Trödelhändler in Spandau: Vom Wert des Gerümpels

Trödelmanne in Berlin-Spandau ist seit bald 20 Jahren im Geschäft. Was er von Kunden, Kollegen, der Jugend und der Welt hält, erzählt er laut lachend.

Für den Händler ist das Müll: Bücher auf dem Flohmarkt. Bild: pylonautin/photocase.com

BERLIN taz | Wie die freigelegten Bodenschichten bei der archäologischen Ausgrabung bringen Gebrauchtwarengeschäfte und Trödelmärkte die alltäglichen Besitztümer, Gegenstände und Lebensgewohnheiten vergangener Generationen wieder ans Licht.

Alles liegt ausgebreitet da, Neues und Altes, ein Durcheinander aus Wertgeschätztem und Kitsch, Gerümpel und Brauchbarem. Dieses Sammelsurium mit deutlichen Gebrauchsspuren übte schon immer eine magische Anziehungskraft aus. Auf Flaneure mit dem Hang zu Erinnerungs- und Zeitreisen ebenso wie auf Sammler im ewigen Jagdfieber nach dem noch fehlenden Stück. Und natürlich auf Leute mit wenig Geld, die hier das Nötigste billig erwerben können.

Anzahl und Größe der Flohmärkte sagt auch etwas aus, über die ökonomischen und sozialen Verhältnisse im Land. In Deutschland gibt es derzeit weit mehr als 40.000 Flohmärkte, und es werden immer mehr. Offiziell sichern sich zwei Millionen Bürger damit ihre Existenz.

In den Zeiten der Krise bilden sich stets die seltsamsten Märkte. Sie sind Umschlagplatz für den Bedarf. So wie Saint Quen in Paris – der älteste und immer noch größte Flohmarkt der Welt – einstmals Ende des 19. Jahrhunderts begann, nämlich als Verkaufs- und Sammelplatz für Lumpen und die abgelegte Kleidung des Adels, für Gerümpel und Altwaren, scheinen die europäischen Flohmärkte nun wieder zu enden.

Massiv gebaut, aber kalt

Der Trödelladen des Flohmarkthändlers Manne Broß liegt in Spandau, auf einem geradezu idyllischen und verwinkelten Gelände, das von Gewerben verschiedener Art besiedelt ist.

In einem alten Backsteingebäude hat er einen Raum, der als Laden dient und wohlgeordnet das übliche kleine Sammelsurium enthält. Daneben befinden sich Vorraum und ein großer, weißgetünchter Lagerraum, angefüllt mit Möbeln, Betten, Matratzen usf. Er erklärt: „Das ist hier alles Senat. Alles in öffentlicher Hand, das ganze Gelände. Früher, um 1900, waren das mal Kasernen, später auch Polizeikasernen, glaube ich, vor dem Krieg. Massiv gebaut sind die. So drei bis fünf Euro verlangen sie für den Quadratmeter. Ist nicht beheizt, und im Winter stehe ich hier eingemummel wie ein Eisbär, aber alles ist trocken.“

Manne berlinert, lacht gern und laut, ist braun gebrannt, wirkt gesund und munter, und, was überrascht, er hat auffallend schöne und gepflegte Hände und Füße: „Ja, die denken immer: Verdächtig, verdächtig, der arbeitet ja gar nicht, der tut nur so! Nee, ick hebe hier herum und schleppe Zeug ohne Ende. Hab auch schon Zipperlein. Da macht der Arm mal Probleme und das Knie tut weh. Da musste durch – so lange die Knochen noch mitmachen, können sie ruhig mal ein bisschen wehtun.“

