„Transit“ zum Maidan: Geteilt, nicht gespalten

Die europäische Zeitschrift „Transit“ nimmt den Maidan als „unerwartete Revolution“ und als entscheidend für die Zukunft Europas in den Blick.

Die Polizei posiert für ein Foto während der Zusammenstöße mit proeuropäischen Protestierenden. Bild: Reuters

Entscheidet sich die Zukunft Europas in der Ukraine? Der US-amerikanische Historiker Timothy Snyder sieht das Schicksal der Europäischen Union aufs Engste mit den Entwicklungen in der Ukraine verknüpft. Nur ein vereintes Europa könne angemessen auf einen „aggressiven russischen Petrostaat“ reagieren und dem „Eurasien“-Projekt Putins entgegentreten, in dem die Ukraine enger Verbündeter Russlands wäre und kein Teil Europas.

„Die Ukraine hat keine Zukunft ohne Europa, aber Europa hat auch keine Zukunft ohne die Ukraine“, lautet seine These in der Zeitschrift Transit, deren aktuelle Ausgabe unter dem Titel „Maidan: Die unerwartete Revolution“ steht.

Das Wiener Institut für die Wissenschaften vom Menschen, das Transit herausgibt, hat sich seit seiner Gründung im Jahr 1982 um den intellektuellen Austausch zwischen Ost und West bemüht. Snyder gehört zum Redaktionskomitee, Gastherausgeberin der Ausgabe ist die ukrainische Politikwissenschaftlerin Tatiana Zhurzhenko. Ursprünglich hatte man ein Heft zu zehn Jahren Orangene Revolution geplant, schreibt sie im Editorial. Kurz darauf begannen die Proteste des Euromaidan.

Die Erinnerung an den Maidan soll wachgehalten werden

„Transit. Europäische Revue", Heft 45, Sommer 2014, 14 Euro

Mit dem Heft soll die Erinnerung an den Maidan wachgehalten werden. So beschreibt die ukrainische Autorin Kateryna Mishchenko in einem Interview mit Snyder und Zhurzhenko die Rolle der rechtsextremistischen Partei Swoboda auf dem Maidan, die die Proteste am Anfang zu dominieren schien. Bald schon habe sich jedoch gezeigt, dass die Anhänger der Swoboda keine Revolution wollten, sondern lediglich „nationalistische Provokateure“ waren.

Der Politologe Anton Shekhovtsov erkennt im Maidan gar den „Schwanengesang“ der Swoboda und sieht sie als „Verlierer der Revolution“. Besonders ihr Spagat zwischen der nationaldemokratischen Opposition und rechtsextremen Organisationen wie der Neonazi-Bewegung C14 habe sich als zerstörerisch für die Partei erwiesen. Die Wahlergebnisse der Parlamentswahlen vom Sonntag scheinen seine Einschätzung zu bestätigen.

An eine grundlegendere Zäsur, die mit dem Maidan einherging, erinnert die Autorin Oksana Forostyna: Die mehrtägigen Straßenkämpfe im Januar 2014 hätten eine Konfliktsituation hervorgebracht, die in der Nachkriegsgeschichte der Ukraine einmalig gewesen sei: „Morde, Übergriffe, Explosionen und Schüsse im Zentrum von Kiew.“ Die Ukrainer hätten sich plötzlich „Aug in Aug mit dem absoluten, irrationalen und bodenlosen Bösen“ gesehen. Wie Oksana resigniert resümiert, sei „Hass die einzige Ideologie der ukrainischen staatlichen Gewaltorgane“.

Die Frage nach den Folgen des Maidan

Nach den Folgen des Maidan fragt der Politologe Mykola Riabchuk in seinem Beitrag „Hat der Maidan das Land gespalten“? Wobei er festhält, dass die Ukraine „tatsächlich (zwei)geteilt, aber nicht wirklich gespalten“ sei. So korrespondiere höhere Bildung mit einer prowestlichen und prodemokratischen Ausrichtung, auch seien jüngere Wählerschichten dem Westen gegenüber aufgeschlossener als ältere Generationen.

Eine Versöhnung der „beiden Ukrainen“ mit ihren zwei gesellschaftlichen Realitäten, einer sowjetischen und einer nicht sowjetischen, die zwei Jahrzehnte lang im Staat nebenher existiert hätten, sei problematisch. Riabchuk setzt auf „schrittweise Versöhnung“.

Auf Riabchuks Essay reagiert Zhurzhenko mit der Frage „Im Osten nichts Neues?“, um genauer zu untersuchen, was aus der „angeblichen Ost-West-Spaltung“ des Landes geworden ist und ob der „Osten“ sich inzwischen auf den Donbas beschränkt.

Die Denkmale stürzen und die Vergangenheit stehlen

In der aktuellen Situation sieht Zhurzhenko im Osten der Ukraine keine sowjetische Ideologie am Werk, sondern eine „negative Identität“, etwa in den Reaktionen auf gestürzte Lenin-Statuen: „Aus der Perspektive der prorussisch eingestellten Bürger sind es die ’Banderisten‘ und ’Nationalisten‘ aus Kiew, die ’unsere Denkmäler‘ stürzen und ’unsere Vergangenheit‘ stehlen.

Die Lenin-Denkmäler verkörpern eben nicht mehr die Sowjetunion, sondern sie sind ein Ort und ein Symbol prorussischer Mobilisierung geworden – ’leere Zeichen‘, die keinen ideologischen Inhalt transportieren, sondern die lokale Identität als ’anti-Kiew‘ markieren.“ Zhurzhenko will den Osten allerdings nicht verloren geben, der Donbass sei just zu einem Boden geworden, „auf dem die ukrainische Unabhängigkeit, Demokratie und Zukunft verteidigt werden, und deshalb gehört er von nun an zur Ukraine“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.