Transmutation von Atommüll: Der Traum vom Stein der Weisen

Mit Transmutationsverfahren lässt sich auch das Atommüll-Problem lösen, versprechen einige Atomphysiker. Der transmutierte Atommüll strahlt weniger lange.

Großes Problem: abgebrannte Brennelemente. Bild: ap

Transmutation fasziniert die Menschheit seit jeher. Im Märchen "Rumpelstilzchen" bekam die Müllerstochter die Aufgabe, Stroh zu Gold spinnen. Und scheiterte. Und schon vor knapp tausend Jahren mühten sich Alchemisten, zumindest Blei in Gold zu verwandeln. Auch bei dieser Suche nach dem "Stein der Weisen" blieb der Erfolg aus.

Doch es bewegt sich was. Seitdem Kernphysiker vor 70 Jahren begannen, Atome mit Neutronen zu beschießen und so chemische Elemente in andere zu verwandeln, schien das Ziel des ehrgeizigen Müllers erreicht zu sein. Tatsächlich ist es heute möglich, mit einem aufwendigen Verfahren, genannt Transmutation, aus einem bestimmten Isotop von Quecksilber oder auch aus Platin Gold zu gewinnen. Platin ist allerdings teurer als Gold und auch die Wandlung des speziellen Quecksilbers in Gold lohnt sich wegen der hohen Herstellungskosten nicht.

Eine andere Transmutation allerdings könnte in großen Industrieanlagen in den kommenden Jahren auch wirtschaftlich interessant werden. Die Beseitigung von Atommüll ist nicht erst seit der Reaktorkatastrophe von Fukushima und der damit verbundenen öffentlichen Sensibilisierung bezüglich der Sicherheit von Atomkraft weit mehr als Gold wert.

Nur noch einige tausend Jahre Lagerung

Durch Neutronenbeschuss ist es möglich, so der Plan vieler Kernphysiker, Plutonium und andere extrem langlebige und extrem toxische Elemente in weniger gefährliche Stoffe zu zerlegen. Während man bei einer Endlagerung von Plutonium von einer Dauer von etwa einer Million Jahre ausgeht, müssten die aus dem Plutonium entstandenen Stoffe nur einige tausend Jahre gelagert werden, bis sie nicht mehr gefährlich sind.

Die Idee der Umwandlung radioaktiven Abfalls durch Neutronenbeschuss ist nicht ganz neu. Bereits 1992 veröffentlichte Charles D. Bowman vom Los Alamos National Laboratory in seiner Arbeit "Nuclear Instruments and Methods in Physics Research" seine Forschungsergebnisse hierzu. Der italienische Physiknobelpreisträger aus dem Jahr 1984, Carlo Rubbia, der von 1989 bis 1993 Generaldirektor des Europäischen Zentrums für Teilchenphysik in Genf (Cern) war, entwickelte die Idee weiter.

Bei der sogenannten Spallation werden Protonen mit Hilfe eines Teilchenbeschleunigers auf ein massives Ziel geschossen, um dort eine große Anzahl von Neutronen aus den Atomkernen herauszuschlagen. Die umzuwandelnden Nuklide werden um dieses Ziel angeordnet. Die Nuklide im Abfall reagieren mit den Neutronen und bilden Stoffe, die weniger lange zerfallen und strahlen als die Ursprungsstoffe. Wird der Neutronenbeschuss beendet, so die Befürworter dieser Technik, hört sofort die nukleare Reaktion auf.

Myrrha-Projekt soll 900 Millionen Euro kosten

Im belgischen Kernforschungszentrum SCK.CEN in Mol bei Antwerpen wird nun bis 2020 eine Anlage gebaut, die Modell für eine industrielle Anwendung dieses Verfahrens werden soll. Das sogenannte Myrrha-Projekt wird voraussichtlich 900 Millionen Euro kosten. Viele Staaten der Europäischen Union unterstützen das Forschungsvorhaben finanziell. Neben belgischen sind auch deutsche, französische, spanische und italienische Wissenschaftler beteiligt.

Transmutationsanlage am KIT. Bild: K.Litfin

Im Karlsruher Institut für Technologie (KIT) arbeitet Joachim Knebel an dem Projekt. Für ihn sind drei Fragen zu beantworten. Funktioniert die Technik im großen Maßstab, die für die Transmutation von Atommüll in weniger gefährliche Stoffe erforderlich ist? Wie teuer ist das Verfahren? Und: Wird es gewollt?