In der Einflugschneise

Ein Passagierflugzeug überfliegt dröhnend das Dach. Dieses Gelände liegt sozusagen direkt in der Einflugschneise des Flughafens Tegel, der sich jenseits des Spandauer Sees erstreckt. „Ick höre det gar nicht mehr. Damit ist Schluss, wenn der neue Flughafen mal fertig ist – irgendwann.“ Zwischenruf zu einem Matratzen schleppenden Kunden, einem älteren und nicht gerade kraftstrotzenden Mann: „Nu mach mal hinne, sonst überleg ich mir das noch mal …“ – und wieder zu mir: „Na was denn?! Allet billig, billig, und dann wollen sie auch noch, dass ich mit anpacke. Nix da!“

Begleitet werden die Worte von einem lauten, gutmütigen Lachen, das die Grobheit für den polnischen Kunden ein wenig mildert. „Ich bin jetzt grade Jubilar geworden. Zehn Jahre An- und Verkauf, einmal die Woche Flohmarkt und ab und zu ’ne Wohnungsauflösung – Keller leer, Dachboden leer, Garten leer. Mach ich alles. Dabei hilft mir dann schon auch mal ein Freund mit, oder mein Sohn – aber der hat ja seinen eigenen Trödelladen, hier in der Nähe. Manchmal helfen auch die Leute, die das Zeug von Opa und Oma loswerden wollen. Wenn sie nix zahlen können, müssen sie mitarbeiten. Anders geht es nicht. Das meiste kommt gleich auf den Müll! Von dem bisschen, was brauchbar ist, kann ich grade mal so leben. Und was ich davon dann von hier zum Flohmarkt mitnehme, das muss ich auch genau wissen, muss eine Auswahl treffen.“ Mannes Handy klingelt, und er geht laut telefonierend auf und ab.

Ein Freund von ihm, ebenfalls Händler, kommt angeschlendert, öffnet eine Flasche Bier und kümmert sich nach kurzem Gruß erst mal nur um seinen Alkoholspiegel. Beide haben oft benachbarte Standplätze auf dem Flohmarkt. Ich habe sie einige Male in Aktion gesehen und Mannes berüchtigte Lachsalven gehört. Sie fegen mit schätzungsweise 60 bis 100 Dezibel über den Markt und sind von Weitem zu hören. Jeder findet ihn blind. Zudem wird das Publikum magisch angezogen von den eingespielten Streitereien und Pöbeleien zwischen den beiden ungleichen Männern.

Der eine breit und dynamisch, der andere schmal und von eher ruhiger Natur, bleiben sie einander nichts schuldig. Jeder verhöhnt gnadenlos die Waren und Preise des anderen, hebt die Qualitäten der eigenen hervor. Während Manne eher hochwertigere Ware anbietet und nur auf Nachfrage des Kunden polternd verhandelt, bietet der Freund sein Sammelsurium mit dem unentwegten Ausrufen eines Festpreises an: „Jedes Teil ein Euro!“

50% schlechte Menschen

Ein Flugzeug dröhnt, Manne schiebt ein mit einer DDR-Fahne bedecktes Krankenhausbett aus seinem Lager ins Freie und rollt es zwischen die anderen Möbel, Kartons, Regale und schmutzigen Kühlschränke, die er auf dem Vorplatz aufgestellt hat.

„Ich muss mich drinnen bewegen können! Aber abends ist der ganze Platz wieder leer. Wenn ich anfange hier Müll zu lagern, dann haut mich der Vermieter raus! Außerdem kommen die Leute und schmeißen noch mehr hin. Wenn ich manchmal montags komme, liegt da ’ne Couch, da steht ein Schrank. Und warum? Weil das Schweine sind! 50 Prozent der Menschheit ist schlecht, mindestens.“

Meine Freundin Elisabeth stöbert in einem Karton und ruft: „Seniorenartikel, unbenutzt, die unverzichtbaren Inkontinenzvorlagen, in rauen Mengen!“ Manne lacht und sagt: „Rechtzeitig kaufen. Tipp von mir. Wenn man sie braucht, ist es zu spät, dann sind sie zu teuer. Nee, mein Ernst! Bald sind wir alle so weit!“

