Er ließ einen „Verhaltenskodex“ unter den Teilnehmern verteilen, der unter anderem laute Proteste und das Rauchen untersagt. Teilnehmer sollten sich „zurückhaltend“ kleiden und „anständig“ benehmen. Bitte auf keinen Fall tanzen!

Khire findet, die Szene müsse auf die konservative Haltung von weiten Teilen der Gesellschaft Rücksicht nehmen. Auffallen um keinen Preis! Stattdessen gute Laune, Spaß und Freude. Schwulenaktivist Ashok Row Kavi verdreht die Augen, andere Bekannte vom Queer-Festival winken fröhlich. Ob Prerna sich unter die Menge gemischt hat? Sie ist nirgends zu finden.

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