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Treffen der alternativen LandwirtschaftLändlich und links

Nicht das Problem, sondern die Lösung: Beim „Treffen bäuerlicher & ländlicher Kämpfe“ wird ausgelotet, wie Sachsen vorangehen kann.

Dass ein Schaf auch so schön geschoren ist… Foto: Jonas Wahmkow

Sehlis taz | Obwohl die Schafe noch nicht da sind, ist der Schafschur-Workshop gut besucht. Teil­neh­me­r:in­nen des Camps drängen sich in dem alten Armeezelt, selbst vor dem Eingang hat sich eine Menschentraube gebildet. Oliver Junker Matthes, Spitzname Ohm, steht vor der Schuranlage, die etwas an einen Galgen erinnert, und referiert schon mal über die Ökonomie der Schafschur.

… muss sich der Schafscherer Oliver Junker Matthes erst mal voll reinhängen Foto: Jonas Wahmkow

„Wolle ist ein Abfallprodukt“, der Bedarf sei so gering, dass man häufig sogar für die Entsorgung bezahlen müsse, erklärt der Schafscherer. Daher würden viele Landwirte bei der Schur sparen – oft zulasten des Tierwohls. „Zahlt den Schafscherern so viel, dass sie pfleglich mit den Tieren umgehen“, schlägt Matthes vor.

Auf dem ersten „Treffen bäuerlicher und ländlicher Kämpfe“, kurz Bäläkä, im nordsächsischen Sehlis treffen sich in der ersten Septemberwoche Hunderte Bäuer:innen, Landwirt:innen, Land­ar­bei­te­r:in­nen und Aktivist:innen. Was sie eint, ist die Überzeugung, dass gerade in ländlichen Räumen die Lösung für Probleme wie Rechtsruck, Klimakrise und Kapitalismus liegt.

Der Schafschur-Workshop ist eines der praktischeren Angebote. Im Zirkuszelt nebenan tauschen sich gerade Ak­ti­vis­t:in­nen aus Deutschland, Österreich und Mexiko über das Queer-sein auf dem Lande aus, in einem anderen Armeezelt erarbeiten Teil­neh­me­r:in­nen Strategien, um sich in Diskussionen mit Rechten auf dem Dorf zu behaupten.

Abgrenzung von der Agrarindustrie

„Wir wollen den Leuten, die Strukturen in ländlichen Räumen aufbauen, das Gefühl geben, dass sie nicht alleine sind“, erklärt Bente Schreiber, Pressesprecherin und Mitorganisatorin, die Grundidee des Camps. Schreiber, 24 Jahre alt, ist ausgebildete Landwirtin und arbeitet derzeit in einem Milchviehbetrieb in Nordhessen.

Landwirtschaft ist Sorgearbeit

Bente Schreiber, Mitorganisatorin des Camps

Die Idee zu dem Camp kam ihr mit ein paar Ge­nos­s:in­nen bei einem internationalen Treffen zu bäuerlichen und ländlichen Kämpfen im französischen Bure vor zwei Jahren. „Die bäuerliche Szene ist nicht so groß in Deutschland, trotzdem kennen wir uns nicht alle“, erklärt Schreiber. „Bäuerlich“ ist dabei eine Selbstbezeichnung, die viele Bäläkä-Teilnehmer:innen nutzen, auch um sich von der Agrarindustrie abzugrenzen.

„Uns vereint ein bestimmtes Beziehungsverhältnis mit der Welt, vielleicht auch ein gewisser Pragmatismus“, erklärt Bente Schreiber. Diese Beziehung sei geprägt von Verantwortung und Fürsorge für die Landschaften und Lebewesen, mit denen Bäue­r:in­nen wirtschaften, aber auch für die Menschen, für die sie Essen produzieren. „Landwirtschaft ist Sorgearbeit“, sagt Schreiber.