Sie untersucht die Regale: „Hier geht es weiter. Die klassischen karierten warmen Oma-Pantoffeln, neu. Geräumige grüne Unterhosen mit weichem Gummi, flauschige Unterhemden, und es gibt Unmengen von Feinstrumpfhosen, originalverpackt. Oder hier, Kinderspielzeug, Plastikflossen, alles da!“

Manne lächelt und sagt: „Ich hab auch ein Fotoalbum aus den 50er Jahren, da haben die Leute nur ihre Katze fotografiert, überall in der Wohnung, in allen Positionen. Ich hab alles da. Ich habe kein Prinzip. Aber ich habe auch richtig gute Sachen. Das Problem ist nur, die sind schwer zu verkaufen. Ganz hinten, an den Möbeln vorbei, da ist eingekeilt eine echte Antiquität. Kannste anschauen. Ein Sekretär. Er ist zu teuer – ich mache ja keine Anzeigen und nichts. So was steht dann manchmal ein bis zwei Jahre, und ich muss auch noch aufpassen, dass nichts kaputtgeht.

Dann nimmt er, den Freund ignorierend, seinen Gesprächsfaden wieder auf: „Wir waren beim Thema Flohmarkt, stimmt’s? Das Gedächtnis jedenfalls ist noch gut!“ Er lacht dröhnend. „Ich gehe immer nach Zehlendorf, Goerzallee. Da sind ja zwei nebeneinander … Einmal der auf dem Paradeplatz, vor den Gebäuden, wo vor dem Krieg Telefunken drin war, was dann Ami-Kaserne wurde und wo sie jetzt die Luxuswohnungen reinbauen – ich hab gesehen, da hat auch diese Pleitebank ihre Finger drin, wie heißt die? Genau, Hypo Real Estate – wo wir Steuerzahler Milliarden abdrücken müssen, und die bauen da lustig auf unsere Kosten Luxusimmobilien. Steht sogar auf dem Schild am Zaun. Ich sehe alles!

Keine Bücher in Spandau

Jedenfalls, dort auf den Paradeplatz gehe ich nicht, ist mir zu teurer der Standplatz“, ein Flugzeug ist über uns, „und fast nur Klamotten und dann die Ausländer, mit ihren Imbissständen, die gehen mir auch auf den Keks. Nee, ich verkaufe auf dem anderen, vor dem OBI-Baumarkt, meine Sachen. Da haben wir zwar inzwischen auch fünf arabische Imbisse, einen arabischen Gemüsestand, einen polnischen, ein Türke presst Saft aus Granatäpfeln, was weiß ich … Das hat es vor drei, vier Jahren noch nicht gegeben! Aber der Platz ist mir trotzdem lieber, da gibt’s kein Drängeln, es kommt gemischtes Publikum. Ich fahre ohne Stress hin über die Stadtautobahn. 20 Minuten. Sonntag früh um vier ist kein Mensch auf der Straße.

Also, ich kenne den Flohmarkt, man könnte eine Serie drehen, „Flohmarkt live“. Da wimmelt es von Spinnern und allen möglichen Gurken. Es ist ja Schwarzarbeit, sind ja Schwarzhändler, fast alle. Die machen das hauptberuflich, auch die ganzen Hartz-IV-Spinner. Die sind abgesichert, verkaufen noch dazu und leben besser als ICKE! Ich zahle brav meine Steuern und Abgaben. Und die Leute, die auch immer mehr Flohmarkt machen, die Mütter und Rentner, die haben ja überhaupt keine Ahnung, legen ihr Zeug hin und warten. Das ist so was von irre. Ein Händler sieht den Flohmarkt anders als ein Kunde. Es gibt ja ganz verschiedene Flohmärkte. Der vor dem Rathaus Schöneberg, das ist alternative Szene, die bilden sich was ein auf ihre Bücher und angeblichen Antiquitäten, halten sich für oberschlau, sind aber Gurken. Oder der Flohmarkt in Spandau. Da ist nur noch Armut. Armut pur! Armut ohne Ende. Da liest keiner Bücher! Da gibt’s keine Literatur. In Spandau wird nicht gelesen. Die kaufen nur det, was sie brauchen: Elektrogeräte, Mixer, Werkzeug, DVDs, Kinderklamotten. Alles um ein, zwei Euro. Und dann kieken sie noch, fragen, geht’s nicht für 50 Cent?! Das ist doch widerlich! Was mehr kostet, bleibt stehen. Die Händler haben viel Arbeit, aber kein Geld in der Tasche.“ Ein Flugzeug dröhnt. „Was die dort anbieten, das sind keine Waren mehr, das ist Müll!“

