Tschetschene im Kirchenasyl: Ärzte entscheiden über Abschiebung

Eine ärztliche Untersuchung soll feststellen, ob der tschetschenische Flüchtling aus dem Kirchenasyl abgeschoben werden kann. Bis dahin will die Polizei ihn in Ruhe lassen. Innensenator kritisiert Kirchenasyl grundsätzlich.

Zurzeit halten sich in Berlin nach Schätzung von Experten etwa 1.200 tschetschenische Flüchtlinge auf. In ganz Deutschland dürften es einige Tausende sein. Im Vergleich zu anderen Bundesländern werden die meisten von ihnen im Land Berlin human behandelt. Familien, auch wenn sie erst über eine Duldung verfügen, bekommen in der Regel nach wenigen Monaten eine Wohnung zugeteilt, die Kinder besuchen Schulen. Auf diese Weise können sie sich relativ schnell in ihrer jeweiligen Nachbarschaft integrieren und treten hier nicht als gettoisierte Minderheit in Erscheinung.

Etwa 60 Prozent der in Berlin lebenden Tschetschenen sind durch die Grausamkeiten des Tschetschenienkrieges und/oder durch Folter seitens der heimischen und russischen Ordnungskräfte schwer traumatisiert. Sie brauchen Psychotherapie und finden hier in Zentren wie "Xenon" und dem "Behandlungszentrum für Folteropfer" fachkundige Hilfe, wie es sie in Deutschland noch selten gibt. Fast alle Tschetschenen in Deutschland stellen hier zum zweiten Mal innerhalb der EU einen Asylantrag, weil sie über Polen oder die Tschechoslowakei eingereist sind. Gemäß dem Dubliner Abkommen sind sie also verpflichtet, sich in einem dieser beiden Länder aufzuhalten. Doch in der Vergangenheit hatte das Bundesamt für Asylverfahren oft ein Einsehen, da weder die Sicherheit dieser Menschen vor den tschetschenischen und russischen Geheimdiensten noch ihre ausreichende gesundheitliche Versorgung dort gewährleistet ist. BK

Im Fall des 26-jährigen Tschetschenen, der im Kirchenasyl in der Friedrichshainer Galiläa-Samariter-Gemeinde ist, gibt es einen Hoffnungsschimmer: "Wir haben die Vollstreckungsmaßnahmen für eine Abschiebung vorübergehend ausgesetzt", sagte Polizeisprecher Frank Millert am Donnerstag der taz.

Seit drei Wochen versteckt sich der Tschetschene im Kirchenasyl. Die Polizei hat wiederholt versucht, ihn dort zu verhaften. Er soll bis zum 10. März abgeschoben werden, weil er in Polen bereits Asyl beantragt hat. Nach diesem Datum könnte er allerdings in Deutschland einen Asylantrag stellen. Bei einer ärztlichen Untersuchung am heutigen Freitag soll nun festgestellt werden, ob er überhaupt reise- und transportfähig ist. Laut seiner Anwältin leidet der in seiner Heimat mehrfach Festgenommene und Gefolterte unter posttraumatischen Belastungsstörungen, Blutarmut und Magengeschwüren. "Bis die medizinischen Ergebnisse vorliegen, werden wir nicht handeln", so Millert. Innensenator Ehrhart Körting bestätigte am Donnerstag auf Anfrage der Grünen im Abgeordnetenhaus, dass er bei Transportunfähigkeit nicht abgeschoben werde.

In der Gemeinde reagierte man auf die Aussetzung der Abschiebung verhalten optimistisch. "Wir sind damit noch nicht am Ziel", so Jürgen Passoth. Der Pfarrer hat für die evangelische Landeskirche die Verhandlungen mit der Polizei geführt. Er begrüßt, dass es nun überhaupt Gespräche über eine einvernehmliche Lösung für den Flüchtling kommt. Bisher hatte der Senat aufgrund der "eindeutigen Rechtslage" alle Vermittlungen abgeblockt.

Körting kritisierte denn auch grundsätzlich das Kirchenasyl. "Kann man zulassen, dass sich einzelne, auch wichtige Institutionen über das Gesetz stellen?", so der Senator im Abgeordnetenhaus. "Da sage ich ganz eindeutig: Das kann man nicht zulassen." Auch weise er vehement zurück, dass der Tschetschene in Polen nicht ausreichend ärztlich versorgt werden könne. Genau dies befürchten dessen Unterstützer. Auch fürchte der junge Mann Übergriffe tschetschenischer Sicherheitskräfte.

Kritik an Körtings Haltung kommt von den Linken und der FDP im Abgeordnetenhaus. Im Dialog müsse eine humanitäre Lösung gefunden werden, so Marion Seelig, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken. Rainer-Michael Lehmann (FDP) bezeichnete den Versuch, den Flüchtling in seinem Kirchenasyl zu verhaften, als inakzeptabel.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.