Gekommen ist vor allem die jüngere Generation. Landwirte und Gemüse- und Obstgärtner in Ausbildung, Studierende der nachhaltigen Hochschulen in Eberswalde in Brandenburg und Witzenhausen in Hessen, Bäuer:innen, die überlegen, den Hof ihrer Eltern zu übernehmen. Aber auch einige Städter:innen, die sich akademisch oder aktivistisch mit dem ländlichen Strukturaufbau beschäftigen, sind Gast auf dem Camp.

Viele der Teil­neh­me­r:in­nen sind bereits organisiert in alternativen Agrarverbänden wie der Arbeitsgemeinschaft Bäuerlicher Landwirtschaft (ABL) und dessen Jugendverband (Abl), die ein Gegengewicht zum eher konservativen und agrarindustriellen Deutschen Bauernverband bilden wollen. Aber auch noch weniger etablierte Verbände sind vertreten, wie das Emanzipatorische Landwirtschaftsnetzwerk Elan, einer Vereinigung von Frauen, Lesben, Inter-, Nichtbinären, Trans- und Agender Personen in der Landwirtschaft.

Wachsende Szene alternativer Hofprojekte

Der Zuspruch ist groß, zeitweise sind über vierhundert Teil­neh­me­r:in­nen im Camp. Gar keine Selbstverständlichkeit, in einer Branche, in der man nicht einfach mal eine Woche im Spätsommer weg sein kann. „Die Leute planen sich das schon seit einem Jahr als Urlaub ein“, sagt Schreiber.

Die Ortswahl im sächsischen Sehlis ist kein Zufall. In dem 160-Einwohner:innen-Dorf gibt es schon drei alternative Hofprojekte. Damit gehört der Ort zu einer wachsender Szene alternativer Hofprojekte im Leipziger Umland. Das Camp selbst findet auf einer als Schafsweide genutzten alten Streuobstwiese statt, die einem befreundeten Landwirt gehört.

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Simone Zeiger sitzt gerade auf einer Bierbank unter einem alten, als Wetterschutz aufgespannten Segel und isst Mittag. Eigentlich müssten die Kartoffeln morgen geerntet werden, ob man das als Workshop anbieten könne? Die 43-Jährige ist Gemüsegärtnerin im „Solawi“-Betrieb „Rote Beete“ in Sehlis, nur wenige Kilometer vom Camp entfernt, zusammen mit einer Kollegin besucht sie das Camp, wann immer es die Verpflichtungen auf dem Hof erlauben.

Solawi ist die Kurzform für Solidarische Landwirtschaft und bezeichnet ein in den letzten Jahren zunehmend beliebter werdendes Konzept, Produktion und Verteilung von Agrarerzeugnissen neu zu organisieren. Rund neun Hektar Land bewirtschaftet die Rote Beete, insgesamt 9 Menschen bauen dort Obst und Gemüse an.

Man spürt, man ist Teil einer riesigen Bewegung. Das ist beeindruckend.

Simone Zeiger, solidarische Gemüsegärtnerin

Mit den Erträgen werden die 240 Mitglieder der Genossenschaft mit Gemüsekisten versorgt: Saisonal, direktvermarktet, ökologisch. Insgesamt ernährt die Rote Beete 600 bis 700 Menschen, schätzt Zeiger.

Durch das Genossenschaftsmodell ist das wirtschaftliche Überleben des Betriebs unabhängig vom Ernteertrag, auch verpflichten sich die Ge­nos­s:in­nen, regelmäßig bei der Ernte zu helfen. Das Konzept ist ein Erfolg, in Sehlis gibt es drei Solawi-Betriebe, um Leipzig herum sind es neun.

Das Solawi-System ist nicht nur ein Versuch, eine Alternative zur Agrarindustrie zu schaffen, sondern auch ländliche Räume zu beleben. Neben dem Gemüseanbau organisiert die Kooperative auch Gemeinschaftsevents. „Wir wollen lebendige Orte schaffen“, sagt Zeiger und deutet auf das frisch abgedroschene Maisfeld, das an das Camp grenzt.