Er zeigt auf den besinnlich trinkenden Freund: „Der muss ja neuerdings unbedingt in Spandau stehen!“ Der Freund lächelt melancholisch. „Um viere steht er auf, um fünfe ist er auf dem Markt, packt aus und steht seine elf Stunden da rum. Der Meter Standfläche kostet ihn so um die drei bis fünf Euro, die sind schon mal weg!“ Der Freund wendet ein: „Es gibt Sonderkonditionen.“ Manne lacht. „Egal! Du hast die Ware ja schon x-mal rumgeschleppt, gelagert, herumgefahren. Das weiß bloß keiner, was du da an Arbeit rinsteckst, wenn er’s für einen Euro kauft. Und du hast Benzinkosten und, und, und.“ Der Freund sagt: „Wenn ich das alles auch noch zusammenrechne, dann darf ich keinen Flohmarkt machen.“ Manne sagt donnernd: „ Doch, aber nicht in Spandau und nicht mit dem Müll, den du so hast!“ Der Freund bleibt gelassen.

Ein älterer Mann kommt zu Fuß, ein Kunde. Manne verschwindet mit ihm im Laden und kommt nach einer Weile zurück, offenbar unverrichteter Dinge. „ Ein Sammler. Der wollte was für sein Auto, so ’ne olle Blumenvase, die mal alle im Käfer hatten, oder so ’nen Wackeldackel für hinten drin, der mit dem Kopf wackelt. Hatte ich mal, aber momentan ist nichts da. Die Geschäfte gehen blendend! Nee, mal im Ernst. Es ist keine Goldgrube, man muss schon Spaß dran haben. Kiek dir doch mal die Händler an, die mit den richtig guten Sachen. Die haben manchmal Waren dabei für 10.000 Euro und sitzen eingebildet an ihrem Stand. Den ganzen Tag, sind völlig verbiestert. Lassen nichts vom Preis runter, wenn einer kommt und seine Vase für 80 Euro haben will, weil, die kostet 100! Die sind nur verhärmt bis zum Feierabend und wickeln ihre Vase wieder ins Zeitungspapier. Die können doch gleich zu Hause bleiben.

Aber noch mal zu dem ganzen Müll, der verkauft wird. Die abgelatschten Schuhe, rostigen Baumaschinen und Werkzeuge, die du auch in der Goertzallee findest, die gehen fast alle in den Ostblock! Der ganze Ostblock braucht Baumaschinen, Sägen, allet! Kaum Deutsche, die dort so was kaufen, ein paar vielleicht, die schwarzarbeiten. Aber den abgelegten Strampler, die gebrauchten Kinderklamotten, das kaufen die Armen. Deutsche Arme. Asis, sag ich mal. Die haben nix und zahlen nix. Die beziehen Hartz IV und können sich mehr nicht leisten. Für den Preis von einer Markenjeans kriegen die eine Ausstattung für ’ne ganze Familie mit fünf Kindern, und dazu noch zwei Spielfilme auf DVD für Vatern. Der Rest von dem Zeug geht auch nach dem Ostblock, genauso der Ikea-Dreck. Der vermarktet sich gut.“