Die grundsätzliche Machbarkeit der Transmutation von Plutonium und anderen langlebigen radioaktiven Stoffen sei bewiesen, so Knebel. Die Frage der Wirtschaftlichkeit und daraus folgende politische Entscheidungen könne erst Myrrha beantworten. Seine Forschungen möchte Knebel ideologiefrei verstanden wissen. "Wir betreiben in Karlsruhe keine Reaktorentwicklung, sondern Sicherheitsforschung", betont der Physiker.

Am KIT, das früher unter dem Namen Kernforschungszentrum Karlsruhe firmierte und maßgebliche Impulse bei der Entwicklung von Atomkraftwerken, Wiederaufarbeitungsanlagen und der Brütertechnologie lieferte, hat man sich neuen Forschungsfeldern zugewandt, als weder der Schnelle Brüter in Kalkar noch die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf zu Ende gebaut wurden.

Tschernobyl und Fukushima

Spätestens seit Tschernobyl und allerspätestens seit Fukushima sucht man nach einem neuen Profil. Neben der Erforschung von intelligenten Stromnetzen, Systemen mit hoher Energie- und Ressourceneffizienz und Speichertechnologien möchte man weiterhin Kernforschung betreiben. "Solange Länder um uns herum Kernkraftwerke betreiben, brauchen wir nukleare Sicherheits- und Entsorgungsforschung", beteuert Knebel. "Wir sollten mitsprechen können."

Diese Probleme hat Alex C. Mueller, Professor am Centre national de la recherche scientifique (CNRS) nahe Paris nicht. In Frankreich sollen weitere Atomkraftwerke gebaut werden. Mueller, der einige Jahre am weltgrößten Teilchenbeschleuniger Cern bei Genf gearbeitet hat, betreut auch bei Myrrha diese Komponente, die allerdings wesentlich kleiner ausfallen wird als der Beschleuniger bei Genf, der unterirdisch einen Umfang von 26 Kilometer aufweist.

Aus Sicht von Mueller ist die Entscheidung der Bundesregierung zum schrittweisen Ausstieg aus der Atomenergie nicht nachzuvollziehen. "Die ganze Welt kann nicht aussteigen", sagt er. Umso drängender ist für ihn die Frage der Entsorgung des Atommülls. Denn egal, ob Atomkraftwerke weiter laufen oder nicht, der Abfall muss entsorgt werden.

Wiedereinstieg in die Atomkraft

Ein Gegner des Projekts Myrrha ist Dietrich Schulze. Vierzig Jahre arbeitete er im Kernforschungszentrum Karlsruhe, zwanzig Jahre war er dort Betriebsratsvorsitzender. So hat er sich, obwohl selbst Hochenergiephysiker, mit den Plänen der Kollegen kritisch auseinandergesetzt. Für ihn ist die Transmutation von Atommüll nur ein weiterer Versuch, die Option auf den Wiedereinstieg offenzuhalten und die Plutoniumwirtschaft aufrechtzuerhalten.

Tatsächlich ähneln sich die Verfahren zur Wiederaufarbeitung und zur Transmutation von Atommüll. In beiden Fällen muss der Inhalt der Brennstäbe mit Salpetersäure aufgelöst werden und die Inhaltsstoffe müssen mit Zentrifugen voneinander getrennt werden. Auch sieht Schulze einen Zusammenhang zwischen der Forschung zur Transmutation, zur Brütertechnologie und zur Wiederaufarbeitung.

Das Institut für Transurane (ITU), das auf dem Gelände des Karlsruher Instituts für Technologie steht und unter anderem zur Sicherheit von Kernbrennstoffen forscht, besitzt die Genehmigung, 180 Kilogramm Plutonium und 50 Kilogramm Uran-235 zu lagern.

Das ITU möchte nun einen Institutsanbau errichten, stößt hierbei aber auf örtlichen Widerstand. Auch die neue grün-rote Landesregierung in Stuttgart scheint nicht erfreut darüber zu sein, dass ein von 1,80 Meter dicken Stahlwänden abgeschirmtes Atomlabor im Ländle errichtet werden soll. Die energiepolitische Debatte kommt also in den nächsten Jahren um das Thema Transmutation nicht herum.

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