Maisstoppeln ziehen sich auf dem braunen Acker Hunderte Meter in jede Richtung, eine monotone, ausgeräumte Agrarlandschaft, wie sie oft im Osten zu finden ist. „Ich denke, unsere Solawi ist ein guter Kontrast dazu.“ Denn abseits der Solawis dominieren auch in Sehlis landwirtschaftliche Großbetriebe, die immer größere Flächen bewirtschaften.

Teil einer Bewegung

Im Ort selbst werden die linksalternativen Ökobetriebe gut angenommen. „Es gibt auch ein paar, die uns nicht mögen, aber die Leute schätzen uns sehr“, sagt die Gemüsegärtnerin. Dafür, dass die benachbarte Kleinstadt Taucha eine AfD-Hochburg ist, gibt es kaum Anfeindungen. „Wir laufen noch ein bisschen unter dem Ökosiegel und werden nicht als linkes Projekt wahrgenommen“, mutmaßt Zeiger. Dabei sei das, was sie jeden Tag tun, „hochpolitisch“.

Doch im landwirtschaftlichen Alltag komme das Bedürfnis nach politischer Bildung oft etwas zu kurz, sagt Zeiger. Die Lücke füllt für sie das Camp. Hier berichten Ak­ti­vis­t:in­nen über zapatistische Landwirtschaft in Mexiko oder den Widerstand gegen Großprojekte in Frankreich. „Man spürt, man ist Teil einer riesigen Bewegung. Das ist beeindruckend.“

Obwohl Entwicklungen wie der Solawi-Boom Hoffnung macht, steht auch eine linksalternative Landwirtschaft vor vielen im Camp thematisierten Herausforderungen. Eine davon ist der Zugang zu Land. Getrieben durch Spekulation und Fi­nanz­in­ves­to­r:in­nen steigen die Pacht- und Kaufpreise für Ackerland stetig.

Vielen droht Altersarmut

Auch Pressesprecherin Bente Schreiber würde gerne einmal ihren eigenen Betrieb gründen. Für eine tiergerechte Haltung benötige eine Kuh einen Hektar Land, rechnet Schreiber vor. „Dafür genug Land zu finden und dann auch noch die Finanzierung zu stemmen, erscheint mir gerade nicht realistisch.“ Schließlich hätten sich die Pachtpreise in den letzten Jahren verdoppelt bis verdreifacht, durchschnittlich koste ein Hektar Ackerland knapp 32.000 Euro.

Hannah Meyer, 26, steht vor einem anderen Problem: Sie könnte einen Mutterkuh-Familienbetrieb im Rhein-Main-Gebiet übernehmen, doch sie zögert angesichts der hohen Investitionskosten. Drei Millionen Euro für einen neuen Kuhstall, damit sei schon zu rechnen.

„Diese Kredite zahlt man nicht in drei Jahren zurück, eher in vierzig. Und dann musst du einen neuen Stall bauen.“ Dazu müsste auch noch die Übernahmesumme so hoch sein, dass sie das Auskommen der Vor­be­sit­ze­r:in­nen sichert. Die Rente für viele Land­wir­t:in­nen beträgt selten mehr als 400 Euro im Monat.

Meyer möchte die Verantwortung gerne teilen und den Betrieb kollektiv betreiben, aber es sei gar nicht so einfach, Menschen zu finden, die sich jahrelang in infrastrukturschwachen Gebieten ohne viel kulturelles Angebot binden wollen. „Bei uns gibt es aktuell noch sieben landwirtschaftliche Betriebe. Das Durchschnittsalter der Eigentümer ist 60, aber nur zwei haben Nachfolger:innen“, berichtet Meyer. Im schlimmsten Fall werden die Höfe aufgegeben oder an landhungrige Agrarkonzerne verkauft. Teil einer Bewegung

Auch hier soll das Bäläkä-Camp Abhilfe schaffen. „Mensch sucht Hof / Hof sucht Mensch“ heißt ein von Meyer mitorganisierter Workshop. Die Idee: Menschen zusammenbringen, damit sie gemeinsam die Last einer Hofübernahme bewältigen können. „Bei uns gibt es so viel Raum. Entweder wir überlassen ihn den Rechten oder wir wuppen das als Linke“, sagt Meyer.

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