Eimer, Bürste, Schwamm

Manne brüllt plötzlich: „Pau-LI-NE!!“ Ein kleiner Hund kommt angesprungen und legt sich schuldbewusst neben den Eingang des Ladens. „Sie ist schon wieder ausgebüchst, aber hier fahren die Autos lang. Ah, da kommt ja meine Hilfe!“ Ein hagerer Mann nähert sich mit einem Eimer, Bürste und Schwamm, rückt sich die verdreckten Kühlschränke zurecht und beginnt damit, sie energisch zu säubern, während ein Flugzeug über uns hinwegfliegt. Manne erklärt: „Er arbeitet manchmal für mich, aber nur, wenn er Lust hat – oder einigermaßen nüchtern ist, wie jetzt. Wir sind ein sozialer Betrieb. Da wird Ausbeutung groß geschrieben!“

Er lacht schallend und wendet sich wieder unserem Gespräch zu: „Zum Thema Ostblock noch, die kommen gezielt hierher zu mir, viele, von ganz weit weg zum Teil.“ Der Freund fügt hinzu: „Gebrauchte Möbel gehen fast nur noch nach Russland, Polen, Weißrussland, Lettland, Serbien, Kroatien und weiß Gott wohin noch. Die kommen mit Lastwagen und verkaufen es dort.“

Manne bestätigt und sagt: „Zwei Jahre hat das gedauert, dann war sie rum, die Mundpropaganda. Die Händler, die von ganz weit kommen, kommen vielleicht einmal im Monat. Russen, Serben, Kroaten, Weißrussen, Litauer, alles so was. Nur der Pole hat noch Kohle!“ Manne lässt eine Lachsalve los. „Der Deutsche kauft nicht, oder selten. Der geht ins Möbelhaus oder zu Ikea, nimmt einen Kredit auf über fünf Jahre, und wenn er den abbezahlt hat, ist der Schrott auch wieder hinüber, und er fängt von vorne an. Das ist der Deutsche!“

Mannes Telefon unterbricht unser Gespräch. Ich wende mich dem polnischen Händler zu, der seine Ladung verstaut hat, und frage, wie die Geschäfte so gehen. In gebrochenem Deutsch erzählt er freundlich: „Kaufe nur Möbel. Schlafcouch, Möbeltische, Matratzen.“ Er spricht es phonetisch aus, „Matäratzen“. „Und dann zweite Hand verkaufen in Stettin. Meine Frau und ich habe Lagerhalle in Polen, 400 Meter. Habe schon viel Matratzen gekauft. Auch Johannesstift, NEUE, GANZ NEUE Matratzen, diese alles aus dem Magazin. Für 80 Euro, 90 Euro Stück, ich verkaufen für 120 Euro.“ Er lächelt zufrieden, steigt ein und winkt Manne beim Wegfahren zu.

Alles zum Kotzen

Ich setze mich auf einen der alten Barhocker und schaue dem Helfer zu. (Flugzeug) Er hat bereits einen Kühlschrank fertig, und der sieht aus wie neu. Manne legt sein Telefon aufs Tischchen und sagt: „Der Pole macht das bessere Geschäft wie ich. Er kriegt die gebrauchten Matratzen von mir für 20 Euro das Stück und verkauft fürs Dreifache.“

Auf meine Frage nach den Johannesstift-Matratzen sagt er: „Das ist auch so ein Betrug. Evangelische Kirche ist das, Johannesstift, gleich hier hinten in Spandau. ’Unterm Dach der Menschlich-keit‘ “, (lacht dröhnend) „die Leute, die da arbeiten, die kriegen einsfufzig die Stunde, so ähnlich. Ist ja Kirche, allet gemeinnützig, zahlen keine Steuern. Logisch! Sie haben Kontakte zu Karstadt, da kriegen sie die überlagerten Matratzen geschenkt, als Spende gegen eine Quittung. Neu. Und die verkaufen sie dann weiter, gemeinnützig!“( lacht) „Und ich, ich bleibe auf meinen Matratzen sitzen! Das ist alles zum Kotzen. Und so gibt’s viele Sachen, die stinken zum Himmel! Die Riesenfirmen z. B. zahlen auch nix an Steuern. Siemens nicht, alle nichts. Und warum soll denn immer noch der Sprit für Flugzeuge subventioniert werden?! Wieso muss ich für 30 Euro nach London fliegen?! Ist doch unnormal, ist doch krank! Billig, billig, immer noch billiger, immer sparen, aber kein Geld für nüscht!“

Er schaut, ob der Hund noch da ist, und sagt: „Liegt da und schläft. So gut möchte ich es auch haben. Zu den Wohnungsräumungen wollte ich noch sagen, aus den Wohnungen kommt nur noch Gerümpel. Und warum? Weil das Gute der Sohn, der Enkel mitnimmt, oder der Hausmeister, die Sozialarbeiterin. Klar!“ Er lacht lauthals. „Das sind die Ersten, die in der Wohnung sind, spätestens, nachdem die Leiche abgeholt worden ist. Wir kommen als Letztes, da waren Fünfe mindestens schon drin zugange. Gut, das war schon immer so, aber jetzt kommt es: Die Fünfe verkaufen alles im Internet. Da kommt nichts mehr in den Kreislauf.“ Ein Flugzeug dröhnt.

Militärfotos sind immer gut

„Ebay ist der Tod des Trödlers! Und Ebay ist auch der Tod des Flohmarkts. Es läuft nix mehr auf! Was heute auf den Flohmarkt kommt, ist nur noch der letzte Dreck. Ist so! Wir Händler sind ja früher morgens um fünf zwei Stunden übern Flohmarkt gegangen und haben aufgekauft, was zum Verkaufen gut war. Das brauchst du heute nicht mehr machen.

Wenn du eine Wohnung hast, wo die Leute 30, 40, 50 Jahre drin gelebt haben, dann hast du den ganzen 60er-, 70er-Jahre-Kram drinne, und das meiste davon fliegt weg. Auch wenn vieles noch gut ist, in meinen Augen. Aber es hilft ja nix. Da muss man hart sein und jede Menge wegschmeißen. Ja, die Fotos auch, das nimmt keiner. Nur wenn da der Vati in SA-Uniform oder so drinne ist – Militärfotos sind immer gut – aber das nehmen ja schon die Erben raus zum Verkauf. Da wird alles durchgekämmt.

Und dann komme eben erst ich. Wo ich weiß, dass ich es nicht verkaufen kann, werfe ich es gleich in die Tonne. 90 Prozent von allem! 90 Prozent der Schallplatten und 90 Prozent der Bücher, das schmeiß ich weg. Ansonsten müsste ich mir mehr Lagerraum mieten. Ich mache ja nix mit Anzeigen oder Internet! Das ist auch ein Riesenproblem, das Müllproblem. Die Stadtreinigung lässt dich ja nur beschränkt ruff, du kannst zweimal am Tag zur BSR fahren. Alles drüber musst du zahlen.

Die Bücherkartons, die da vorn stehen, die kommen grade aus einer Räumung – schmeiß ich alle weg! Vier Meter Bücherregal habe ich leer gemacht. Auch das Regal hab ich abgerissen und weggeschmissen! Für dich waren da vielleicht gute Bücher bei, für mich, als Händler, isses Müll. Das ärgert mich oft. Da sind ja interessante Bücher drunter, ältere Bücher, Literatur, für die sich kein Mensch mehr interessiert. Geh doch mal zu den Jungen in die Wohnung, da findest du nicht ein Buch, nicht mal ein Telefonbuch.“ Er lacht.

„Die verblöden doch alle. Es gibt ja nur noch die Computerscheiße, diese elektronischen Lesebücher neuerdings. Schwachsinn ist das! Die Leute“, ein Flugzeug ist über uns, „haben das in der Hand, machen mit dem Finger rum und sagen: Ich lese ein Buch. Und was, wenn der Strom ausfällt?! Ein Buch ist ein Buch. Ich hab was in der Hand zum Umblättern, und kieke nich auf so ’ne blöde Bildschirmfläche.

Neue Möbel sind Schrott

Das ist dann schon der neue Müll. Um den alten Müll, um das ganze Gerümpel, kümmern wir uns heute. Und darum müssen wir uns fast auch noch schlagen, mit den ganzen Ausländern, die Wohnungsauflösungen machen und alles aus dem Kleiderschrank, Regal und Küchenschrank einfach in Kartons kippen. Die stellen sie, so wie sie sind, einfach am Flohmarkt auf den Boden, und die Leute wühlen sich stundenlang durch, auf der Suche nach dem großen Schnäppchen. Dann kaufen sie eine fettige Bratpfanne, ’ne Tütensuppe und die angebrochene Salbe fürs Bein. Oder geh mal auf ’ne Versteigerung. Am Funkturm war ich wegen Möbeln, da ist alles fest in Ausländerhand. Die kommen mit 20 Männeken und übersteigern dich. Du hast keine Chance. Nicht mal ein Sitzplatz ist frei. Da sitzen die schon alle! Großfamilien. Die gehören alle zusammen, einer macht was, und zehn hängen mit drin und mit dran. Ick mache meinen Kram aleene! Fast alles.“

Ein Mittelklassewagen fährt vor, es steigen aus ein Herr mittleren Alters und eine alte Dame, offenbar seine Mutter. Er will einen Kühlschrank kaufen. „Moien, moien“, grüßt Manne und deutet auf den bereits sauberen und die noch verdreckten. „Da kannste dir einen aussuchen. Die dreckigen sind teurer, original antik!“ Er lacht infernalisch. „Gut, im Ernst, der saubere ist teurer, die anderen kann ich dir für 20 lassen.“ Der Helfer unterbricht seine Arbeit und holt sich eine Flasche Bier aus Mannes Laden. Der Kunde untersucht bedächtig die verschiedenen Kühlschränke. Die Mutter ist unschlüssig, möchte dann aber den sauberen, doch der Sohn entscheidet sich für einen verdreckten, weil der das bessere Gefrierfach hat.

„Siehste, wie ich Kasse mache? So schnell kann es gehen. Aber keiner kauft mir die Couch dort ab. Chippendale-Stil, die gefällt dir vielleicht nicht, aber setz dich mal drauf! Das ist Federkern, alles supergepolstert, kein Schaumstoff drin und nix. Die ist 50, 60 Jahre alt. Die kriegst du nicht kaputt. Aber so was passt nicht mehr ins Bild. Leute kaufen lieber eine von Ikea, die ist in einem Jahr durchgesessen, und dann kaufen sie die nächste. Es gibt keine Qualität mehr im Möbelbereich. Die Möbel vor dem Krieg, das war noch Handwerk. Auch die 50er-Jahre-Möbel und so, das ist noch solide Arbeit. Aber alles, was neu ist, ist Schrott! Du darfst es nicht anfassen und nur vorsichtig benutzen, sonst fällt dir das zusammen.“

Auf meine Frage, ob er Sammler ist, erklärt er: „Klar bin ich Sammler! Briefmarken, Schlümpfe auch. Und Sammelbilderalben. Da habe ich mindestens 2.000 Stück zu Hause. Die geb ich auch nicht weg. Die würde ich auch in der Not nie verkaufen. Da hängt mein Herzblut dran! Das mit dem Sammeln, das hört auch immer mehr auf. Bloß die ältere Generation sammelt noch. Die aber richtig! Leute mit wenig Geld und auch teurere Leute, die kaufen dir einen Teddy ab für 500 Euro. Oder Eisenbahn, oder auch Postkarten. Die gucken nur nach dem, was sie suchen, nicht rechts, nicht links. Die zahlen für eine schöne Postkarte 20, 30 Euro, wenn es sein muss. Blöd ist nur, die Alten, die sammeln schon 40, 50 Jahre. Die haben schon alles und sitzen drauf. Aber irgendwann kommt das dann auf den Markt, wenn er ins Pflegeheim kommt oder gestorben ist. Herrliche Ware! Nur, du kommst nicht ran. Die Erben verkaufen es bei Ebay. Heute finden sie noch Kunden, aber wie lange noch? Die Sammler sterben aus.“ Ein Flugzeug ist über uns. „Das ist auch so ein Problem bei uns Händlern, ein Berufsproblem. Die Jugend von heute sammelt ja nicht, sie kauft und verkauft. Aber ein Sammler verkauft nicht, der will haben und sich dran erfreuen. Es gibt keine jungen Sammler. Ich kenne keinen.

Eine strenge Mutter

Das sind alles so die Probleme, die man von außen nicht sieht. Trotzdem, ich bin zufrieden mit meinem Leben. Bin 30 Jahre verheiratet, habe zwei Kinder und einen super Job. Immer was anderes, du kennst tausend Leute, hast nur mit Verrückten zu tun, und mit ein paar Normalen auch. Jeder Tag ist Wahnsinn. Hätte ich das früher schon gewusst, wäre ich gleich von der Schule weg Trödler geworden. Ich hab aber eine Lehre gemacht und bin Konditormeister geworden.“

Ich frage, wann er geboren ist und was seine Eltern gemacht haben. „Ich bin 54 geboren. Nee, nicht in Spandau, ich bin Schöneberger! Dort bei der Gasag, in diesem Kiez bin ich aufgewachsen und in die Schule gegangen. Ich hab noch einen großen Bruder. Die Eltern waren selbstständig. Der Vater als Fleischer, und Mutter hat einen Lebensmittelladen gehabt. Wir haben hinter dem Laden gewohnt. Vater kam nach Feierabend, und Mutter war immer da, den ganzen Tag. Sie war streng. Wir waren nie richtig alleine. Das war teilweise schön, aber wir durften abends nicht mehr raus, und zu Besuch durfte auch nie einer kommen. Aber es hat uns nicht geschadet. Nur immer Freiheit, das bringt ja auch nix!

Ich wollte zur Polizei, da hat man gleich 500 Mark gekriegt, aber sie haben mich abgelehnt. Ich war damals schon Brillenträger, und die haben sie nicht genommen. Heute nehmen sie sogar Blinde! Bäcker und Konditor hab ich dann gelernt. Von der Pike auf. Hab den Meister gemacht und war dann selbstständig. Ich hatte eine Bäckerei in Steglitz, da war ich sieben Jahre lang. Dann bin ich krank geworden. Aufhören oder Krepieren, das war die Frage. Asthma, Mehlstauballergie hab ich bekommen und musste verkaufen. Dann bin ich Vertreter geworden auf der Bäckereischiene, habe Bäckereien abgeklappert, Zutaten verkauft und super Geld verdient.

Aber dann war die Zeit, wo die Zone aufging. Ich hätte nach dem Osten fahren müssen, war in Berlin der einzige Vertreter. Ich hab es offen und laut gesagt, dass ich zu den Scheißossis nicht rüberfahre. Dann war ich draußen und zum ersten Mal im Leben arbeitslos. Hab über 2.000 Mark Arbeitslosengeld gekriegt und das ausgekostet, eineinhalb Jahre lang. Dann habe ich mir gesagt, irgendwann kriegst du nur noch Arbeitslosenhilfe, das ist dir zu wenig. Hier in dem Laden war so ein kleiner Gurkentrödler drin, der ging zu der Zeit raus, und ich dachte, was der kann, kann ich auch! Also hab ich den Laden übernommen … Ich war ja privat immer viel auf dem Flohmarkt, hatte was im Keller für den Anfang und bin Trödler geworden mit meinen eigenen Trödelkisten. Und heute stehe ich immer noch hier“, ein Flugzeug dröhnt, „vor meinem Laden, aber ich weiß heute ganz genau, wie alles läuft.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.